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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Nur ganz vereinzelt findet man „deutsche Moden“ in einem Leipziger Blatt, und zwar im Jahre 1815. Später nahm Laube in der „Eleganten Welt“ die Frage einer deutschen Männertracht auf. Doch in den eigentlichen Modeblättern wurden alle Regungen des nationalen Geschmackes vollständig verschwiegen.

1813   1812

Wie sah nun die „deutsche Kleidung“ der Jünglinge von 1815, der aus den Siegen von Leipzig und Waterloo Heimgekehrten, aus? Es waren so ziemlich die bereits geschilderten Ritterkostüme der Theater. Denn man wollte deutsch sein, nicht undeutsch wie die vorhergehende Zeit der Knechtschaft. Man besann sich auf die Glanzzeit des deutschen Kaiserthums, des Ritterwesens, und wollte an dieses anknüpfen. Allen diesen altdeutschen Anzügen war gemeinsam das Barett, der mit Pappe unterlegte Stirnreifen, aus dem oben noch ein Sack hervor quillt. Von Sammet mußte es sein, eine Kokarde und womöglich eine Feder tragen. Die Kokarde trug das Kreuz des Christenthums, die Farbe des Vaterlands, und die flatternde Feder bedeutete die Freiheit. Ich weiß nicht, woher das Barett stammt. Man hielt und hält es für altdeutsch, doch kommt es in dieser Form nirgends in der Kostümgeschichte vor. Das Wort stammt auch aus dem Neulateinischen und bedeutet den Kopfschmuck des Gelehrten im 16. Jahrhundert. Es ist also keineswegs urgermanisch, wie man glaubte, sondern ein Stück vom alten Besitzstande der Universitäten. Heutzutage trägt es nur noch der Student bei feierlichen Aufzügen.

1810

Und dann trugen die deutschen Jünglinge nach den Befreiungskriegen den Leibrock, das heißt ein kurzes, eng anliegendes Kleidungsstück ähnlich unseren Jacketts, meist hoch geschlossen, manchmal aber auch am Hals mit einer Spitzenkrause oder mit breitem Hemdkragen versehen. Auch diese beiden wichtigen Dinge waren dem Ritterthum entlehnt. Zwar die Ritter selbst, das heißt die Helden des echten Mittelalters, haben nichts davon gewußt, aber zur Kleidung des Theaterritters gehörten sie unbedingt. Freiheit offenbarte der weite Kragen, der offene Hals. Die ganze Welt jener Zeit umspann den Hals mit Kragen und Binden; es ist darum kein Zufall, daß Jahn und Byron den Hals offen trugen, daß noch heute der flatternde Schlips als das Merkmal der Genialität gilt. Enge Hosen und Reiterstiefel vollendeten das deutsche Kleid des Jünglings. Die Studenten der Wartburgfeier haben es getragen; noch heute ist ein Stück davon in der „Kneipjacke“ des Corpsbruders, in der Sammetpekesche des Studenten erhalten, noch heute kündet die bunte Mütze das Streben an, sich von der Herrin Mode zu befreien.

1828

Ein anderes Kostüm, welches dauernd sich hielt, war das des Künstlers. Der Schlapphut und der Radmantel sind italienischen Ursprungs, sie sind von den Modellen der Spanischen Treppe in Rom, von den Cioccaren auf die Maler und Bildhauer übergegangen. Cornelius und seine Geistesgenossen haben sie mitgebracht über die Alpen, namentlich des Mantels und seines freien Faltenwurfs sich freuend.

Das waren die letzten Kostümstücke, die den Stand kennzeichneten. Vielleicht ist der lange schwarze, bis oben zugeknöpfte Rock des Geistlichen noch zu nennen, der in ähnlicher Gestalt, doch meist vorn in der Mitte offen, schon bei den Abbés der Rokokozeit vorkommt. Das Bauernkleid ist ja kein modernes, sondern der Rest früherer Geschmacksbildung. Sonst ist’s still im Reich der Herrenmode. Höchstens die Laune der Gigerl fördert von Zeit zu Zeit eine neue Kleiderschrulle zu Tage, die wohl eine Saison lang in den Zirkeln dieser Lebemänner Aufsehen erregt, weitere Kreise aber – gottlob – unberührt zu lassen pflegt.

Wir haben es zum System erhoben, daß unsere Erscheinung nicht von jedem nach eigenem Wunsch, sondern von einem eigens dazu Berufenen, dem Schneider, bestimmt werde. Die Frauen wehren sich noch gegen die Herrschaft der Schneider, sie wollen noch nicht auf das Mitreden in Geschmackssachen verzichten, sich ihren kleinen Einfluß auf diese wahren. Die Männer haben sich im Kampf um das ihnen Zukommende für vollständig geschlagen erklärt. Der Weise unter uns schämt sich sogar schon, zu erzählen, daß er mit seinem Schneider längere Besprechungen habe. Er thut, als ob ihm sein Kleid gleichgültig sei, so lange er jung ist. Es wird ihm thatsächlich gleichgültig, sobald er auf Eroberungen verzichtet – wie sieht er aber dann auch aus!

1823

Ich würde nun ganz gern den Schneidern ihren Ruhm lassen, wenn ich nicht leider wüßte, daß auch sie im allgemeinen herzlich wenig mitzureden haben bei der Fortentwicklung der Mode. Die Schneider sind nicht eben reichlich gesät, die jemals in ihrem Leben einen eigenen Kostümgedanken gehabt, und die noch spärlicher, die mit einem solchen Gedanken auf weite Kreise eingewirkt haben. Der ganze geistige Betrieb im modernen Schneidergeschäft besteht in der Erlernung des Technischen des Handwerkes und in der Wahl eines geeigneten Modejournals.

Die Kunst selbständigen Entwurfes wagen nur sehr wenige auszuüben. Ist es doch bequemer, seinem Kunden ein von anderen sorgfältig gezeichnetes Blatt vorzulegen, um diesem zu zeigen, was getragen wird: das Modejournal. Der Mann, der wohl zu Hause über seine Frau spottet, daß sie von ihrem Blatte abhängig sei, ordnet sich selbst noch willenloser unter. Ihm bleibt eine viel kleinere Wahl, er kleidet sich nicht einmal nach dem Blatt, das ihm, sondern nach dem, das seinem Schneider gefällt.

Wenn man die langen Bändereihen älterer Modezeitungen durchsieht, so erkennt man deutlich, wie stark sich der Antheil der Männer an der Geschmacksbildung verringert. Während im 18. Jahrhundert Modebilder für Männer fast in gleicher Zahl wie solche für Frauen in den für die große Menge bestimmten Blättern geliefert wurden, verschwinden die Herren nach der Zeit des ersten Napoleon mehr und mehr aus diesen Zeitungen, welche sich nun vorzugsweise, oft sogar ausschließlich, an die Frauen wenden. Dagegen entstehen nun die nur für den Herrenschneider bestimmten Blätter, in welchen ein leitender Kopf die Modeblätter zeichnet, Tausende von Schneidern bis zur Willenlosigkeit von sich abhängig machend und durch diese Millionen von mehr oder minder „eleganten“ Kleiderträgern.

Diese Einheit der Kleidung ist im wesentlichen durch die napoleonische Zeit herbeigeführt worden. Vorher gab es immerhin noch bescheidene örtliche Unterschiede. Nur die Höfe waren seit dem 17. Jahrhundert schon einig in der schleunigsten Nachahmung

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 205. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_205.jpg&oldid=- (Version vom 6.4.2024)