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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)


Militärische Uebung auf Schneeschuhen.
Nach einer Zeichnung von O. Gerlach.


den Frieden seines Hauses, die Liebe seiner Kinder? Wenn auch Sie sich, wie ich aus Ihren Worten schließen muß, von dem großen Strome zu weit haben mitreißen lassen, dann segnen Sie den heutigen Tag, der Ihnen die Augen öffnet! – Kommen Sie, wir wollen diese Anhöhe da zu Fuß hinauf, die Bewegung in der Morgenluft wird Ihnen gut thun!“

Sie schritten miteinander, sich stets nach allen Seiten umblickend, den Waldweg zwischen thaufrischem Brombeergerank und einzeln herumgestreuten Felsblöcken empor. Plötzlich blieb Walter stehen, ein Zittern überlief ihn, er deutete, unfähig zu sprechen, nach einem der Blöcke, hinter welchem ein Stiefel und der Anfang einer karierten Hose im Gras sichtbar wurde. Im nächsten Augenblick stürmte er mit einem Satze hinüber, der Professor folgte, so schnell er konnte, und da lag er vor ihnen – schlafend, nicht tot, der gesuchte Fritz, in sich zusammengekauert, das dünne Ränzchen unter dem Kopfe, ein armes hilfloses Kind. Es stieg dem Vater heiß vom Herzen in die Augen, als er sich über das blasse Gesicht beugte.

„Fritz!“

Der Knabe schlug die Augen auf und fuhr zusammen. „Ach Papa, schlage mich nicht!“

Walter erröthete. Ehe er antworten konnte, sagte der Professor gütig: „Komm, mein Junge, steh’ auf und bitte Deinen Papa um Verzeihung für die Angst, die Du ihm gemacht hast! Das war ein recht dummer Streich. Hast Du denn gar nicht gedacht, wie Deinen Eltern zu Muthe sein werde?“

„Ach freilich – hinterher!“ schluchzte Fritz. „Und der Seppl hat mich auch im Stich gelassen – wie er sah, daß ich nichts mehr hatte –“

„Was hast Du denn überhaupt gehabt?“

„Eine Mark und fünfzig Pfennige. Aber das haben wir alles gestern auf der Kirchweih ausgegeben und hernach lief der Seppl fort – und da bin ich allein weiter gegangen – bis hierher und habe mich da zum Schlafen niedergelegt. O Papa, verzeihe mir!“ brach er überwältigt aus. „Ich war schlecht, ich sehe es jetzt ein, aber ich will mich gewiß ändern. Nur diesmal noch verzeihe mir!“

„Komm zur Mama!“ sagte dieser erschüttert mit ungewohnter Milde. „Wir wollen jetzt ein neues Leben anfangen, Fritz, ein besseres als vorher.“




„Und was nun?“ fragte Walter, als Einlieferung und Begrüßung, Emmys Freudenthränen und die Aufregung der Kinder und Hausbewohner vorüber waren und er den neugewonnenen verehrten Freund nach dessen stillem Häuschen zurückgeleitete. „Sie haben mir heute einen so großen Dienst erwiesen, daß Sie sich nicht wundern dürfen, wenn ich gleich noch um mehr bitte. Ich sehe jetzt erst ein, daß man nicht selbstverständlich ein Erzieher ist, weil man Kinder hat; helfen Sie mir mit Ihrem Rath weiter! Was soll ich nun mit dem Jungen anfangen, um ihn auf den rechten Weg zu bringen?“

„Dasselbe, was Sie früher hätten thun müssen, um ihn darauf zu erhalten: er muß Ihre tägliche Sorge werden, Sie dürfen jetzt seine Entwicklung, sein Lernen keinen Augenblick mehr aus den Augen lassen. Dabei muß er Liebe fühlen und Aufmunterung, sobald die ersten Fortschritte kommen, das Ehrgefühl des künftigen Mannes muß in ihm geweckt werden, er muß allmählich im Vater den Freund erkennen und in den abendlichen Erholungsstunden unter seinen Augen das beste Glück finden.“

„Erholung! Bei dieser Ueberbürdung im Lernen! Die Jungen müssen ja bis zehn Uhr fortarbeiten.“

„Ich glaube, das kommt vielfach daher, daß sie nicht verstehen, richtig zu arbeiten, und daß man sie auch darin nicht beaufsichtigt. Wie viel von ihrem Arbeitsstoff müßten sie schon aus der Klasse im Kopfe vorbereitet mitbringen! Dann – eine Stunde Vieruhrbrot, Bewegung im Freien, völlige Ausspannung und hierauf eine weitere Stunde rasches gesammeltes Arbeiten,

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 213. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_213.jpg&oldid=- (Version vom 28.1.2020)