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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Eisbootfahrt. (Zu dem Bilde S. 197.) Der Winter ist ein unbequemer Gast für die Bewohner der Inseln an der Westküste von Schleswig-Holstein; mit starren Eismassen bedeckt er die „Watten“, jene Untiefen zwischen den Inseln und der Küste, und hemmt so den Verkehr mit dem Festland. Tagelang kommt wohl weder Brief noch Zeitung herüber. Wenn es aber irgend geht, so wird trotz aller Hindernisse der Versuch gemacht, die Postsendungen von der Küste herüberzubringen und die eigenen fortzubefördern. Unser Bild auf S. 197 kann veranschaulichen, wie das geschieht; es stellt eine Scene aus dem Posttransport zwischen der Insel Nordstrand und der Stadt Husum dar. Das Eisboot mit dem hinten aufgeschnallten Postsack hat Nordstrand verlassen und sucht nun, über die Eisfläche hingezogen, seinen Weg in der Richtung gegen das Dorf Schobüll, das nördlich von Husum auf einer ins Meer vorspringenden Landzunge gelegen ist. Von dort her sollen, wie zwischen Husum und Nordstrand telegraphisch vereinbart worden ist, die Poststücke von Husum dem Boote eine Strecke weit über das Eis entgegengebracht werden, und der Führer des Bootes sieht nun mit seinem Fernrohr nach den Trägern aus, die von Schobüll her sich zeigen müssen. Immer weiter dringt das Boot vor, das auf drei eisenbeschlagenen, glatten, nach vorn und hinten abgerundeten Kielen wie ein Schlitten vorwärtsgleitet und mit seinem hochstehenden Schnabel leicht auf übereinandergethürmte Eisschollen hinaufgezogen werden kann. Endlich erreichen die vier Männer den „Wattstrom“, die vom Eis nicht bedeckte Fläche; sie lassen das Fahrzeug ins Wasser hinab, besteigen es und schieben es nun mit langen Stangen vorwärts, indem sie zugleich heranschwimmende Eisblöcke mit den Eishaken fernhalten. Drüben am andern Ufer des Eisfelds begrüßen sie mit einem freundlichen „Gode Dag“ die Husumer Postträger, die sich bereits dort eingefunden haben und durch Zeichen aus dem Nebelhorn des Bootsführers schon von weitem über die einzuschlagende Richtung verständigt worden sind. Man tauscht nun einige Festlands- und Inselneuigkeiten aus, die Postbeutel werden gewechselt und das Boot kehrt zur Insel zurück.

Nicht immer geht diese Postbeförderung glatt vor sich; das Eisboot kann im Wattstrom durch Eisschollen bedroht oder durch eine starke Strömung des Wassers von seiner Richtung abgedrängt werden, oder dichter Nebel macht das gegenseitige Zusammentreffen unmöglich, obgleich man sich mit Hilfe des Kompasses und durch fortgesetzte Signale mit dem Nebelhorn zusammenzufinden sucht. In solchen Fällen heißt es, das beschwerliche Werk am andern Tag von neuem in Angriff nehmen, und sie thun es unverdrossen, die wackeren Stephansjünger der Nordseeinseln. M. V.     

Schneeschuhlaufen im Heere. (Zu dem Bilde S. 213.) Man läßt in unserer Armee nichts unversucht, was dazu dienen kann, deren Schlagfertigkeit zu erhöhen. Namentlich ist man darauf aus, die Beweglichkeit der Truppen so viel wie möglich zu steigern. Zu diesem Zwecke ist schon länger das Velociped in Aufnahme gekommen, und neuerdings hat man nun Versuche mit dem Schneeschuhlaufen angestellt. In Berlin giebt es einen Verein für das Schneeschuhlaufen, an dessen Uebungen vielfach auch Offiziere theilgenommen haben. Jetzt hat man diese Uebungen auf Unteroffiziere ausgedehnt und den Harz zum Uebungsfeld gewählt, da die riesigen Schneemassen dort den Schneeschuh erst voll ausnutzen lassen.

Die Schuhe bestehen aus zwei Meter langen, schmalen Brettern, die an den Enden aufgebogen sind und auf der oberen Seite zum Einstecken der Füße Riemen oder einen Halbschuh von Leder tragen. Zwei Stäbe mit eisernen Spitzen vervollständigen die Ausrüstung des Läufers. Unser Bild zeigt eine Abtheilung, die eben im Laufe einen Bergabhang herabkommt – eine Situation, die offenbar von den noch weniger Geübten durchaus nicht als der Genuß angesehen wird, welchen die Virtuosen dieser Kunst gerade dem Bergabwärtsfahren nachrühmen.

Ueber das praktische Ergebniß dieser Wintermanöver ist noch nichts Näheres bekannt. Bewährt sich die Sache, so dürfte in einem etwaigen Winterfeldzug für Patrouillen, vorgeschobene Posten und fliegende Corps auf diese Weise eine erheblich gesteigerte Schnelligkeit der Bewegungen gewonnen werden.

Afrikanischer Postverkehr. (Mit Abbildung.) Ein wichtiges Glied in der Kette von Maßregeln, welche bestimmt sind, die deutsch-ostafrikanische Kolonie einer gedeihlichen Entwicklung entgegenzuführen, bildet die Einrichtung einer Postverbindung zwischen der Küste des Indischen Oceans und den Gestaden des Viktoria Njanza. Mit der Ausführung dieser Postverbindung ist von seiten des kaiserlich deutschen Gouvernements die Firma Schülke und Mayr in Hamburg betraut worden. Monatlich einmal, unmittelbar im Anschluß an das Eintreffen der deutschen Postdampfer, marschiert eine Expedition, bestehend aus fünf Trägern und einem Führer, von Dar es Salaam ab. Die Leute tragen auf der Brust große Messingschilder mit der Inschrift „Kaiserliche Gouvernementspost“, sind mit Mauserkarabinern Modell 71 bewaffnet und ihre Last an Postsachen beläuft sich bis zu je zehn Kilo. Von Dar es Salaam wird zunächst Mpwapwa aufgesucht und dort die Post für die Station und die englische und französische Mission abgeliefert; dann wird der Marsch über Tabora nach Bukoba fortgesetzt, und von da kann mit den Briefen und Berichten aus dem Innern sofort der Rückmarsch angetreten werden. Die Expedition marschiert täglich 11 Stunden und bewältigt die Strecke von der Küste nach Bukoba und zurück in der unglaublich kurzen Zeit von 100 Tagen. Ein von Berlin abgesandter Brief wird daher künftig nur 71 Tage bedürfen, um nach der äußersten deutschen Station am Viktoria Njanza zu gelangen. Die Antwort kann schon nach 4½ Monaten in Berlin eintreffen. – Unser Bild stellt die erste dieser afrikanischen Postexpeditionen dar, welche am 6. Januar 1892 Dar es Salaam verlassen hat. Nach Nachrichten, welche von ihr an die Firma Schülke und Mayr gelangt sind, verschafften ihr die blanken Messingschilder überall den nöthigen Respekt, und der Führer hat nur einen Wunsch in Bezug auf Vervollkommnung seiner Ausrüstung laut werden lassen: er verspricht sich noch eine wesentliche Erhöhung seines Eindrucks von einem – Cylinderhut.

Die erste deutsche Postexpedition von Dar es Salaam nach Bukoba.

Die Priesterin von Delphi. (Zu dem Bilde S. 221.) In einer engen, tiefen Schlucht südlich vom Parnaß, unterhalb zweier steil aufsteigender Felswände desselben, lag Delphi mit seinem berühmten Orakel. Hier hatte nach dem Mythus der Gott Apollo, nachdem er den Drachen Python überwunden, Männern aus Kreta, die er in Gestalt eines Delphins nach Griechenland geleitet, geboten, einen Tempel zu gründen. Schon Homer kannte diesen Tempel in „Pytho“, der Fragestätte. In alter Zeit sprach der Gott nur einmal im Jahre, später an jedem siebenten Monatstag, auch öfter, wenn die Opfer günstig waren. Wer ihn befragen wollte, der hatte sich mehrere Tage vorzubereiten, sich zu reinigen und mit dem Wasser des kassotischen Quells zu besprengen. Dann brachte er, mit Lorbeer bekränzt, in der Zelle des Tempels ein Opferthier dar. Fanden die Priester das Opferthier fehlerlos und die Zeichen günstig, so durfte der Fragende in die Ueberbauung des Erdschlundes, eine durch große Steinblöcke gebildete Kammer, hinabsteigen. Hier sehen wir auf dem Bilde von Henri Motte die Priesterin auf dem hohen Dreifuß sitzen, über dem Erdschlund, „dem Munde der Erde“, wie die Griechen sagten. Die Pythia war in früheren Zeiten eine Jungfrau aus bürgerlichem Stande, später wählte man eine ältere Frau. Durch Baden und dreitägiges Fasten mußte sie sich vorbereiten, und nachdem sie Wasser aus dem kassotischen Quell getrunken, nahm sie Lorbeerblätter in den Mund und bestieg, in ein langes Gewand gekleidet, den Dreifuß, dessen Unterbau der Spruch „Erkenne dich selbst“ zierte. Allmählich versetzten die aufsteigenden Dämpfe sie in den göttlichen Wahnsinn, in welchem sie

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 227. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_227.jpg&oldid=- (Version vom 6.4.2024)