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verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Halbheft 8.   1892.
Die Gartenlaube.

Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Jahrgang 1892. Erscheint in Halbheften à 25 Pf. alle 12–14 Tage, in Heften à 50 Pf. alle 3–4 Wochen vom 1. Januar bis 31. Dezember.



Der Klosterjäger.
Ein Hochlandsroman aus dem 14. Jahrhundert von Ludwig Ganghofer.


1.

Frühling im Bergwald! Er kennt die Blumen nicht, die der Lenz über die Wiesen des Thales streut, die lauen, linden Lüfte nicht, welche spielend durch die blühenden Hecken streichen, und nicht das liebliche Gezwitscher der heimgekehrten Schwalben, die unter gastlichem Dach ihre Nester bauen. Frühling im Bergwald — das ist Brausen und Sausen, Toben und Donnern, Sturm und Tod. Ueber dem Bergwald liegt der Winter wie ein grauenhafter Riese, und der Frühling, der ihn scheuchen will, muß kommen als ein gewaltiger Held, welcher töten und zerstören muß, bevor er bauen kann und neues Leben wecken aus eisigem Schlaf.

Hoch in dem steilen Gefels krachen ohne Unterlaß die stürzenden Lawinen, über die Halden fährt der stürmende Föhn mit dumpfem Sausen, mit seinem heißen Athem schnaubt er über den schwindenden Schnee, im Walde packt er die alten mächtigen Fichten und rüttelt sie, daß sie erbeben in ihrem Mark. Und was sie nur tragen an faulem und morschem Gezweig, das bricht er ab und führt es davon in jagendem Wirbel. Ein Nieseln und Gurgeln immer und überall, aus jedem Hange bildet sich ein springendes Bächlein, über alle Felsen plätschern die Wasser, zu denen der Schnee zerschmolzen ist, alle Wurzeln umspülen sie und sammeln sich in jedem Gerinn, in jeder Schlucht, und wachsen an zum tobenden, schäumenden Gießbach, der den Bergwald säubert von allem Unrath und Moder, jeden kranken schwachen Baum zerschmettert und nur bestehen läßt, was stark ist und gesund. Ueberall auch ein Rollen und Poltern die Felsblöcke, die der Frost des Winters von den Steinwänden abgesprengt hat und die gebettet lagen im Schnee, sie kommen ins Wanken und Wandern, wenn der Schnee zerrinnt, sie stürzen und sausen nieder durch den Bergwald in dröhnenden Sprüngen mit Krachen und Schmettern, und wo sie im Sturze die Erde treffen, da pflügen und wühlen sie den Grund, damit der überwinterte Same, den der Lenzwind ausweht, im Boden die frische Narbe finde…

Und in all diesem Stürmen, Rauschen und Brausen, inmitten dieses Kampfes, den der Frühling mit dem Winter führt, ein einsamer Mensch!

Rüstigen Ganges, mit halblauter Stimme ein Liedchen singend, schreitet er dahin über den vom Schnee schon halb entblößten Almenhang, eine schlanke, sehnige Gestalt — ein junges Antlitz mit kühn blitzenden Augen und einem lachenden Munde, um den sich der erste Flaum des blonden Bartes kräuselt. In schweren, eisenbeschlagenen Bundschuhen stecken die nackten Füße; Strümpfe aus ungegerbtem Rehfell, die Haare nach innen gewendet, umschließen die Waden, aus der kurzen verwitterten Lederhose ragen die nackten Kniee hervor, welche nicht aus Fleisch und Bein gebildet, sondern aus braunem Erz gegossen scheinen — rascher als die Sonne bräunt ja der Wiederglanz der weißen Schneefelder. Ein grobes Leinenhemd und ein aus zottigem Loden roh geschnittenes Wams umhüllen den straffen Körper. Ueber dem krausen Blondhaar trägt er die pelzverbrämte Lederkappe mit der Adlerfeder, am Gürtel ein kurzes Weidmesser und den kleinen Bolzenköcher, auf dem Rücken die plumpe schmucklose Armbrust mit fingerdicker Sehne und in den Händen führt er den langen, mit scharfem

Osterhas.
Nach einer Zeichnung von P. F. Messerschmitt.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 229. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_229.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2023)