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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)


Erschrocken sprang Haymo auf; so rasch aber kam er nicht zur Thür hinaus. Der Frater Küchenmeister hatte noch allerlei Anliegen; er zählte dem Jäger an den Fingern die würzigen Wald- und Almenkräuter her, welche Haymo in die Küche liefern sollte, sobald der Frühling sie erweckt hätte zum Blühen. Auch die Bärenschinken wären aufgeknappert bis auf den letzten Knochen. Ob nicht Aussicht wäre auf neuen Vorrath. Nicht nur wegen der Schinken! „Gesulzte Bärentatzen!“ Der Frater verdrehte die Augen und schlug mit der Zunge einen Triller zwischen den Lippen.

„Vergangene Woche hab’ ich einen Bär gespürt, hoch oben im Schnee,“ sagte Haymo, „aber die Fährte verlor sich im aaberen[1] Wald.“

„Pack’ ihn, Haymo, pack’ ihn. Und noch eines! Hat die Schneerose schon verblüht?“

Ein träumerisches Lächeln glitt über die Züge des Jägers. „Ich hoffe, noch lange nicht!“

„Ich aber hoffe, bald!“ Auf das behäbig freundliche Antlitz des Fraters legte sich ein wehmüthiger Schatten. „Weißt Du, Haymo, das viele Kosten von allen Schüsseln, das thut nicht gut auf die Dauer. Manchmal in der Nacht, da spür’ ich’s … hier am Herzen … daß ich meine, ich muß ersticken. Dafür hilft die Wurzel der Schneerose, die Nieswurz. Aber sie muß gegraben werden, wenn das letzte Stöcklein verblüht hat. Dann ist ihr Saft am stärksten; er macht das dicke Blut wieder flüssig und das schläfrige Herz lebendig!“

„Ja, Frater, Ihr sollt eine Wurz’ haben, an die noch kein Wurm und der Zahn keiner Maus gerührt hat. Aber seid vorsichtig! Ihr wißt:

Zwei Tröpflein machen roth,
Zehn Tropfen machen tot.“

„Sei ohne Sorge!“ lächelte der Frater und klopfte dem Jäger herzlich auf die Schulter. „Bist ein guter Bursch! Schick’ mir die Wurzel durch den Walti! Und komm nur wieder einmal! Für Dich hab’ ich immer ein gutes Bröcklein im Kasten. Aber jetzt mach’ weiter, sonst brummt der Vogt! Gelobt sei Jesus Christus!“

„Amen!“

(Fortsetzung folgt.)




Eine Erinnerung an Gottfried Kinkel.

Von Ferdinand Hey’l-Wiesbaden.


Es sind jetzt nahe an zehn Jahre, daß Gottfried Kinkel dahin geschieden ist, zehn Jahre genau, daß ich zum letzten Male eine Nacht mit ihm verleben durfte. Eine Erinnerung an ihn und an diese merkwürdige Nacht, sie wird gerade den Lesern der „Gartenlaube“, welcher Kinkel seinerzeit so manchen Beitrag geliefert, die an seinen Schicksalen stets einen so regen Antheil genommen hat, willkommen sein, und ich halte das Mitzutheilende auch deshalb eines Plätzchens für würdig, weil die „Gartenlaube“, wenn auch nur mittelbar, damit in Verbindung steht. Denn meine Bekanntschaft und spätere Freundschaft mit dem Dichter entstand durch dieses Blatt.

Kinkel hatte in der „Gartenlaube“ seine Aufsätze „Meine Kindheit“ (1872) und „Meine Schuljahre“ (1873) mitgetheilt, in derselben Zeit, als ich ebenda über das „Steindenkmal in Nassau“ und anderes schrieb und den ersten Aufruf für das „National-Denkmal“ auf dem Niederwald veröffentlichte. Ihn interessierten diese Aufsätze, wie auch ein andrer, den ich früher (1868) dem Blatte geliefert hatte, über das Grab des deutschen Volkskämpfers von Itzstein. Denn Kinkel nahm stets innigen Antheil an allem, was in litterarischer Beziehung den Rhein auch nur streifte.

Hatte nun auch Freund Rittershaus einen schriftlichen Verkehr schon zwischen uns angebahnt, eine Annäherung geschah doch zunächst nur brieflich, als Kinkel mich über einige rheinische Dinge befragte, die ihm infolge seiner langen Abwesenheit fremd geblieben waren; aber die Gelegenheit zum persönlichen Verkehr fand sich bald, als ich in der Lage war, ihn als Redner nach Wiesbaden einzuladen. Er hielt denn auch im dortigen Kurhaus verschiedene Vorträge, über Venedig, über Franz Grillparzer, über William Hogarth, und aus dieser fast geschäftlichen litterarischen Verbindung entwickelte sich ein Briefwechsel, der mit der Zeit an aufrichtiger Wärme beiderseitig zunahm.

Ein paar Jahre war es ihm unmöglich, meinen Einladungen zu wiederholten Vorträgen zu folgen. Da erhielt ich plötzlich und unvermuthet im Jahre 1881 ein Schreiben von ihm folgenden Inhaltes:

„Mein lieber Freund! Wiesbaden gehört zu den vier Städten, denen ich noch einen versprochenen Vortrag schuldig bin, ich stelle mich hiermit zu Ihrer Verfügung. Dahinter halte ich keine Vorträge mehr in Deutschland!! (Er sollte leider recht behalten.) Wollen Sie mich? – – – Auf das Schöppchen mit Ihnen freue ich mich ganz besonders, auch darauf, einen heiteren Abend mit Ihnen zuzubringen.   Ihr alter G. K.“

Gleichzeitig sandte er mir die letzte Photographie, die er von sich noch besaß. Es ist später keine mehr von ihm gemacht worden. Ich schrieb ihm sofort zu, und er kam. Ich fand ihn weicher gestimmt als jemals, auch stärker gebleicht als früher, sonst aber frisch. Greises Haar war ihm übrigens schon lange eigen, im Widerspruch mit seiner wohlig frischen Gesichtsfarbe. Kinkel sprach über „Christopher Marlowe, den Rivalen Shakespeares und frühesten Theaterdichter des Faust“ mit einem außergewöhnlichen Beifall, trotz des manchem Zuhörer etwas ferne liegenden Themas. Friedrich Bodenstedt wohnte dem Vortrag bis zum Schlusse in Begleitung seiner liebenswürdigen ältesten Tochter bei. Kinkel hatte sich wie immer im „Adler“ einquartiert; „ich wohne am liebsten im Untergeschoß nach dem Hofe zu,“ schrieb er mir; „die Fontäne und (wenn’s Wetter sie möglich macht) die Hyacinthen im Beetchen are so very sweet.[2] – – Lieber Bruder in Apollo, lachen Sie mich wegen meiner Anhänglichkeit an kleine Lebensfreuden aus, soviel Sie wollen, aber bleiben Sie gut Ihrem alten G. K.“

Nach dem Vortrag war ein Stelldichein im „Adler“ bald verabredet, und Kinkel, Bodenstedt, dessen Tochter und ich bildeten das Quartett, welches in anregender Unterhaltung einige Stunden zusammen verbrachte, um so anregender, als Bodenstedt selbst früher schon über Christopher Marlowe eine größere Arbeit geliefert hatte. Es gab mithin der Anknüpfungspunkte an diesem Abend für die beiden Poeten genug.

Es war kurz vor ein Uhr, als Bodenstedt, in Rücksicht auf seine damals etwas leidende Tochter, an den Heimweg dachte. Kinkel, dem ich eine gewisse Weichheit während des ganzen Abends schon angemerkt hatte, wollte zurückhalten, fügte sich aber, als Bodenstedt durchaus auf der Heimkehr bestand, und sagte dann: „Na, so laßt mir den noch hier, ich habe noch allerhand mit ihm zu reden, und wer weiß, ob wir uns sobald oder überhaupt noch einmal wiedersehen! Denn Vorträge in Deutschland halte ich nicht mehr. Ihr müßtet dann zu mir in mein Exil – nach Zürich kommen, und das thut Ihr ja doch nicht!“

Und so blieben wir zwei allein zurück. Der trauliche Saal des „Adler“ hatte sich schon vollständig geleert; die Winterkurgäste pflegen nicht bis ein Uhr sitzen zu bleiben. Einige Kellner harrten noch unserer Wünsche. „Geht schlafen,“ rief ihnen Kinkel zu, „setzt uns noch ein paar Flaschen her und laßt mir ein Licht hier. Mein Zimmer finde ich selbst. Wegen mir sollt Ihr um Euren Schlaf nicht kommen.“

Die Leute entfernten sich bis auf einen Jüngling, der bald in einer „schummerigen Ecke“ des Saales sanft entschlief. Die Lichter im Raume waren bis aus einen Lüster in unserer nächsten Nähe gelöscht. Der treffliche Wein des Hauses schien Kinkel gut zu munden. Das schone volle weiße Haupt auf die Hand gestützt, so saß er da mit seinem lichtsilbernen Prophetenbart – eine prächtige Erscheinung.

Er begann damit, mir für eine Gefälligkeit zu danken, die ich einem seiner Kinder zu erweisen im Begriff stand. Dies

  1. Schneefrei.
  2. Sind so süß.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 240. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_240.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2023)