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verschiedene: Die Gartenlaube (1892)


Gittli hauchte einen Kuß auf die heiße Stirn des schlummernden Kindes und schlüpfte in ihre Kammer. Wie sie in den Kissen lag, da weinte sie und kicherte, immer eins ums andre. Als sie ruhiger wurde, sprach sie das gewohnte Vaterunser – und noch ein zweites als Dreingabe; das hatte ja der liebe Gott heute verdient, denn er allein nur hatte diese zwei guten, guten Menschen erschaffen, den Eggebauer und den Haymo. Und von ihnen beiden war Haymo gewiß noch der bessere! Daß es bei ihm gar nicht zum Helfen kam, das war doch nicht seine Schuld! Sie wollte dem Eggebauer gewiß nichts abzwacken von seinen Verdiensten! Aber der Haymo … der hätte dem Bruder das Geld nicht nur geliehen, nein, geschenkt! … Hätt’ er’s denn aber auch gehabt?

Gittli mußte lachen, als sie in ihrer Gedankenreihe zu diesem Ende kam. Sie streckte sich vergnügt, verschränkte die Hände unter dem Köpfchen und summte das Lied von der Schneerose vor sich hin:

„Auf steiler Höh’
Tief unterm Schnee ...“

Als sie zu der Stelle kam, an der es heißt:

„Im Herzen tief
Ein Blümlein schlief
Gar lieblich und an Schönheit reich ...“

da verstummte sie. Was für ein Blümlein war das? Sie hatte das nur immer so hingesungen. Jetzt zum ersten Mal kam ihr diese Frage! Was für ein Blümlein war das?

So lag sie mit offenen Augen und träumte in die Nacht hinein …

Und draußen in der Küche saß Wolfrat beim neu entfachten Feuer und schnitzte aus einem Birnbaumzweige den Bolzen für die Armbrust. Als Spitze gab er ihm den scharfgefeilten Zinken einer Gabel.

Vergangene Zeiten erwachten bei dieser Arbeit; das war ja nicht der erste Bolz, der aus seinen Händen kam. Die Bilder und Abenteuer seiner Jugend und seiner Kriegsjahre zogen an ihm vorüber. Einmal hob er den Kopf und schaute mit langsamen Augen gegen die Wand, hinter welcher Gittlis Kammer lag … und dabei spielte ein seltsam verlorenes Lächeln um seine Lippen. Neben dem Herde sah er Federn liegen; mit ihnen fiederte er den Pfeil. Es waren die Federn, mit denen das „Mimmidatzi“ gespielt hatte, bevor es entschlummert war.

(Fortsetzung folgt.)




Meiner Heimath.

Was ich am tiefsten lieb’ auf dieser Welt,
Ist meine Heimath, – ist mein Vaterhaus.
Wohl zog ich vor nicht allzulanger Frist
Erwartungsvoll in gold’ne Ferne aus, –
Sie hielt mir alles, was sie mir versprach,
Entrollte Wunder dem erstaunten Blick,
Doch fand mein Herz hier seine Heimath nicht,
Das blieb daheim, das dachte stets zurück!

Nicht reich an Reizen ist mein Vaterland,
Und zauberschön sah mich die Fremde an.
Hier lockte eines Bergsees tiefes Grün,
Dort strebten stolze Felsen himmelan,
Das Alphorn klagte sehnsuchtsvoll und tief,
Schneeweiß hob manches Berghaupt sich empor –
Fürwahr, es gab wohl Herrliches zu schau’n,
Wohin sich auch der trunk’ne Blick verlor!

Und hob sich vor Entzücken dann die Brust,
Und wuchs die Seele, all’ der Schönheit voll,
Hört’ ich ein leises Mahnen immer doch
Und wußte wohl, was es bedeuten soll:
Ihr grünen Wiesen, – all’ das weite Land, –
Du meiner Heimath einfach-ernst Gesicht, –
Du blauer Wogenzug am Ostseestrand, –
Des Nordens Kind läßt seine Treue nicht!

Voll Dank und Freude zog ich damals aus, –
Voll Dank und Freude kehr’ ich auch zurück.
Ein reich’ Erinnern bring’ ich mit nach Haus,
Das ist ein unverlierbar reines Glück.
Dir, schöne Fremde, sag’ ich meinen Dank,
Du botest reich mir deine Schätze aus,
Doch was ich lieb’ am tiefsten auf der Welt,
Ist meine Heimath, – ist mein Vaterhaus!

 Marie Bernhard.




Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1892, Seite 272. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_272.jpg&oldid=- (Version vom 13.1.2021)