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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

ausstattete; aber der alte flotte Betrieb schien dahin zu sein. Da endlich half die preußische Armeeverwaltung. Sie drang im Jahre 1835 darauf, daß für die Ausführung ihrer Aufträge ein einheitlicher Fabrikbetrieb eingerichtet werde, worauf sich die mit Militärlieferungen betrauten Firmen zur Anlage einer richtigen Gewehrfabrik vereinigten, welche im Jahre 1838 eröffnet wurde. Hieran schloß sich im Jahre 1840 die Errichtung einer Lehranstalt für Militärbüchsenmacher, welche vom Staate bereitwillig und reichlich unterstützt wurde, so daß Suhl nunmehr wiederum in seinem alten Glanze sich sonnen konnte. Und nicht nur in Suhl allein, auch in den umliegenden Ortschaften, wie z. B. in Mehlis, Zella St. Blasii und Heinrichs, sowie in den Seitenthälern des Thüringerwaldes wurde die Gewehrfabrikation eifrig betrieben, und niemand dachte daran, daß dies einmal anders werden könne.

Schon aber stieg am Horizont die Wolke auf, welche der neuen Blüthe abermals verderblich werden sollte. In einem kleinen Städtchen im nördlichen Thüringen saß ein unbekannter Schlosser in seiner verschwiegenen Kammer und tüftelte – und was er sich ausgetüftelt und erdacht, das probierte er in seiner Werkstätte mit Feile und Hammer jahrelang geduldig aus. Es war eine großartige, neue Idee, und bald erfuhr es die Welt, daß der Schlosser Dreyse in Sömmerda ein Gewehr erfunden habe, das von hinten geladen und dessen geheimnißvolle Patrone mit einer Nadel entzündet werde; und sie erfuhr gleichzeitig, daß dieses „Zündnadelgewehr“ in der preußischen Armee eingeführt werden solle. Da der Erfinder selbstverständlich auch den Auftrag erhielt, die Anfertigung dieser neuen Gewehre zu übernehmen, so mußte Suhl sich seinen Absatz im Ausland suchen und an Sömmerda seine bisherige Führerschaft abtreten, welche dann wiederum nach dem französischen Kriege auf Mauser in Oberndorf überging. Daß auch dieser bereits wieder abgelöst ist, darf als bekannt vorausgesetzt werden.

Suhl aber gab seine Sache nicht verloren, wenn auch die Gewehrarbeiter vorübergehend recht schlechte, ja geradezu traurige Zeiten durchmachen mußten. Eine Industrie, welche seit Jahrhunderten von Vater auf Sohn sich vererbt hat, kann wohl zeitweise daniederliegen, aber nicht gänzlich untergehen, vollends nicht, wenn die Leiter derselben es verstehen, den Fortschritten der Zeit Rechnung zu tragen. Das ist auch in vollem Maße geschehen. Denn noch weit mehr als bei den Armeegewehren wechselten die Systeme bei den Jagdgewehren; ihre Zahl ist heute Legion, und selbst der erfahrenste Fabrikant würde dieselben nicht alle zu übersehen vermögen. Das aber ist der Stolz der Suhler Fabrikation, daß sie zur Zeit alle bekannten Systeme von Jagdgewehren umfaßt und ihre Erzeugnisse nach allen Weltgegenden versendet – auf diesem Felde hat sie ihren Weltruf nicht nur wieder hergestellt, sondern noch vergrößert.

Suhl ist gegenwärtig eine Stadt von ungefähr 12 000 Einwohnern, von denen sich reichlich die Hälfte mit der Gewehrfabrikation und ihren Nebenarbeiten ernährt. Es sind gegen sechzig Gewehrfabriken vorhanden, darunter drei große, welche Maschinenbetrieb haben, acht mittlere und über vierzig kleinere, welche theilweise in einfache Hausindustrie übergehen. Und gerade die letztere ist von größter Wichtigkeit, da sie die Anfertigung aller nur erdenklichen Arten von Schußwaffen ermöglicht, im Gegensatz zum Maschinenbetrieb, welcher nur bei der Herstellung größerer Mengen von gleichartigen Gewehren seinen Vortheil findet.

Die Anfertigung der blanken Waffen, welche ehemals neben der Gewehrfabrikation in Schwung war, hat mehr und mehr aufgehört, da Bajonette nicht mehr üblich sind und Säbel früher überhaupt nur nebenher gemacht wurden. Wir beschränken uns daher im folgenden auf die Schilderung der Fabrikation von Schußwaffen und bitten den Leser, mit uns an Ort und Stelle die Herstellung derselben sich anzusehen. Die freundliche Aufnahme, welche wir bei den Herren Gebrüder Meffert finden, giebt uns dazu die beste Gelegenheit.

Der wichtigste Theil jeder Schußwaffe ist der Lauf, der gegenwärtig fast ausschließlich aus Gußstahl angefertigt wird; das Material dazu wird zu Suhl in besonderen von der Gewehrfabrikation getrennten Rohrschmieden bearbeitet, in welchen die Rohre bereits annähernd auf das Kaliber gebohrt und außen, je nach der beabsichtigten Verwendung, entweder achtkantig abgefräst oder rund abgedreht werden. Die echten Damastläufe dagegen werden aus Belgien, vorzugsweise aus Nessouvaux und Trooz, bezogen.

Die roh zugerichteten Läufe werden nun zunächst durch eine Gewaltprobe auf ihre Haltbarkeit untersucht, um dann vom Rohrmacher zur Aufnahme des Verschlußstückes vorbereitet zu werden. Dieses letztere, ein sehr wesentlicher Theil des Gewehrs, welcher mit ganz besondrer Sorgfalt gearbeitet sein muß, wird lediglich durch Handarbeit hergestellt und von dem Systemmacher an den Lauf angepaßt. Danach wandert das Stück zum Monteur, welcher Schloß und Abzugsblech anpaßt, die nöthigen Schraubenlöcher bohrt und sodann alle Theile dem Schäfter übergiebt. In der Hand dieses Mannes fängt das Werk allmählich an, Gestalt zu gewinnen. Das rohe Stück Schaftholz wird mit Meißel, Messer und Säge ungefähr in die gewünschte Form gebracht, worauf die Eisentheile sauber eingepaßt und eingelassen werden. Zur Zeit wird zu Schaft und Kolben nur noch Nußbaumholz verwendet, welches man aus Italien, der Schweiz und der Pfalz bezieht; letzteres ist das beste. Hat der Schäfter seine Arbeit vollendet, namentlich auch den Schaft roh mit der Feile bearbeitet, „eingeschäftet“, dann geht das Ganze wieder an den Monteur zurück. Dieser vergleicht alle äußeren Schrauben auf ihre Genauigkeit, paßt die geschmiedeten Hähne auf, feilt sie aus und richtet das Schloß, den Abzug und die inneren Stahltheile zu, stellt also das Ganze fertig zum Gebrauch, nachdem mittlerweile der Lauf innen schußfertig gemacht worden ist. Dies geschieht bei den Schrotläufen, indem man sie glatt ausbohrt und schmirgelt, bei den Kugelläufen, indem man sie mit Zügen versieht, welche sehr vorsichtig mit dem Handbohrzeug eingeschnitten werden. Ist nun alles soweit vorgeschritten, dann wird das Visierzeug aufgesetzt, die Kugelform angepaßt und das Gewehr zum Schießstand gebracht, wo es zunächst mit einer anderthalbfachen Ladung auf die Haltbarkeit von Lauf und Verschlußstück erprobt und dann mit der Gebrauchsladung auf seine Leistungsfähigkeit in Bezug auf Streuung und Durchschlagskraft der Geschosse geprüft und eingeschossen wird. Die etwa vorgefundenen Mängel und Fehler werden hierauf beseitigt und das Gewehr wandert nunmehr noch einmal in die Werkstatt des Schäfters zum „Ausschäften“; Schaft und Kolben werden jetzt sorgfältig verfeilt und verputzt, mit feinem Sandpapier abgerieben, mit Bimsstein, Oel und Leder geglättet und mit Leinöl getränkt und poliert. Zu allerletzt kommt noch die sogenannte „Fischhaut“ an die Reihe. Man macht den Kolbenhals künstlich rauh, weil dies wesentlich zur sichern Handhabung des Gewehres beiträgt.

Soll ein Gewehr noch besondere Verzierungen erhalten, so wandern die einzelnen Stücke zum Graveur, der, ein Künstler in seinem Fache, die wunderbarsten und feinsten Zieraten in Gold, Silber und Elfenbein anzubringen versteht. Hat er seine Arbeit beendet, so kommt das Härten an die Reihe. Es werden zu diesem Zwecke die Eisentheile von acht bis fünfzehn auseinandergenommenen Gewehren vom „Einsetzer“ in einen großen eisernen Kasten so eingepackt, daß die stärkeren Theile nach außen, die schwächeren nach innen zu liegen kommen; die Zwischenräume füllt man, da jedes Stück abgeschlossen von den anderen liegen muß, mit gebrannter Lederkohle aus und bringt diesen sogenannten „Einsatz“ in ein Holzkohlenfeuer, wo er je nach seiner Größe zwei bis drei Stunden zubringen muß, bis er allmählich ohne Luftzutritt die Rothglühhitze erreicht hat. Nun wird der Kasten herausgehoben und schnell in einen großen, mit reinem kalten Wasser angefüllten Behälter ausgeschüttet, wobei jedoch sehr darauf geachtet werden muß, daß kein Theil den andern berührt, sich verbiegt oder zerschlägt, und daß keine Luft zutritt. Die Eisentheile erhalten durch diese Behandlungsweise einen höheren Härtegrad und eine schöne, dunkelmarmorierte Farbe; wird letztere mehr hechtgrau gewünscht, so bringt man die Stücke in verdünnte Salzsäure und hierauf in heißes Seifenwasser, wonach sie gut abgetrocknet und abgefettet werden.

Nun erst geht das Gewehr seiner endgültigen Fertigstellung entgegen. Sind alle Theile poliert, graviert und gehärtet, die Läufe gebräunt oder matt geschmirgelt, so werden sie in einer Werkstätte abgegeben, wo alles sauber gereinigt, nochmals nachgesehen und sodann zusammengesetzt wird.

Aber noch ist für den Fabrikanten nicht alles gethan. Er begnügt sich nicht damit, ein fertiges Gewehr einfach zu versenden oder auf Lager zu legen, er will sich persönlich von der Güte und Brauchbarkeit seines Fabrikats überzeugen. Er unterwirft daher sämmtliche Gewehre einer eingehenden Schießprobe, zu welchem Zwecke er sich seinen eignen, mit allen Erfordernissen der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 274. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_274.jpg&oldid=- (Version vom 6.4.2024)