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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)


Octavia.

Ein Bild aus der römischen Kaiserzeit.0 Von Ernst Eckstein.


Der Staatsminister Lucius Annäus Seneca und der Garde-Befehlshaber Burrus – die beiden vornehmsten Rathgeber Neros und die eigentlichen Regenten des römischen Weltreichs – hatten bei der Ermordung der Agrippina, wie man zu sagen pflegt, fünf gerade sein lassen und sich die grausige That, deren zielbewußte Urheberin Poppäa Sabina war, als politisch nothwendig zurecht gelegt.[1]

Aus den nämlichen Gründen der Staatsraison machten sie nach erfolgter Beseitigung der Kaiserin-Mutter keinerlei Anstrengung, dem wachsenden Einfluß Poppäas auf Neros fernere Lebensführung entgegenzutreten. Dieser Einfluß nämlich erschien den damaligen Begriffen zufolge, außerordentlich harmlos, ja dem Wohl der Gesammtheit heilsam und förderlich. Poppäa Sabina, die langsam und weit ausholte, ehe sie den entscheidenden Wurf that, spielte mit vollendeter Meisterschaft die Rolle des liebenden Weibes, dem es lediglich um die Person des Geliebten zu thun ist, das nur beglücken, ergötzen, zerstreuen und selbstlos dienen will, ohne nach äußerem Vortheil, nach Herrschaft, Glanz oder Reichthum zu fragen. Es war, als habe sie vornehmlich eins im Auge: dem Drange des Kaisers nach freiester, innerer Entwicklung, nach Ausgestaltung seiner ureigensten Individualität, nach zwanglosem Daseinsgenuß auf allen Gebieten thunlichst Vorschub zu leisten. Je mehr sich der Fürst jedoch in den schäumenden Strudel des Lebens stürzte, um so weniger war die Gefahr vorhanden, daß er den beiden Männern, die damals am Steuer des Reiches saßen und dieses Steuer, trotz allem, was man im einzelnen ihnen vorwerfen mag, mit starkem Griffe und zum Segen der ganzen Bevolkerung handhabten, die Rechnung verderben und die erprobte altrömische Staatsweisheit durch persönliche Einfälle und selbstherrliche Launen durchkreuzen würde.

Poppäa verfolgte bei ihrer systematisch betriebenen Verstrickung des Kaisers in das Gespinst eines würdelosen Genußlebens freilich ganz andere Pläne. Sie wollte sich unentbehrlich machen; der Kaiser sollte ihr altes zu danken haben – sogar die Sättigung seiner künstlerisch ästhetischen Eitelkeit; er sollte sich um so leidenschaftlicher an sie festketten, als sie ihm praktisch bewies, daß ihre Fesseln nicht drückten, sondern ihm Raum ließen, da und dort schmetterlingsartig herumzuschwärmen, ohne dann bei der Rückkehr zu ihr ein verstimmtes und grollendes Antlitz zu finden. Im Gegentheil: der Born ihrer Großmuth und Güte schien unerschöpflich, so daß die kalt berechnende Gauklerin gerade in diesem Punkte für den leichtsinnigen Fürsten einen sehr vortheilhaften Gegensatz bilden mußte zu der stillen, erhabenen Trauer seiner Gemahlin, der edlen Octavia.

Poppäa, die klar begriff, daß die Entfremdung Neros von allem Ernsten und Würdevollen auch die Nachhaltigkeit seiner Entfremdung von Octavia verbürge, knüpfte zunächst bei einer an sich durchaus unbedenklichen Neigung des Kaisers an – bei seiner ausgesprochenen Vorliebe nämlich für hellenisches Wesen. Griechische Sprache, Kunst, Philosophie und Kultur hatten damals für Rom vielleicht noch größre Bedeutung als im verflossenen Jahrhundert für uns der Einfluß Frankreichs. Der Satiriker Juvenal hat dieser „Gräcomanie“ einen häufig citierten Exkurs gewidmet. In den Atrien – Salons – wurde früh bei den Morgengesellschaften (die Routs der klassischen Römer fanden unmittelbar nach Sonnenaufgang statt) oft mehr Griechisch gehört als Lateinisch. Liebende, die sich der Verskunst beflissen, richteten ihre Strophen häufiger an die Adresse einer griechischen zoë kai psyche („mein Leben und meine Seele!“) als an die einer nationalrömischen lux („mein Licht!“). Ja selbst die lateinschreibenden Dichter von Ruf, Horaz an der Spitze, ahmten die griechische Ode, das griechische Liebes- und Trinklied nach. Kein Wunder also, daß Nero, der am wenigsten römische aller Cäsaren, gleichfalls unter dem Banne dieser Mode stand und das „omnia graece“ („Alles auf Griechisch!) des Juvenal buchstäblich wahr machte.

Vor allem schwärmte er – wie das gesammte Alterthum bis in die späteren Jahrhunderte, wo dann Virgil zum klassischen Dichter gestempelt ward – für die Heldengedichte Homers. Und hier begegnen wir einem Zuge, in welchem sich Nero mit dem unsterblichen Phantasiegebilde des großen Cervantes, dem sinnreichen Junker Don Quixote von der Mancha, berührt. Wie dieser Hidalgo durch die fortgesetzte Lektüre längst überholter Ritterromane derart erregt und verstört wurde, daß er die Wirklichkeit völlig vergaß und sich anschickte, die „glorreichen Thaten“ eines Amadis von Gallien und eines Spiegelritters durch eigne Leistungen auf dem Gebiete des fahrenden Ritterthums in den Schatten zu stellen, so glaubte auch Nero, durch Poppäa in dieser Thorheit bestärkt, gewisse Gepflogenheiten der sagenhaften Heroen Homers ins Kaiserlichrömische übertragen zu können. Weil die Kriegshelden der Ilias – hellenischer Sitte gemäß – die Kunst des Wagenlenkens betreiben, eine Kunst, die auch später in Griechenland hochangesehen und geachtet war, hielt sich Nero, trotz der stark widerstrebenden Auffassung der Italiker, für berufen, diesen höchst unlateinischen Sport eifrig zu pflegen.

Burrus und Seneca, die sonst in der leidenschaftlichen Hingabe Neros an die Verwirklichung extravaganter Ideen nichts unerwünschtes erblickten, waren doch Römer genug, um diesen geradezu unerhorten Gelüsten ernsthaft entgegenzutreten. Sie hielten dem Kaiser vor, eine Obliegenheit, die man in Rom seit unvordenklicher Zeit ausschließlich durch Sklaven habe besorgen lassen, schicke sich nicht für den Beherrscher des Weltreichs; man könne nicht gleichzeitig Cirkuskutscher und Imperator sein. – Aber was half’s? Die schöne, in allen Künsten der Koketterie erfahrene Poppäa blies die ganze Moral der beiden Staatsmänner mit einem einzigen Hauche ihres blühenden Mundes über den Haufen. „Man gönnt Dir’s nicht; man strotzt von elendem Neide!“ raunte sie schmeichlerisch. „Spotte Du ihrer Kleinlichkeit und handle, wie es Dir gut dünkt! Wieß Es soll eine Schande sein, öffentlich einen Wagen zu lenken? Aber lenkt nicht Helios-Apollo den Sonnenwagen frei und leuchtend vor aller Welt – er, der unsterbliche Gott?“

Und richtig: Nero kam den Ministern mit dem unglaublichen Einwurf, auch Helios-Apollo sei Wagenlenker!

Nun gaben sie seufzend nach und ließen ihrem verschrobenen Herrn unweit des vatikanischen Hügels einen Hofcirkus bauen, wo er nach kurzer Frist unter dem donnernden Beifall der „Freunde“, das heißt der Höflinge auftrat.

Dieser Applaus aber scheint ihm ein wenig gar zu donnernd gewesen zu sein. Es verhielt sich damit wie mit den Schießerfolgen eines längst zu seinen Vätern versammelten deutschen Bundesfürsten, dem gelegentlich einer Schützenfeier der Jubelhanswurst flott hinter der Scheibe heraufsprang, während doch das Gewehr in den Händen des fürstlichen Schützen versagt hatte. Die römischen Höflinge klatschten auch dann, wenn die Pferde gestürzt waren oder die hohe Person des Lenkers beim Anprall der Räder wider die Zielsäule über Bord flog. So beschloß denn der Kaiser, dem Beispiel des Helios-Apollo folgend, die Oeffentlichkeit zu erweitern und dem gesammten Volke den Eintritt in den Hofcirkus freizugeben. Jetzt erst, da auch das „große Publikum“ Bravo brüllte – für den Pöbel war es ja in der That ein Genuß, die Vorurtheile der guten Gesellschaft so in den Staub getreten zu sehen – jetzt erst fühlte sich Nero völlig befriedigt und lebte fortan dem Glauben, der ausgezeichnetste Rosselenker und Cirkusfahrer aller Jahrhunderte und aller Volker zu sein.

Bald jedoch dürstete Nero nach Lorbeerkränzen auf anderen künstlerischen Gebieten. Poppäa hatte schon früher ihm eingeredet, die griechischen und lateinischen Verse, die er zum Preise ihrer Schönheit geschmiedet, ja vielleicht selbst komponiert und zur Leyer gesungen hatte, seien die Offenbarungen eines Genies; der Vortrag zumal überbiete an Glanz und Herrlichkeit alles, was man in Rom jemals von Sängern und Virtuosen vernommen habe. Nun regte sich in dem Kaiser der Ehrgeiz, derartige Leistungen ins Große zu treiben und zunächst vor der Hofgesellschaft als Meister des Lieds und der Schauspielkunst aufzutreten. Er ließ einen geeigneten Raum des Palastes zur Bühne verwandeln und eröffnete nun eine Reihe musikalisch-dramatischer Vorstellungen der tollsten Art, bei denen sich – um der geheimen Kritik des naserümpfenden Hochadels den Stachel zu nehmen – hervorragende Männer des ersten Standes, Beamte in ausgezeichneten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 276. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_276.jpg&oldid=- (Version vom 5.4.2024)