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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Poppäa beim Kaiser erschmeichelt hatte, vom Sockel gestoßen, verstümmelt, beschmutzt, ins Wasser gestürzt oder zum Anger der Missethäter geschleift wurden.

Poppäa Sabina tobte vor Wuth. so nahe am heißersehnten Ziele, sah sie nun alles wieder in Frage gestellt. Wenn sich morgen die Prätorianer ebenso einmüthig und nachdrücklich wider sie aussprachen wie heute das Volk, so konnte sie ruhig ihr Bündel schnüren und irgendwo in der Verborgenheit einer sang- und klanglosen Villeggiatur Rast halten von den verwegenen Träumen der Weltherrschaft. Nur ein rascher und rücksichtsloser Griff nach dem Aeußersten konnte ihr die halb schon verlorene Stellung zurückerobern. Es mußte gehandelt werden um jeden Preis – Octavia mußte fallen, wie einst Agrippina gefallen war; die bloße Verbannung reichte jetzt nicht mehr aus.

Von diesem Gedanken erfüllt, wandte sich Poppäa an ihren altbewährten Helfershelfer, den Flottenbefehlshaber Anicetus. Sie heischte von dem feilen Gesellen, der an Erbärmlichkeit und Niedertracht selbst den neuen Prätorianer-General übertraf, eine todbringende List im Stil jenes Prunkschiffes, das die Kaiserin-Mutter hatte ertränken sollen. Anicetus gab zu bedenken, daß ein solcher Gewaltakt, wenn er entdeckt würde, eine blutige Wiederholung des kaum überstandenen Aufruhrs herbeiführen konnte. Auch mag sich der Frevler im Besitz der vielen Millionen, die ihm die Tötung der Agrippina eingebracht hatte, zu froh und behaglich gefühlt haben, um seine üppige Existenz noch einmal aufs Spiel zu setzen. Da drohte ihm Poppäa mit der Enthüllung seiner – bis jetzt durch die Gerüchte vom Selbstmord der Agrippina bemäntelten – Unthat. Beweise dafür, daß er gedungen war, hätte er schwerlich beibringen können, alle Verantwortung wäre sonach an ihm, dem Werkzeug, hängen geblieben, während Poppäa selber durch Nero gedeckt war. Er sah das ein, und so fügte er sich.

Nach umständlicher Verhandlung kamen die beiden zu dem Entschluß, die ungeschickte Erfindung, die man zuerst gegen Octavia versucht hatte, durch eine zweite, glaubhaftere zu ersetzen und diesmal den Kaiser da anzupacken, wo er am zugänglichsten war: bei der Sorge um seinen Thron.

Es läßt sich hier kaum feststellen, wie weit Nero getäuscht wurde oder mit eingeweiht war. Nach allem, was wir bis dahin erzählt haben, bleibt es psychologisch wahrscheinlich, daß Poppäa der Thatkraft Neros der jungen Kaiserin gegenüber mißtraute und es für zweckmäßig hielt, ihm Furcht einzuflößen. In diesem Falle hätte der Kaiser also geglaubt, Octavia wolle sich für die erlittene Schmach rächen – was im Gegensatz zu der abgeschmackten Beschuldigung jenes ersten Prozesses immerhin denkbar gewesen wäre. Andererseits spricht auch manches dafür, daß Nero mit im Rathe gesessen und die Komödie des Anicetus gebilligt hat. In dieser Epoche war der entartete Claudier zu allem fähig.

Folgendermaßen ging man zu Werke. Anicetus machte bei einem Trinkgelage in scheinbarer Unvorsichtigkeit allerlei Andeutungen, aus denen hervorgehen sollte, er sei ein begeisterter Anhänger der schönen Octavia, stehe bei ihr persönlich in höchster Gunst und theile den Ingrimm des Volkes gegen die aufdringliche Poppäa. Verhaftet und zur Rede gestellt, spielte er den Verblüfften, der alles entdeckt wähnt, und legte, um Gnade flehend, ein „offenes Geständniß“ ab. Ja, er stand mit der jungen Kaiserin auf dem vertrautesten Fuße, ja, er war ein glühender Feind Neros und seiner Regierung; ja, er hatte sich mit Octavia verschworen, die misenische Kriegsflotte, deren Befehl er führte, aufzuwiegeln, um den Kaiser zu stürzen.

Das klang immerhin etwas glaubhafter als jene erste Beschuldigung. Die Absicht Octavias, den Tyrannen, der sie so schmachvoll entehrt und gepeinigt hatte, vom Throne zu stoßen, mußte gerade demjenigen Theil der Bevölkerung einleuchten, der noch sittliche Kraft genug besessen hatte, um sich jüngst über das unerhörte Urtheil des Senats aufzuregen. Anicetus galt vielleicht in den Augen dieser Getäuschten für den heroischen Perseus, der sich anheischig macht, die unglückliche Andromeda vor dem Drachen zu retten; denn, wie gesagt, die Blutschuld des Admirals war noch unbekannt.

Die Sache verlief denn auch völlig programmgemäß, ohne daß sich ein Sturm der Entrüstung erhob wie das erste Mal ...

Octavia ward vorläufig nach der Insel Pandataria im Tyrrhenischen Meere verbannt; gleich danach aber – wie es scheint, durch einen Akt unkontrollierbarer Kabinettsjustiz – zum Tode verurtheilt.

Ein paar zuverlässige Centurionen der Leibgarde betraute man mit der Vollstreckung.

Als die Kriegsleute auf Octavia zutraten und ihr mittheilten, daß sie nun sterben müsse, brach sie laut aufjammernd in die Kniee. „Unter glühenden Thränen flehte sie um ihr Leben, sie, die unglückliche, die Enterbte, für die Leben und Leiden doch eins war.“

Es ist ein außerordentlich rührender Zug in dem sanften mädchenhaften Charakterbilde Octavias, daß sie nichts von dem majestätischen Heroismus besaß, den die große Verbrecherin Agrippina beim Sterben bekundet hatte, den Arria bewies, als sie den Dolch sich in die Brust drückte und dann die blutende Waffe ihrem verurtheilten Gatten darbot mit den lächelnden Worten „Siehe, es schmerzt nicht!“ Octavias kaum zwanzigjährige Jugend, die vielleicht immer noch hoffte, bäumte sich auf; sie wollte, trotz allem, was sie gelitten, die Sonne noch schauen, die ringsumher soviel Wonne und Glück bestrahlte, wenn auch die Dulderin selbst bitterwenig davon genossen hatte. Vater, Mutter und Bruder waren ihr früh durch gewaltsamen Tod geraubt worden; ihre Ehe mit Nero war eine unablässige Folter gewesen; zuletzt hatte man ihr schuldloses Haupt mit Schande und Schmach überhäuft –: überall Kummer, Elend, Verzweiflung ... Und dennoch klammerte sich ihr trauerndes Herz mit der Kraft einer fiebernden Todesfurcht an dies werthlose Dasein; dennoch blieb sie durchaus ohne Fassung, selbst als sie wahrnahm, daß die Bewaffneten hier nur ein Amt hatten, keinen persönlichen Willen.

Die Art und Weise, wie sich die Centurionen ihres scheußlichen Auftrags entledigten, spricht dafür, daß die Erscheinung des lieblichen, hilflosen Wesens die Gemüther sogar dieser Henker zur Weichheit stimmte. Im Gegensatz zu der Brutalität, mit der sich die Kreaturen Poppäas in der Villa zu Bauli auf die Kaiserin-Mutter warfen, sie mit Stockschlägen mißhandelten und dann blind drauf losstießen, verfuhren die Prätorianer hier beinahe zartfühlend. Octavia wurde mit aller Schonung gefesselt und nach dem Warmbad ihrer Villa gebracht. Im Caldarium öffnete man ihr die Pulsadern – eine Todesart, die in der Kaiserzeit auch bei Selbstmorden sehr gewöhnlich war und für die mildeste und schmerzloseste galt. Jetzt noch sträubte sich die Natur des Opfers; das Blut entströmte ihr mit erschreckender Langsamkeit, so daß einer der Centurionen, von Mitleid ergriffen, dem Jammer ein Ende machte, indem er die Sterbende unter das Wasser drückte.

„Noch etwas Grausenhafteres folgte,“ sagt der Geschichtschreiber Tacitus. Das Haupt der Ermordeten nämlich wurde der rachedurstigen Feindin nach Rom gebracht. Man sieht, Poppäa war eine höchst gelehrige Schülerin Agrippinas, die sich die gleiche fürchterliche Genugthuung bei der Abschlachtung ihrer Gegnerin Lollia bereitet hatte.

Und nun erhob sich, um das Maß der Niedertracht voll zu machen, als Chorus zu dem blutigen Trauerspiel der Senat. Diese entartete Körperschaft huldigte damals dem Grundsatz: „Für jede Mordthat ein Dankgebet.“ So beschlossen denn die versammelten Väter Opfer in allen Tempeln zur Bekundung der Nationalfreude über die gnadenvolle Errettung des Kaisers aus den Intriguen Octavias!

Poppäa war nun am Ziel ihrer Wünsche. Ihrer Verbindung mit dem Gemahl der Ermordeten stand nichts mehr im Wege. Wer ihr am Hof noch bedenklich schien, ward entlassen oder mit Gift und Dolch aus der Welt geschafft. Das wankelmüthige Volk hatte längst vergessen, daß es die Standbilder dieser bluttriefenden Frevlerin einst in den Staub gezerrt. Es jauchzte der neuen Kaiserin zu wie einst der zurückberufenen Octavia. Es nahm theil an den schmachvollen Orgien, die Nero in wilder Verhöhnung des Rechts und der Sitte aus dem Kaiserpalast hinaus auf die Straße trug. Poppäa war die eigentliche Regentin des Reiches. Ihre fürchterliche Moral durchdrang wie ein schleichendes Gift die ganze Gesellschaft. Mehr und mehr brachte sie in dem Kaiser jenen wahnwitzigen Dämon zur Reife, der aus dem Abgrund der Weltgeschichte uns angrinst wie der Traum eines Fieberkranken. Sie ahnte nicht, daß sie nach kurzer Frist selbst – und zwar bunchstäblich – unter den Fußtritten dieses Scheusals verenden sollte, im letzten Augenblick noch von dem Wahne gefoltert, daß es der Geist der Octavia sei, der dies wohlverdiente Unheil auf sie herabgefleht.




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