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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)


BLÄTTER UND BLÜTHEN.



Deutsche Singvögel als italienische Delikatesse. Kürzlich sah ich in dem Schaufenster einer Wildbret- etc. Handlung zu Berlin haufenweise Lerchen liegen. Ich ging hinein, sprach mit dem Inhaber des Geschäfts und stellte ihm vor, daß er sich strafwürdig mache, da Lerchen nach dem Reichsgesetz zum Schutze nützlicher Vögel in Deutschland nicht mehr gefangen und feilgeboten werden dürften. Der Mann war einsichtig genug, mir zu danken und die Lerchen sogleich zu entfernen. Seitdem habe ich mich aber mehrfach in den Schaufenstern derartiger Geschäfte umgesehen und daselbst leider gar nicht selten Lerchen, Ortolane, Fett- oder Gartenammern und auch andere Ammerarten gefunden.

Während die Lerchen in früherer Zeit im Königreich Sachsen massenhaft gefangen und von dort aus versendet wurden, während dann, nachdem der Lerchenfang in Sachsen verboten worden war, die „Leipziger Lerchen“ aus dem Königreich Preußen, aus der Umgebung von Halle und Erfurt, kamen – werden sie jetzt als italienische Delikatesse zu uns in den Handel gebracht! Aber damit ist es noch nicht genug!

Eine Handlung in Berlin hat Dutzende von Körben mit vielen Hunderten von Zeisigen, Leinzeisigen, Hänflingen, Grünfinken, Stieglitzen, Edelfinken, Dompfaffen, Lerchen, auch Rothkehlchen, Grasmücken, Zaunkönigen u. a. als Handelsware aus dem Süden bezogen und hält dieselben zum Verkauf für die Küche feil. Man bedenke: Vögel unserer Fluren und Wälder, welche in unsrer Heimath erbrütet und flügge geworden und als Wandergäste nach dem Mittelmeer gezogen sind, werden dort, in Oberitalien, Griechenland und auch im Österreichischen Wälschtirol nicht mehr bloß wie bisher zu vielen Tausenden erlegt und gefangen, sondern auch als „Delikateßware“ wieder zu uns herausgesendet und uns zum Kaufe angeboten! Giebt es einen größeren Hohn auf alle Gesetze und Bestrebungen zum Schutze unserer Vögel als diesen? Sache aller Natur- und Vogelfreunde wird es sein, sich in Eingaben an die zuständigen Stellen zu wenden, damit eine schlimme Lücke in dem Reichsgesetz zum Schutze der für die Bodenkultur nützlichen Vögel beseitigt werde. Jener unerhörte Mißbrauch nämlich, von dem wir gesprochen, ist nach dem Reichsgesetz keineswegs verboten. Die toten Vögel dürfen vielmehr nach dem § 3 in der Zeit vom 16. September bis letzten Februar feilgeboten und verkauft werden, und die Unterdrückung dieses Mißbrauchs ließe sich auf Grund des Reichsgesetzes nur durch den Nachweis erzielen, daß der Fang und die Erlegung vermittelst einer verbotenen Fangweise geschehen sei.

Allerdings ist es allbekannt, daß unsere Vögel auf ihrem Zuge nach dem Süden massenhaft vermittele großer Netze gefangen werden, die verboten sind; wer könnte aber die ungesetzliche Fangweise an den toten Vögeln bei den Verkäufern beweisen?

Angesichts der vermehrten Gefahr, welche sonst den europäischen Wandervögeln droht, sollten alle, die ein warmes Herz für unsere Singvögel in der Brust tragen, dahin streben, daß die Gesetzgebung diesen Auswüchsen der Genußsucht einen festen Damm entgegenstelle.Dr. Karl Ruß.     

Abendglocken. (Zu dem Bilde S. 264 und 265.) Abendlich still ruht die weite Fläche des Chiemsees, der letzte rothe Schein ist drüben an der Kampenwand verglommen, und sachte steigt der Mond am dämmernden Himmel empor. Das Tagesgeräusch ist verhallt, kein Schiff mehr weitum zu sehen bis auf den alten Einbaum, der zwei fromme Schwestern nach der Insel Frauenwörth zurückführt. Sie kommen von Uebersee, haben allerhand eingekauft für des Klosters Bedarf, und jetzt sind sie nach des Tages Geschäft und Hitze der Heimkehr in ihr stilles Kloster froh. Ein Glöcklein ertönt von drüben, deutlich trägt das Wasser seinen Schall herüber! Die frommen Frauen erheben sich in lautlosem Gebet, der Fischerhans faltet die schwieligen Hände, das Lisei hält mit Rudern inne – der Tropfenfall davon klingt leise zu dem Glockenton von drüben.

Es ist ein getreues Bild vom Chiemsee, das uns hier der Künstler giebt: Stille und Einsamkeit findet dort der Weltmüde in vollem Maße, und mancher, der an solchem Sommerabend sein Schifflein auf der lautlosen Fluth treiben ließ, wird beim Betrachten unsres Bildes an den Frieden jener Stunde zurückdenken! Br.     

Ein verborgenes Schloß in Tirol. (Mit Abbildung S. 281.) Wer einmal zur Herbstzeit das im Schmuck seiner Reben und Kastanienwälder prangende Meran sah, der weiß auch zu erzählen von den altersgrauen Schlössern Tirol, Schönna, Katzenstein, Planta u. a., welche dem wundervollen Landschaftsbild noch den Reiz geschichtlicher Erinnerung hinzufügen. Mindestens die Hälfte der fußwandernden Touristen aber verläßt Meran ohne eine Ahnung davon, daß sein allermerkwürdigstes Schloß von ihnen ungesehen blieb, weil es nicht gleich den anderen auf freier Höhe, sondern versteckt mitten in der Stadt liegt, hinter den „Tuchlauben“, der verkehrsreichen, bogenüberwolbten Hauptstraße.

Man muß schon genauer zusehen, um den Thoreingang zu finden, welcher zu der alten landesfürstlichen Burg führt. Erzherzog Sigismund hat sie sich im 15. Jahrhundert zur Sommerresidenz erbaut, nach ihm hausten hier Kaiser Max und Ferdinand I. mit Familie, sie schätzten alle die „gute Luft“ in Meran, wiewohl sie im Innern ihrer Burg nicht viel davon genossen haben können.

Denn enge ging es hier zu! Schon der schmale Pförtleinsausschnitt im großen Thor muthet seltsam an; durch ihn steigt man in den kleinen Hofraum, wo kaum zwei Berittene wenden konnten. Dann geht es über schräge, hölzerne Treppen und Galerien, die frei unter dem vorspringenden Dache liegen, ins Innere. Alte Wandmalereien und Wappenschilder schmücken die ziegelbelegten Vorplätze, verhältnißmäßig viel Raum nimmt die Hauskapelle ein, dann folgen die wenigen Zimmer, wo sowohl das Ingesinde als die kaiserlichen Kinder in mehrschläfrigen Betten liegen mußten, sollte der Raum überhaupt reichen. Holzvertäfelte Erkersitze an den Fenstern der Wohnzimmer, große Thonöfen in den Ecken, geschnitzte Truhen und Trühelchen geben den Räumen ein anheimelnd behagliches Gepräge. Da und dort steht ein uraltes getriebenes Kupfergefäß; eine Wanduhr ohne Kasten mit seltsamen eisernen Zahnrädern und Gewichten zeigt die erste unbehilfliche Konstruktion der Nürnberger Erfindung. Es ist ein völliger Schritt ins Mittelalter, den man hier thut, und die Empfindung davon umfängt den Besucher mit merkwürdiger Lebhaftigkeit – nicht am wenigsten in der kleinen, armseligen Küche zu ebener Erde, wo eine offene Feuerstelle mit Rauchfang, ein Wasserstein und Schöpfkrug die ganze Einrichtung ausmachen. Kein Backofen! Braten wurden am Spieße gemacht, die Lebküchlein und Gewürzzelten auf Blechen zum Bäcker getragen. –

Und vollends die Spielplätze der Kinder, wenn draußen schlechtes Wetter war, die engen Galerien und Estriche! Auf einer der ersteren saß, als ich das Schloß besuchte, die Kastellanin an ihrer – Nähmaschine wie eine Verkörperung der überall eindringenden Neuzeit ... R. A.     

Bernhard Baumeister. Vierzig Jahre sind es am 7. Mai, seit Bernhard Baumeister, ein Liebling der Wiener unter der alten Garde des Burgtheaters, zum ersten Male auf den Brettern dieses Hauses auftrat. Vierzig Jahre – und es klingt heute fast unglaublich, was ehedem Baumeister für Dinge zugemuthet wurden, die seinem Wesen so fern als möglich lagen. Hatte er doch, als er über die Schwelle der Burg trat, den sentimentalen Brackenburg und alle lyrisch flötenden Liebhaber des alten Spielplans zu geben. Noch seltsamer aber war es, daß man mit Baumeister seinerzeit eine Art Musterknaben zu gewinnen dachte, der den hübschen und leichtsinnigen Fritz Devrient ersetzen sollte, welcher sich von seinen Wiener Gläubigern und vom Burgtheater ohne Abschied, aber mit einem stattlichen Vorschuß getrennt hatte. Unser Jubilar mag jetzt nicht ohne Rührung auf jene Zeit zurückblicken, da die aufkeimende Liebe der Wiener zu ihm sich in mehreren Ausgleichsfeldzügen gegen seine Gläubigerscharen bethätigte. Der Frack, welchen ihm der kürzlich verstorbene Burgschauspieler Arnsburg einst zu einer Gastrolle geliehen hatte, wurde dem Künstler, der sich an der Burg immer entschiedener in die Naturburschen- und Lebemännerrollen hineinwuchs, bald zu enge, und Baumeister, über dessen eigentliches Fach die Direktoren der reisenden Gesellschaft in Pommern, der er sich 1846 als achtzehnjähriger Jüngling angeschlossen, der Hoftheater von Schwerin, Hannover und Oldenburg, sowie des Stettiner Stadttheaters unklar gewesen, stand fortan über ein Menschenalter lang fest in den humoristischen Charakterrollen, in denen ihn wohl kein Zeitgenosse auf der deutschen Bühne erreicht hat.

Die Schlichtheit, die Wahrhaftigkeit des Tones, die ihn auszeichnete, befähigte ihn aber auch in der Folge zur Darstellung jener Väterrollen, wie Musikus Miller, Kriegsrath Dallner, in welcher die deutsche Bühne unleugbar sowohl der französischen als der englischen überlegen ist. In dieser Beziehung schließt er sich unmittelbar an die großen Meister in diesem Fache, an Schröder, Iffland, Esslair und Anschütz an. Einer der gründlichsten Kenner des deutschen Theaters, Emil Bürde, schrieb uns hierüber einmal: „Baumeister hat den Ton in der Kehle, nein, nicht in der Kehle, in der Brust, der uns alle die Empfindungen als echt erscheinen läßt, an deren Wahrheit wir in den Rollen dieses Faches unbedingt glauben müssen. Dieser Ton, den Baumeister so unnachahmlich zu gebrauchen versteht, der ihm so überzeugend aus dem Gemüth, dem Herzen kommt, wir bezeichnen ihn am richtigsten mit dem Worte ‚väterlich‘.“

Hierbei darf man allerdings nicht an Väter denken, wie Wallenstein, König Philipp und Lear, die vielmehr dem Heldenfache zuzuweisen sind, sondern an Rollen, die, wie der Klosterbruder in „Nathan dem Weisen“, am meisten den Ton und alle Eigenschaften erfordern, welche für das Fach der Väterrollen entscheidend sind. Als „Klosterbruder“ ohne seinesgleichen auf der deutschen Bühne, zählt Baumeister zu seinen vorzüglichsten Rollen heute den Götz von Berlichingen, den Musikus Miller und den Richter von Zalamea. Was er hier leistet, ist so sehr über jede Anfechtung erhaben und so großartig, daß wir ihm zu seinem Jubeltag nur wünschen, er möchte so selten als nur möglich zu anderen Rollen, wie derjenigen des Illo und ähnlichen, gezwungen werden, auf die ihn seine eigenste Natur einmal nicht hingewiesen hat.

Zwei Gazellen. (Zu dem Bilde S. 285.) Arabische Dichter pflegen seit alter Zeit die Schönen ihrer Heimath mit der Gazelle zu vergleichen. Kein Wunder, denn die Gazelle ist die schönste aller Antilopen, der anmuthigste lebendige Schmuck der Steppen und Wüsten Nordafrikas. Das haben alle Naturforscher, welche die Thierwelt Afrikas in ihrer ungebundenen Freiheit beobachten konnten, unumwunden zugegeben und selbst unser Reh im Vergleich zu der Gazelle plump genannt.

Das in der Steppe so überaus scheue Thier wird, wenn man es jung einfängt, außerordentlich zahm und zutraulich; es folgt auf den Ruf, kommt an den Tisch, um Brot zu erbetteln und sehnt sich nicht nach der Freiheit zurück. In allen Städten Nordafrikas kann man darum zahme Gazellen sehen, die hier die ausgesprochenen Lieblinge der maurischen Frauenwelt bilden.

Maler F. M. Bredt zeigt uns auf seinem anmuthigen Bilde das Innere eines maurischeu Hofes in der alten Piratenstadt Tunis. Hier, innerhalb des Hauses, sind die Töchter des Landes unverschleiert, und ihr Anblick rechtfertigt die Vergleiche der arabischen Dichter. In ihrer schmucken Haustracht gleicht die junge Maurin wohl der reizenden Gazelle und die Gluth ihrer Augen verräth, daß auch sie eine Tochter der Wüste ist. *      

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 290. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_290.jpg&oldid=- (Version vom 5.4.2024)