Seite:Die Gartenlaube (1892) 318.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

„Schade um die schone Begeisterung!“ brummte August.

„Schade, wahrhaftig!“ stimmte Onkel Christian bei, „schade auch um all die Aufzeichnungen, die philosophischen Betrachtungen, die ich – wie oft beim flackernden Scheine des Lagerfeuers! – für jene Unwürdige niederschrieb, für jene falschen Augen, die nichts darin zu lesen wußten als Fingerzeige, um sich meiner vollends zu bemächtigen ...“

„Aber sie – Julia – sie schrieb doch auch?“ rief Hilda gespannt.

„Gewiß, sie schrieb auch – flüchtige Antworten, meist in wenigen Zeilen, dennoch wahre Kabinettstücke von Schlauheit und Koketterie, die nichts sagten und doch genug errathen ließen, um meine Neigung stets neu anzufachen und mich zu rückhaltslosem Aussprechen zu ermutigen.“

„Nun bin ich aber doch neugierig auf die dramatische Schürzung oder Lösung des Knotens!“ sagte Edwin. „Ihr habt Euch hoffentlich wiedergesehen?"

„Ja, nach qualvoll langer Zeit, nach einem Jahre haben wir uns wiedergesehen, in Venedig, und zufällig, wie ich glaube.

Mein Regiment verließ damals Italien mit der Bestimmung, nach einer deutschen Garnison überzusiedeln. Julia, noch immer ohne festes Engagement, schlug selbst vor, wir sollten uns während des Marsches irgendwo in Kärnten oder Steiermark begegnen. Freudig stimmte ich bei, ohne zunächst eine nähere Nachricht zu erhalten. Eines Tages schloß ich mich einigen Kameraden an, die, eine kurze Rast in Udine benutzend, nach der Lagunenstadt hinüberfuhren. Im dortigen Theater spielte eine gute Truppe; die Gefährten wollten die Aufführung besuchen, während ich es vorzog, den Mondschein zu genießen. Träge blieb ich in der Gondel liegen, die uns zur Piazetta gebracht hatte. Es war eine jener bezaubernden Nächte, wie man sie in Venedig erlebt – ringsum alles still, nur ab und zu der leise Ruderschlag eines vorbeigleitenden Schiffchens.

Plötzlich ward es laut oben auf der Piazetta; ich erkannte die Stimmen der Freunde – sie riefen meinen Namen, doch ich rührte mich nicht.

Da schlug ein Laut, ein leises Lachen an mein Ohr und rüttelte mich auf. Mit einem Satze stand ich an der Treppe, auf deren oberstem Absatz jetzt eine Frauengestalt sichtbar wurde. Julia war’s! Sie schwebte die Stufen herab, bis ihre Hand meine Schulter berührte. ‚Mein edler Ritter!‘ hauchte ihr Mund, und wieder wie damals neigte sie sich langsam vor, mir tief ins Auge sehend. Ich hatte ihre Hand erfaßt, und im Taumel des Augenblicks würde ich sie wohl mit beiden Armen umfangen haben, wären die anderen nicht hinzugetreten, Madame Helonin und die Freunde. Diese hatten die beiden Frauen in einer Loge des Theaters entdeckt, und nach lebhafter Erkennungsscene waren sie gemeinsam ausgezogen, mich zu suchen. Nun blieben wir in der herrlichen Mondnacht auf dem Markusplatz beisammen bis lange nach Mitternacht, aber zu einem ungestörten Gespräch mit Julia ergab sich keine Gelegenheit. Und schon am nächsten Morgen mußte geschieden sein! Doch es war ein fröhliches Scheiden, denn ich hatte berechtigte Hoffnung, daß wir uns in Bälde in Wien treffen würden. Julia hatte bereits ihren Vertrag mit einer Bühne dort unterzeichnet, und ich war dem Inhaber unseres Regiments als Adjutant vorgeschlagen, dem alten Fürsten J., der nur in der Residenz zu existieren vermochte.

Dieses unerwartete Wiedersehen in Venedig hinterließ bei mir sehr getheilte Empfindungen. Es hatte mir zum Bewußtsein gebracht, wie fremd wir einander doch innerlich waren, Julia und ich, wie auch der rege Briefwechsel die Kluft keineswegs überbrückt hatte. Das betrübte mich. Andererseits fühlte ich mit Befriedigung, daß wir in einer Beziehung die Rollen getauscht hatten: ich hatte an Sicherheit des Auftretens gewonnen – wie ich meinte, auch an Besonnenheit und Erfahrung – während sie jetzt befangen mir gegenüberstand, zaghaft und scheu, wie ich sie früher nie gesehen hatte.“

„Ein Zeichen von echter Neigung,“ bemerkte Edwin.

„So deutete auch ich es; allein dem Jubel, der mich darob erfüllte, gesellte sich eine unbestimmte Bangigkeit vor der Zukunft. Was sollte werden? Seit der erneuten Begegnung schien Julia mir erst recht unfaßbar – wie ein Phantom.

Ich holte ihre Briefe hervor, die ich all die Jahre gehütet hatte wie mein bestes Kleinod; indessen als ich nun ihr Herz daraus ergründen wollte, wurde ich mit peinlichem Erstaunen gewahr, daß sie fast nur abgebrauchte Redensarten enthielten. Da war von ‚Verwandtschaft der Seelen‘ die Rede, von einer ‚Fügung des Himmels‘, die unser Schicksal ‚für ewig zusammengekettet‘, und dergleichen mehr. Aber nichts, nicht ein Wort, das mich auf ihr Gemüthsleben, ihre Lebensanschauungen, auf ihr eigentlichstes Wesen hätte schließen lassen! Ach, erlaßt mir den Rest – es ist eine peinliche Erinnerung!“

Ein Murren ging durch die kleine Versammlung. „Wir haben zuviel gehört, um auf den Rest verzichten zu können,“ nahm Jette das Wort. „Wir wollen wissen, wie Du entkamst ...“

„Ich entkam eben nicht ...“

„Wie, Onkel Christian, Du entkamst nicht?“

„Eigentlich nein, Leonore! Die Schlinge zog sich unaufhaltsam zu – nur äußere Umstände halfen dann, sie zu lösen.“

„Wie kam das? O bitte, erzähle!“

„So hört denn! Nachdem ich glücklich als Adjutant in Wien eingetroffen war und so die Möglichkeit hatte, Julia häufig zu sehen, rechnete ich auf einen ehrlichen unbehinderten Gedankenaustausch; denn gotttob, die ‚Garde‘ war entlassen, und Madame nahm es mit der Pflicht des Hütens auch leichter als vor Jahren. Allein nun begann erst meine Qual.

Ich liebte Julia, glaubte auch an ihre Neigung, und doch mußte ich schmerzlich jedes Vertrauen ihrerseits vermissen, jedes aufrichtige verständige Eingehen auf meine Eigenart, was mir unumgänglich nöthig schien, um unsere Beziehungen wirklich innig zu gestalten.

Bald wußte ich, daß sie keineswegs dem Ideal entsprach, das ich von meiner Lebensgefährtin im Herzen trug. Ihre Unaufrichtigkeit verletzte mich aufs empfindlichste, auch andere Charakterzüge mißfielen mir und beunruhigten mich. Noch maß ich alle Schuld dem bösen Einfluß von Madame Helonin zu, deren gemeine Natur sich allmählich mit Behagen enthüllte. Sie ließ es Julia entgelten, daß deren Talent in Wien keine Anerkennung fand; ihre Verstimmung und Streitsucht schufen eine schwüle Luft in dem öden Heim der beiden Frauen. Zudem nahm Julias Reizbarkeit zu mit ihren Mißerfolgen. Trotzdem sah ich mit offenen Augen zu, wie die Maschen des Netzes der intriguanten Frau sich enger und enger um mein Haupt zusammenzogen. Es fehlte mir an Muth, an entschlossener Ueberzeugung, um der Gefahr rechtzeitig zu entfliehen. – Du zuckst verächtlich die Achsel, Edwin? Was willst Du Freund! Ich liebte und wähnte mich wieder geliebt!

Eines Tages kam ich unerwartet in die Wohnung Julias und wurde Zeuge eines widerlichen Streites zwischen den beiden Frauen. Bevor sie auf meinen Zuruf acht gaben, hatte ich Vorwürfe, Schmähungen und Ausdrücke vernommen, wie sie einer feinfühligen Natur völlig unwürdig waren. Madame Helonin tobte, und als sie mich erblickte, kehrte sich ihre Wuth alsbald gegen mich.

‚Sie sind schuld, Sie allein, an der Undankbarkeit dieser Kröte!‘ schrie sie. ‚Sie will jetzt ihre eigenen Wege gehen, sie wird schon sehen, wo das endet und wie ihr edler Ritter sie in der Patsche stecken läßt. Was wollen Sie eigentlich von ihr? Sie haben ihr Herz geraubt, ihr Talent ist gelähmt durch diese blöde Liebe – nun, und was soll’s?‘ Ich stand starr vor diesem wilden Ausbruch häßlicher Wuth, da warf sich Julia an meine Brust. ‚Retten Sie mich - errette mich von diesem Dämon!‘ flehte sie. Das entschied.

Noch am selben Abend reiste ich nach Prag, um die Einwilligung meiner Eltern zu erflehen.“

„Herrje! Soweit ist es gekommen?“

„Nein, gottlob – es kam doch nicht soweit; dieser Schlag sollte meinem armen Vater erspart bleiben, um einen schweren Preis allerdings – seine Erkrankung band mir die Zunge. Dennoch sage ich ‚gottlob!‘ Denn in jenen bangen Tagen, welche ich mit meiner Mutter in schwerem Kummer an seinem Krankenlager verbrachte, erfuhr ich erst recht, wie sehr das Herz des strengen Mannes an mir hing, welche Hoffnungen er in meine Zukunft setzte; und ich sah wohl ein, daß sein hochmüthiger starrer Sinn nie einwilligen würde, sich diese Tochter zuführen zu lassen. Und war denn Julia dessen auch würdig? Wieder und wieder trat diese Frage in der trostlosen Stille jener Tage vor mein inneres Auge, und ich wagte nicht, sie zu bejahen. Des Vaters Geist blieb umnachtet, selbst als endlich Besserung des körperlichen

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 318. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_318.jpg&oldid=- (Version vom 10.8.2020)