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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

klagend machte das getroffene Thier einen verzweifelten Sprung und lag verendet auf der Erde.

Da kam Lippele um die Ecke gesprungen. Hastig griff Wolfrat zu und verbarg die tote Katze unter seiner Jacke; er hätte sie gerne wieder lebendig gemacht; das Thier war seines Buben Liebling und Spielkamerad gewesen. Mit raschen Schritten ging er dem Hag zu und trat auf die Straße. Scheu blickte er sich um und warf die Katze in den vorbeirauschenden Seebach.

Dann schlug er neben der Zaunthür das Totenbrett seines Kindes, die bemalte Seite gegen die Straße gewendet, mit dem Hammer aufrecht in die Erde.[1] Es sollte jedem vorüberwandernden Menschen sagen: „Bet’ ein Vaterunser, hier ist der Tod gewesen und hat sich wieder auf den Weg gemacht nach einem anderen Haus ... bet’, bet’, vielleicht bist Du der nächste!“

Als Wolfrat den letzten Hammerschlag gethan hatte, ging Zenza auf der Straße vorüber. Sie sah weder den Sudmann noch das Brett, mit finsteren Augen schaute sie nur immer vor sich hin auf die Erde.

„Bet’, bet’,“ sagte das Totenbrett, „vielleicht bist Du die nächste!“

Wolfrat warf den Hammer über den Hag und wollte sich auf den Weg nach dem Sudhaus machen. Die Pfannen mußten vorgeheizt werden, wenn der Sud mit dem kommenden Werktag wieder in vollem Gang sein sollte. Da gewahrte er, daß er auf der Seite, auf welcher er die erschlagene Katze getragen hatte, von der Brust bis zum Knie mit Blut betropft war. „Mensch oder Katz’ ... es bleibt halt allweil was hängen an einem!“ murmelte er und stieg zum Ufer der Albe hinunter, um sich zu reinigen. Er schöpfte ein paar Hände voll Wasser, und die Flecken waren getilgt. „Ob’s wohl für das andere auch ein Wasser giebt?“

Als er wieder hinaufstieg zur Straße, hörte er Hufschlag. Er wollte dem Zug, der sich näherte, nicht begegnen und sprang hinter ein Gebüsch. Mit lautem Geplauder zogen sie vorüber: voran Herr Heinrich von Anzing, der Propst des Klosters, und Herr Schluttemann, beide zu Pferde; hinter ihnen Frater Severin zu Fuß, mit geschürzter Kutte, den Bergstock führend; an seiner Seite Walti mit vollgepfropftem Rucksack; dann noch vier Klosterknechte mit schwer beladenen Kraxen.

„Der Haymo wird Augen machen, wann er uns kommen sieht!“ sagte Frater Severin, als er an dem Gebüsch vorüberschritt, hinter welchem Wolfrat stand. „Ich freu’ mich schon auf ihn! Weißt, Bub’, ein Gärtner hat allweil die Sonne gern’ ... sie scheint so lieb und warm in Haymos Augen!“

„Möcht’ wissen, warum er gestern gefehlt hat beim Ostertanz!“ sagte Walti. „Ich hab’ ihm eine Botschaft sagen wollen und hab’ gewartet ...“

Das Rauschen der Albe verschlang die Worte des Weiterschreitenden. Wolfrat kam hinter dem Gebüsch hervor und blickte den Verschwindenden nach.

„Jetzt hebt sich der Hammer auf über der Katz’!“ murmelte er und griff mit beiden Händen nach seinem Kopf.




13.

Herr Heinrich von Inzing fuhr zu Berge, um den falzenden Auerhahn zu jagen. Er hatte das Kleid des Priesters gegen ein ritterliches Jagdgewand vertauscht, trug um die Hüfte das Weidgehenk und die Armbrust auf dem Rücken. In gleicher Weise war Herr Schluttemann bewaffnet; aus seinen rollenden Augen aber blickte kein Schimmer froher Jägerlaune; Frau Cäcilia, die ihn nothgezwungen für eine Woche aus ihrem Zaum entlassen mußte, hatte ihm einen Abschied bereitet, der auf eine für acht Tage voll ausreichende Wirkung bemessen war.

Eine Probe dieser Wirkung bekamen an der Seelände die beiden Fischknechte zu spüren, welche mit einem weitbauchig gezimmerten Kahn auf den Propst und sein Gefolge warteten. Sie hatten nach der Meinung des Vogtes den Boden des Schiffes nicht genügend gesäubert, Und so fuhr unter Herrn Schluttemanns Schnauzbart hervor ein Donnerwetter auf sie nieder, daß sie die Köpfe duckten wie Hirschkälber, wenn ihnen der erste Schnee auf die „Luser“ fällt.

Walti und die vier Knechte wurden beordert, den Weg nach der Röth’ über die Almen zu nehmen. Frater Severin wollte sich ihnen anschließen. „Die Leut’ tragen kostbare Sachen auf dem Buckel,“ meinte er, „es muß einer dabei sein, der ein Aug’ auf sie hat!“

„Nein, Bruder, komm’ nur mit uns!“ lächelte Herr Heinrich. „Die Leute gehen zu langsam für Dich. Du mußt wacker ausschreiten, damit Du Fett verlierst, sonst fällt Dir im Garten das Bücken schwer!

Frater Severin seufzte und ergab sich in sein schweißtreibendes Schicksal. Das Boot stieß in den See, dessen schimmernden Spiegel kein Lufthauch trübte. Die Tropfen, welche von den plätschernden Rudern fielen, glitzerten in der Sonne wie Edelsteine; alle Berge waren von Duft umwoben; über die grauen, hochgethürmten Felswände und durch den immergrünen Bergwald zogen sich die schäumenden Sturzbäche hernieder gleich silbernen Adern.

„Sagt, Herr Vogt,“ und mit genießenden Augen blickte Herr Heinrich umher, „wo in der Welt steht ein Kloster, dessen Fürst sich eines Münsters rühmen kann, wie ich es besitze: die Säulen und Wände für die Ewigkeit gebaut, die Fliesen ein einziger Smaragd, und als Dach der Himmel mit Gottes leuchtendem Auge!“

Herr Schluttemann ließ ein Gebrumm vernehmen, welches seine Zustimmung kundgeben sollte. Im Hintertheil des Schiffes aber seufzte Frater Severin. „Gottes Auge hat einen heißen Blick ... ‚Gottes Güte‘ wäre kühler.“ Er tauchte die Hand in das kalte Wasser und benetzte seine Stirne.

Die Fischknechte wollten die Richtung mitten durch den See nach der Fischunkel[2] halten, von welcher aus der kürzeste Weg in die Röth^ emporführte. Herr Heinrich aber befahl ihnen: „Zur Seeklause, wir nehmen den Aufstieg von dort!“

„Reverendissime,“ wandte Herr Schluttemann ein, „das ist aber ein teuflischer Umweg!“

„Den Umweg kenn’ ich, doch ist mir der Teufel noch nie auf ihm begegnet!“ Lächelnd blickte Herr Heinrich zu Frater Severin zurück. „Wir gehen den minder steilen Weg ... Dir zu liebe. Du sollst sänftiglich vom Fleische fallen.“

Seufzend legte der Frater die Hände über sein Bäuchlein.

Knirschend fuhr das Boot in sandig verlaufendes Ufer, welches durchbrochen war vom Bett eines schäumenden Baches. Herr Heinrich, der Vogt und Frater Severin gingen ans Land, und die Fischknechte stießen den Kahn in den See zurück, um die Heimfahrt anzutreten.

„Steiget nur immer voran und wartet meiner auf der Höhe,“ sagte Herr Heinrich.

Der Vogt und Frater Severin überschritten auf schwankendem Stege den Wildbach und verschwanden auf dem jenseitigen Ufer im sanft ansteigenden Bergwald. Herr Heinrich ging den Wildbach entlang, bis er eine aus Steinen erbaute, an eine hohe Felswand angelehnte Klause erreichte. Er öffnete die Thür, aber die Klause war leer.

„Dietwald!“ rief er mit lauter Stimme; doch niemand zeigte sich. „Sollte er hinausgefahren sein zum Fischfang?“ Doch nein, der Einbaum lag ja an das Ufer gezogen. Herr Heinrich folgte einem schmalen Fußpfad. Immer dichter trat die ragende Felswand an den Wildbach heran, von der anderen Seite näherte sich der Bergwald, so daß eine enge Schlucht gebildet wurde, auf deren Grund die schäumenden Wasser in tief zerrissenem Bett mit ohrbetäubendem Lärm hinwegrauschten über mächtige Steinklötze und zerschmetterte Baumstämme. Wo die Schlucht ein Ende nahm, stürzte der Bach aus schwindelnder Höhe hernieder in ein von siedendem Schaum erfülltes Becken, welches der in die Luft zersprühende Wasserstaub, von einem verlorenen Sonnenstrahl durchleuchtet, mit buntfarbigem Schimmer überwob. Neben dem Wasserfall zeigte sich an der Felswand der Eingang einer Höhle, vor welcher ein hohes steinernes Kreuz errichtet war, schon grau verwittert und halb überzogen von gelblichem Moos.

Dem Kreuz zu Füßen, auf einem Felsblock, saß Pater Desertus, der Fischmeister des Klosters. Er hielt den einen Arm auf das Knie gestützt und das Haupt auf die Hand geneigt; mit der anderen Hand nahm er von dem dürren Astwerk, das der Wildbach an das Ufer geschwemmt hatte, immer wieder einen Zweig und warf ihn zurück in das wirbelnde Wasser; mit starren Augen, verloren in Gedanken, schaute er zu, wie der Strudel den Zweig verschlang, wie ihn die Wellen mit sich

  1. Das Setzen der Totenbretter hat sich in einzelnen Dörfern Bayerns als geheiligter Brauch bis in die Gegenwart erhalten.
  2. Name der am Ufer des Obersees gelegenen Alm, welche sich schon in Urkunden aus dem Anfang des 14. Jahrhunderts erwähnt findet.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 334. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_334.jpg&oldid=- (Version vom 24.3.2021)