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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

werde, der Dämon Hazard vollständig verschwunden ist. Hatten dieselben bis dahin ihren Vortheil von dem Bestehen des Spiels, so haben sie ihn seitdem von dem Verbot desselben; denn während früher eine ehrsame, wohlhabende Familie nur mit großer Unerschrockenheit wagte, ihren Wohnsitz in einem Spielbadeort aufzuschlagen, hob sich der Zuzug beispielsweise nach Wiesbaden in überraschendem Maße, als kaum das „faites le jeu!“ in den Sälen des Kurhauses verstummt war.

Aehnlich erging es auch den anderen Orten. Allerdings ist die große schöne Zeit vorüber, in welcher ein allgemein verehrtes gekröntes Haupt, Kaiser Wilhelm I.[1], wenn er alljährlich in Ems erschien, alles herbeizog, aber es ist noch immer des Flors genug trotz des allgemeinen Herabgehens der Geldverhältnisse, der Schmälerung großer Einkünfte, die sonst zur Entfaltung äußerer Herrlichkeit Aufforderung gaben, und Ems besitzt in seinen Thermen eine hoffentlich unversiegbare Quelle des Gedeihens, in seiner städtischen Anlage, in seiner herrlichen Umgebung eine ebenso unerschöpfliche Anziehungskraft.

Nur ein flüchtiger Blick auf diese! Den schönsten gewährt uns die Zeit, wo Ems aus seinem Winterschlaf erwacht und die Fluren, die Bergesrücken sich in neues Grün kleiden. Das Thal ist eng, dem Fuße der Felsen ist sogar gewaltsam der Raum für die Villen und Badehäuser abgewonnen, während auf dem linken Ufer neuere herrliche Ansiedlungen, schloßähnliche Landhäuser sich bequemer auf dem Abhang des Malbergs ausbreiten; alles ist modern, denn Ems schreibt seine Glanzzeit erst von da her, wo die Eisenbahn das poetische Lahnthal dem größeren Zuzug erschloß.

Das eigentliche Badeleben drängt sich zusammen um den Kurhof und den Kurgarten, um den neuen Kursaal und das alte Kurhaus, die schattige Lahnterrasse und die Wandelbahnen. Hierher ruft schon am frühen Morgen vom 1. Mai ab die Kurkapelle die Gäste. Knapp nur ist der Raum, auf welchem sich bei günstigem Wetter die Gesellschaft mit ihrem Trankglas in der Hand bewegt, und in buntem Gewirr der mehr oder minder anspruchsvollen Morgentoiletten und Landestrachten, sich in allen Sprachen der Welt unterhaltend, quirlt hier das Kurpublikum bei den Klängen des Orchesters durcheinander. Die Kolonnaden sind dicht gefüllt von auf und ab Wandelnden, ganz besonders, wenn unfreundliches Wetter sie hierher und in die Bogengänge des Kurhauses zusammentreibt. Man braucht die Sonne, den klaren Himmel in Ems mehr als in anderen Kurorten, eben weil sonst das Kurhausrestaurant, die Säle überfüllt sind, weil die verabredeten Partien hinaus in die schöne Umgebung, die Wasserfahrten etc. zur Unmöglichkeit werden und man auf die Zimmer angewiesen ist. Mehr noch und dichter füllt sich der Kurgarten beim Nachmittagskonzert, wenn die Bahn die Passanten, die Vergnügungszügler nach Ems führt, und endlich an den Abenden, an welchen Vorstellungen auf dem kleinen Kursaaltheater, Bälle, Künstlerkonzerte stattfinden, wie das ja in allen hervorragenden Kurorten geschieht.

Wandelbahn.

Es fehlt hier der Raum, auf alle zum Theil großartigen Bauten einen Blick zu werfen, die vorzugsweise für die Aufnahme von Gästen bestimmt sind, wie z. B. in unmittelbarer Nähe des Kurhauses und gegenüber dem Kursaal die Gasthöfe ersten Rangs „Vier Jahreszeaen“, „Europäischer Hof“ und „Nassauer Hof“, hinter welchem die Grotte der „König Wilhelms-Felsenquelle“ liegt, der Brücke gegenüber der „Darmstädter Hof“, flußabwärts am Ende der Anlagen die „Vier Thürme“, „Englischer Hof“ und „Fürstenhof“, „Schloß Langenau“, eine viel besuchte Pension; auf dem linken Ufer die Villa Bella Riva, das Schloß Balmoral u. a. Was die Quellen betrifft, so erscheint es zweifellos, daß dieselben sämmtlich in Verbindung miteinander stehen und ihre Temperatur sich je nach ihrer Mächtigkeit richtet. Ihre Dienste leisten sie namentlich gegen Kehlkopf- und Bronchialkatarrhe, gegen Katarrhe des Magens und Darmkanals, gegen gewisse Leberkrankheiten u.s.w. Das doppeltkohlensaure Natron bildet in allen mehr oder minder den Hauptbestandtheil, Chlornatrium enthalten sie sämmtlich, daneben doppeltkohlensaures Lithion, schwefelsaures Natron, Jodnatraium, Bromnatrium, phosphorsaures Natron, schwefelsaures Kali; besondere Eigenschaften hat die Eisenquelle, dem Schwalbacher Weinbrunnen ähnlich. Die bedeutendsten Trinkquellen sind die alten, dem Fiskus gehörigen „Krähnchen“-, „Fürsten“- und „Kesselbrunnen“ im Kurhaus und die erst später erschlossenen, im Privatbesitz befindlichen „Viktoria“-(gleichwertig mit Krähnchen), „Augusta“-, „Wilhelms“- und „Eisenquelle“. Zahllos sind die Krüge namentlich des Krähnchen- und Viktoriawassers, welche von den betreffenden Verwaltungen alljährlich in alle Welttheile hinausgesandt werden, zahllos die Schachteln des Emser Quellsalzes und der aus diesem hergestellten allbekannten „Emser Pastillen“.

Von hohem Reize sind die romantische Umgebung von Ems, die Promenaden des Marien- und Henriettenweges, die Partie auf den Malberg. Ehedem war man gezwungen, wenn man den letzteren besuchen wollte und doch das Bergsteigen nicht liebte, sich dem Rücken eines launenhaften Esels anzuvertrauen, heute fährt die Drahtseilbahn zur Höhe hinauf, die durch ein Sanatorium zum Luftkurort geworden ist. Der Blick von hier oben über das Lahnthal und die Höhen des Westerwaldes ist ein außerordentlich fesselnder. Dankbar sind die Partien zum Winterberg, der Schiefer-Felsenpfad zur Bäderlei, zur Mooshütte, zum Konkordienthurm und der „Schönen Aussicht“, nicht minder ein Gang nach Dorf Ems, von da nach der Nieverner Eisenhütte, zur Silberau und Silberschmelze, der Ausflug zum Lahnsteiner Forsthaus, nach dem bereits erwähnten Dorfe Frücht. Dort befindet sich in einer gothischen Kapelle die Gruft der Familie von Stein, seit 1831 die Grabstätte jenes großen, unvergeßlichen Mannes, „des gebeugten Vaterlandes ungebeugten Sohnes“, dessen Grabschrift an einem Reliefbild von Schwanthaler uns sagt:

„Sein Nein war Nein gerechtig, sein Ja war Ja vollmächtig,
Seines Ja war er gedächtig, sein Mund, sein Grund einträchtig,
 Sein Wort das war ein Siegel.“

Wer Künstler ist, der wallfahrtet gern zu dem an der Mündung des Unter- und Oberbacherthals so romantisch gelegenen mittelalterlichen Dorfe Dausenau, das sein Entstehen den Römern und zwar Drusus verdanken soll. Hier saß im 17. Jahrhundert ein hochnothpeinliches Hals- und Hexengericht, und von dem schiefen, mit Unrecht den Römern zugeschriebenen Thurme geht die auch unwahrscheinliche Sage, daß in demselben einst Karls

  1. Kaiser Wilhelm I. wohnte regelmäßig in dem Querflügel des Kurhauses, der auf unserer Abbildung Seite 341 sichtbar ist.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 339. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_339.jpg&oldid=- (Version vom 11.8.2020)