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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

des Großen Geheimschreiber Eginhard mit des Kaisers schöner Tochter Emma gefangen gehalten worden sei.

Ein interessanter Nachbar dieses Städtchens ist Nassau in seinem blühenden Thale, mit den Burgen Nassau und Stein, letztere mit der 1872 feierlich enthüllten kolossalen Marmorstatue des großen Mannes geschmückt, dessen Name auch dem Städtchen seine Weihe giebt. Denn hierher, nach dem Stammsitz seiner Familie seit dem 16. Jahrhundert, zog Stein sich in sein Geburtshaus zurück, um während seiner letzten Jahre der Ruhe und den Wissenschaften zu leben. „Ein’ feste Burg ist unser Gott“ lautet die Inschrift des Wappens über der Thür des alten Familienhauses, das an sich von keiner architektonischen Bedeutung ist; neben ihm erhebt sich ein gothischer Thurm, den Stein selbst zur Erinnerung an die Freiheitskriege hat errichten lassen. Die Burg Nassau, schon im 12. Jahrhundert vorhanden, die Stammburg der nassauischen Familie, aus der einst Kaiser Adolf hervorging, ist längst Ruine, nur die Umfassungsmauern, ein Spitzbogenthor und die Grenzmarken des Burgfriedens sind noch vorhanden.

Krähnchenbrunnen. Kesselbrunnen.

Einen der herrlichsten Punkte an der Lahn bilden die Bnrg Langenau und ihr gegenüber auf der Berghöhe das Klosterschloß Arnstein, einst der Sitz der Gaugrafen dieses Namens, deren letzter Sproß die Burg in eine Prämonstratenserabtei umwandelte. Der Sage nach soll der fromme Graf Ludwig, der ohne Leibeserben war, mit sechs seiner Ritter den Harnisch und das Schwert abgelegt, die Mönchskutte angethan und auch seine Gemahlin Guda dazu vermocht haben, in einer Zelle ihr Leben zu beschließen. Graf Ludwig starb im Geruch der Heiligkeit; vier seiner Ritter trugen seine Leiche in der Klosterkirche zu Grabe.

Als letzte Schaustücke seien hier noch, nach einem Blicke im Vorübergehen auf Kloster Brunnenburg und die Ruine Laurenburg (auch eine alte Burg der Nassauer), die Ruine Balduinstein, so genannt nach ihrem Erbauer, dem streitbaren Erzbischof von Trier, und endlich die Zierde des Lahnthals, die Schaumburg, angeführt. Das alte Schloß der Isenburger und Westerburger Grafen, heute im Besitz der fürstlich Waldeckschen Familie, war bis 1812 Eigenthum des nun ausgestorbenen Hauses Anhalt-Bernburg-Schaumburg, dann von 1848 bis 1866 die Residenz des Erzherzogs Stephan von Oesterreich, der sich hierher zurückzog; noch heute steht dieser als ein Wohlthäter der ganzen Umgebung im wärmsten Andenken; während der fast zwanzig Jahre seines Aufenthalts war er beharrlich für den Ausbau und die Verschönerung des Schlosses thätig. Was er hier an Schätzen der Wissenschaft gesammelt, hat sich nach seinem Tode zerstreut, nur die Erinnerung an ihn ist so unvergänglich wie die monumentalen Zeugen, die von der Unermüdlichkeit reden, mit welcher der einstige Paladin von Ungarn den alten Stammsitz der Isenburger in eins der schönsten Schlösser umwandelte.




Onkel Christians sieben Lieben.

Erzählung von M. v. Dorsner.
(Schluß.)


Wir schwiegen beide, erst nach einer geraumen Weile fuhr Onkel Christian in ruhigerem Tone fort:

„Die Sorge um Pias alten Vater, der sein Alles mit dieser Tochter zu Grabe trug, half mir über den ersten Jammer weg. Und dann verklärte mir die Erinnerung an sie meinen Schmerz. So treu lebte die Freundin in meinem Gedächtniß, daß sie mir nicht gestorben schien! Nun aber kam eine unbezwingliche Sehnsucht nach dem eigenen Herd über mich, nach dem Heim, wie ich es mit Pia in den ersten glücklichen Tagen unserer Liebe geplant hatte. Was ich noch vor kurzem für unmöglich gehalten hätte – das Soldatenhandwerk ward mir mit einem Male entsetzlich widerlich. Ich wollte nur meine Beförderung zum Major abwarten, um den Dienst zu verlassen und Landwirth zu werden. Meine Schwester Elisabeth, so hoffte ich, werde sich entschließen, bis auf weiteres als meine ‚Schloßfrau‘ zu walten.

Es sollte sich nicht erfüllen. Ehe die Beförderung kam, hatte Elisabeth Euren Vater geheirathet; meine arme Mutter starb. Als ich auf dem Gute die Einrichtung vollendet hatte, die ich für Pia begonnen, da stand ich ganz allein. Endlich, im Spätherbst 1865, kam die langersehnte Ernennung, und als ich nach Wien ging, mich zu bedanken, lernte ich Ella kennen.“

„Ella? Wer ist Ella?“

„‚Fall sechs‘, würde Philipp sagen.“

„Ach, lassen wir Philipp!“ rief ich. „Es ist zu ernst geworden für seine Scherze. Sage, Onkel, wie, wo lerntest Du Ella kennen?“

„Das Kennenlernen war spaßhaft genug. Du kennst Wien? Nun, eines Tages kam ich in voller Paradeuniform aus der Burg und schritt meinem Wagen zu, der auf dem Michaelerplatz wartete. Vor der Demelschen Konditorei hatte sich schreiend und gestikulierend ein Knäuel Menschen gesammelt, dem sich alsbald ein Schusterjunge echtesten Wiener Schlages entwand, um, verfolgt von einer Megäre, schleunigst in der Herrengasse zu verschwinden. In der Mitte der Gruppe aber stand ein junges Mädchen, weinend über die Trümmer eines Päckchens gebeugt, das übel mitgenommen auf den noch regenfeuchten Steinen lag. Die Leute lachten und witzelten in grausamer Mitleidlosigkeit. Aergerlich hieß ich sie ihrer Wege gehen und trat zu dem niedlichen jungen Ding, dem ich gern aus seinem Jammer geholfen hätte.

‚Ist der Schaden nicht gut zu machen?‘ fragte ich.

‚Ach Gott,‘ schluchzte die Kleine, ‚Mama wird so böse sein! Sehen Sie nur, mein neues Kleid! Ich kann gar nicht nach Hause gehen. Und die schöne Torte, eine Geburtstagstorte!‘

Ihre Thränen flossen unaufhaltsam. Das Kleid war allerdings übel zugerichtet, herabgerissen und arg beschmutzt. ‚Aber die Torte – bei Demel dürfte wohl eine zweite Geburtstagstorte zu finden sein,‘ meinte ich.

‚Das schon, allein ich habe kein Geld,‘ war die verzagte Antwort.

‚Nun, das könnte ich allenfalls vorstrecken, wenn Sie erlaubten.‘

Das hübsche Mädchen blickte dankbar auf. ‚Wie sollte ich Ihnen aber das Geld wieder zurückstellen? Ich kenne Sie ja nicht,‘ sagte sie zögernd.

‚Wie wär’s, wenn Sie mir die Adresse Ihrer Mama geben würden, damit ich mir’s holen kann? Oder, noch besser,‘ rief ich, da der Kutscher, der mich erblickt hatte, eben vorfuhr, ‚noch besser, ich führe Sie in meinem Wagen nach Hause, da Sie in dem zerrissenen Kleide nicht gut zu Fuß –‘

‚Und die Sali?‘ warf sie ein.

‚Die Sali? Wer ist die Sali?‘

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 340. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_340.jpg&oldid=- (Version vom 10.8.2020)