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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)


Inzwischen war die Megäre, die ich vorhin hinter dem Schusterbuben dreinlaufen gesehen hatte, an uns herangetreten und gab sich als Sali zu erkennen. Sie stimmte sofort meinem Antrag zu und hatte ihn auch so rasch ausgeführt, daß ich mit ihr, ihrem Einkaufkorb, dem jungen Mädchen und der neuen Torte der Alservorstadt zurollte, ehe ich mich hatte besinnen können.

Die Sali ließ nicht ab, zu jammern und das ‚Eltscherl‘ ob all der Unfälle zu beklagen.

‚Heißen Sie wirklich Eltscherl?‘ fragte ich die Kleine, worauf sie so hell und lustig lachte, daß ich unwillkürlich mitthun mußte.

‚Gabriele heiße ich, aber man nennt mich Ella,‘ belehrte sie mich mit wichtiger Miene.

Als ich mich ihrer Mutter vorstellte, machte ich die erfreuliche Entdeckung, daß wir sozusagen alte Bekannte waren – das heißt, der gute Stabsarzt, dessen Witwe sie war, hatte mich seinerzeit in Italien bei einem Fieberanfall behandelt. Diese flüchtige Beziehung schwoll mir unter den Händen zu fabelhafter Innigkeit an und war zu einem Kastor und Pollux-Verhältniß der rührendsten Art gediehen, als ich endlich Abschied nahm. Nichts natürlicher, als daß man einen so nahen Freund des Dahingeschiedenen dringend aufforderte, wiederzukommen, und daß dieser sich beeilte, der Aufforderung Folge zu leisten!

Ja, ich kam wieder, kam Tag für Tag, verschob meine Abreise, um wieder und wieder zu kommen. Ich hatte mich sterblich verliebt in das niedliche Püppchen mit den großen erstaunten Kinderaugen, mit den allerliebsten Grübchen in Kinn und Wangen und dem beständigen, frohen Lachen auf den Lippen. Ella war unwiderstehlich herzig in ihrer holden Kindlichkeit, in ihrer schalkhaften Munterkeit – und ich alter Narr, der ich war ...“

„Alt? Mit dreißig und etlichen Jahren? Fürwahr, Onkel ...“

Das Kurhaus zu Ems.

„Alt gegenüber diesen siebzehn Jahren! Leonore, wahrlich ich schäme mich noch heute, nicht weil ich mich verliebte – die frische Schönheit Ellas hätte wohl auch einem Weiseren den Kopf verdreht – sondern weil ich mir einreden konnte, dies Kind sei die Gefährtin, die Pia für mich gewünscht hatte. Und vor allem, daß ich mir über die Neigung des Kindes Illusionen gemacht habe, siehst Du, das kann ich heute noch nicht verwinden, es war zu thöricht.“

„Du hast also um Ella geworben, Onkel? Und sie?“

„Und sie – sie war bezaubernd in der unbefangenen Lust und Kindlichkeit der ersten Tage und nachher in der scheuen Erwartung meiner Erklärung. Sobald Mama uns allein ließ – und wenn ich es recht bedenke, geschah dies des öfteren – da wurde Ella gluthroth und saß schweigend, mit gesenktem Köpfchen, mir gegenüber. Und ich – ich hielt diese Befangenheit für Neigung, besann mich nicht lang und warb um sie. Arme kleine kindische Braut! Als ich ihr den Verlobungsring an den Finger steckte, tanzte sie wie toll um den Tisch, umarmte mich, die Mutter, die Sali, schließlich Schränke und Stühle! Und das hielt ich für Liebe, Leonore!“

„Sie war noch jung und kindisch – es konnte doch wohl Liebe sein,“ meinte ich.

Er schüttelte den Kopf. „Als wir uns verlobten, Ella und ich,“ so fuhr er fort, „sah es schon unheimlich düster aus am politischen Horizont, und das ließ für den Soldaten weder Abschied noch Heirath zu. Es blieb nichts übrig, als mich zu gedulden, mich von dem süßen Kinde zu trennen und mir während langer qualvoller Monate an ihren Briefen genügen zu lassen – den lieben schüchternen so schülerhaften Briefen!

Vor meiner Abreise hatten wir vereinbart, daß Ellas Bild für mich gemalt werden sollte. Ich selbst wählte den Maler, einen damals noch unbekannten, sehr begabten jungen Künstler, dessen Familie ich kannte und an dessen Arbeiten ich lebhaften Antheil nahm. Als ich den hageren ungelenken jungen Mann meiner Braut und der künftigen Schwiegermutter vorstellte, kam mir nur ein Bedenken – ob die beiden Frauen Brunos linkisches Wesen nicht mit Entsetzen aufnehmen würden. Ich großer Menschenkenner, ich! –

Endlich, im Herbste 1866, konnte ich nach Wien eilen. Es war früh am Morgen, als ich auf dem Südbahnhof eintraf, zu früh für einen Besuch, selbst bei der Verlobten. Um meine Ungeduld zu bemeistern und die Zeit zu verbringen, wanderte ich zu Fuß und mit Umwegen der Stadt zu. Ganz unerwartet stand ich mit einem Male an dem Hause, in dem Brunos Atelier sich befand. Die Fenster waren weit geöffnet, und ich eilte hinauf, um mich einstweilen an dem Anblick ihres Bildes zu erfreuen, bis ich das liebe Mädchen selbst sehen sollte. Man hieß mich eintreten, der Künstler sei schon an der Arbeit.

Mein erster Blick, als ich den Thürvorhang zurückschlug, traf das Bild, welches auf einer Staffelei am Fenster stand, unvollendet zwar in Kleinigkeiten, aber außerordentlich ähnlich. ‚Ella wie sie leibt und lebt,‘ murmelte ich. Näher tretend gewahrte ich auch Bruno, vor der Staffelei sitzend, den Kopf in die Hand gestützt. Er schien in tiefe Gedanken versunken, meine Schritte, allerdings durch einen Teppich gedämpft, störten ihn nicht auf. Mir war’s lieb so. Ich wollte den Anblick von Ellas Bild einige Minuten allein genießen. Es war Ella – und doch, es war nicht die Ella, die ich kannte. Die Züge waren dieselben, der Ausdruck verändert. Je länger ich sie betrachtete, desto fremder sahen mich diese großen dunklen Augen an, so sehnsüchtig und innig, wie sie nie auf mir geruht hatten. Und um den Mund, der nur gewohnt war, zu lächeln, um den rosigen Kindermund lag ein Zug von Wehmuth und Verzicht – was war das? Ich fuhr mit der Hand über die Augen, dann forschte ich von neuem in den geliebten Zügen. Eine unerklärliche Angst erfaßte mich. Meine Hand berührte Brunos Schulter, und als er sich umwandte, fiel

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 341. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_341.jpg&oldid=- (Version vom 8.7.2023)