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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

und in der Kegelbahn, war nicht imstande, ihn einzuschüchtern, wennschon er sich auf seine amtliche Stellung als Vorgesetzter eines Postsekretärs wohl etwas zu gute thun konnte. – Aber erdrückend wirkte auf den würdigen Inhaber der Firma „Samuel Stevenhagen Söhne Nachfolger“ die Person des Herrn Landraths, obwohl dieser ein sehr jovialer Herr war, der sich, wenn die Gelegenheit es mit sich brachte, mit großem Vergnügen an der Partie betheiligte und es ganz in der Ordnung gefunden haben würde, wenn Herr Konstantin etwas von den ehrfurchtsvollen Förmlichkeiten hätte aufgeben wollen, mit denen er dem Landrath, wo immer er mit ihm zusammentraf, entgegentrat.

Der Landrath war aus einer altadeligen Familie; sein Name und die Thaten seiner Vorfahren spielten eine gewisse Rolle in der Geschichte des Städtchens, und außerdem war er ein hoher Beamter, dem es schon verschiedene Male im Leben vergönnt gewesen war, sich der Person des „Allerhöchsten Herrn“, des Königs, nähern zu dürfen. Ein solcher Mann durfte Konstantin Stevenhagen nach Gefallen freundlich oder zurückhaltend behandeln, des letzteren Pflicht aber blieb es unter allen Umständen, niemals die Achtung aus den Augen zu verlieren, die er dem Herrn Landrath als dem Nachkommen eines alten Geschlechts und dem höchsten ihm bekannten Vertreter der Regierung und der Person des Königs schuldete.

Mit den anderen Honoratioren des Ortes verkehrte Herr Stevenhagen nur sehr wenig und mit keinem auf vertraulichem Fuße. Einige von ihnen waren „Zugezogene“, die für ihn Fremde geblieben waren, obgleich sie schon seit zwanzig oder mehr Jahren im Städtchen wohnen mochten; andere gefielen ihm nicht wegen politischer oder religiöser Freisinnigkeit oder weil sie sich hie und da nicht abgeneigt gezeigt hatten, mit Herrn Stevenhagen scherzen zu wollen, wofür er durchaus kein Verständniß hatte. Ihm genügte der kleine Kreis guter Menschen, in dem er lebte, und eine Vergrößerung desselben würde ihn sicherlich eher in Verlegenheit gesetzt als erfreut haben.

Eines Tages, als der Herr Landrath bei dem Doktor speiste, mit dem er zusammen studiert hatte und der sein guter Freund geblieben und sein Hausarzt geworden war, sagte Nehring beim Nachtisch zu seinem Gaste:

„Da fällt mir ein, daß wir im nächsten Monat Stevenhagen gratulieren müssen.“

„Gratulieren? Wozu.“

„Er begeht dann die hundertjährige Feier des Bestehens seines Handelshauses, das ist eine große Sache für den Mann, denn er blickt mit Stolz auf die durch ein Jahrhundert bewährte Rechtschaffenheit seiner Familie zurück.“

„Da hat der Mann ganz recht, und natürlich müssen wir ihm gratulieren. Aber könnte man ihm nicht sonst noch etwas Angenehmes bieten?“

Dem Doktor kam die Frage nicht überraschend; er hatte sich im Gegentheil sorgfältig darauf vorbereitet, wie er dies zu thun pflegte, wenn es galt, anderen eine Freude zu machen.

„Ja,“ antwortete er auf die Frage des Landraths, „ich habe mir das schon überlegt und wollte Dir zur Erwägung geben, ob man nicht für unseren Stevenhagen irgend eine königliche Auszeichnung erwirken könnte. Er hat es verdient durch seine anständigen Gesinnungen, durch seinen untadelhaften Lebenswandel, und es würde einen guten Eindruck in der Stadt machen, wo er allgemein beliebt ist.“

„Du meinst einen Orden?“

„Ja, einen Orden oder irgend einen Titel.“

„Ein Orden ginge wohl schon; aber welchen Titel könnte man ihm geben? Zum ‚Kommerzienrath‘ ist er doch zu klein, und etwas anderes wüßte ich nicht für ihn.“

„Verschaffe ihm den ‚Kommissionsrath‘, wenn Du ihn glücklich machen willst.“

„Den ‚Kommissionsrath‘?“ fragte der Landrath gedehnt. „Giebt es wirklich noch Menschen, denen das Freude macht?“

„Nun natürlich giebt es solche Leute, und ich stehe Dir dafür – Stevenhagen ist einer von ihnen.“

„Hm,“ meinte der Landrath, „ich will mir die Sache überlegen.“

Das genügte dem Doktor. Er kannte seinen Landrath als einen Mann aus demselben guten Stoffe, aus dem er selbst gemacht war, und wußte bestimmt, sein Freund werde nichts Eiligeres zu thun haben, als einen Bericht aufzusetzen, um die Ernennung Herrn Konstantin Stevenhagens zum Kommissionsrath aufs wärmste zu befürworten.

„Du darfst natürlich nicht von der Sache sprechen, bis sie fix und fertig ist,“ sagte der Landrath, „denn ich kann nicht wissen, wie man bei der Regierung mein Gesuch aufnehmen wird.“

„Ich spreche mit niemand von der Sache, bevor Du mir nicht sagen kannst, daß sie zum guten Ende geführt worden ist; und selbst dann noch nicht, damit Du für Deine Bemühungen die Freude haben kannst, Stevenhagen durch seine Ernennung zu überraschen.“ – –

Einige Wochen später konnte man an dem Thorweg des Stevenhagenschen Hauses auf einem großen Papierbogen in der schönen runden Schrift des Besitzers lesen: „Dieser Laden bleibt morgen wegen einer besonderen Feier geschlossen“; und am nächsten Tage meldeten sich, von früher Stunde an, zahlreiche Einwohner des Städtchens bei Herrn Stevenhagen, um ihm zu dem hundertjährigen Bestehen seines Geschäftes zu gratulieren und ihm zu wünschen, er selbst möge demselben noch während vieler Jahre in ungetrübter Gesundheit und Frische vorstehen.

Die Glückwünschenden – die ersten nach Frau Mathilde waren die „Borsdofer Aepfelchen“ gewesen, die ein vom Herrn Pastor verfaßtes schönes Gedicht hergesagt hatten, durch das der Jubilar bis zu Thränen gerührt worden war – wurden von dem festlich gekleideten Hausherrn und seiner Ehehälfte in der „guten Stube“ empfangen, wo Wein und Kuchen – letzterer von Frau Bäckermeister Mertens mit besonderer Liebe hergerichtet – aufgestellt waren. Als die Mittagstunde nahte, war das Zimmer mit einigen zwanzig Gästen, darunter dem Pastor, dem Doktor und dem Postmeister, gefüllt.

Da hielt ein von zwei kräftigen Pferden gezogener herrschaftlicher Wagen vor der Thür: der Wagen des Herrn Landraths. Jedes Kind im Städtchen kannte ihn, und sogleich erscholl im Zimmer von verschiedenen Seiten der Ruf: „Herr von Salwitz! Der Herr Landrath!“

Herrn Konstantin Stevenhagen stieg das Blut ins Gesicht vor freudiger Erregung, und er eilte der Thür zu, um dem hohen Gaste seinen Willkomm zu bieten.

Landrath von Salwitz, ein rüstiger, lebhafter Mann, war bereits aus dem Wagen gesprungen und kam dem Jubilar auf der Thürschwelle entgegen.

„Nun, lieber Stevenhagen,“ sagte er, „ich darf heute natürlich nicht bei Ihnen fehlen: meine allerherzlichsten Glückwünsche!“ und er ergriff Stevenhagens Hand und schüttelte sie kräftig.

„Der Herr Landrath sind in der That zu gütig.“

„Aber durchaus nicht. Es macht mir selbst die größte Freude. – Auch Ihnen, liebe Frau Stevenhagen, meine besten Gratulationen! Möchten Sie und Ihr Mann noch recht lange Jahre in Frieden, Gesundheit und Ehren leben und an Ihren Kindern und Kindeskindern nur Gutes und Freudiges erfahren!“

Darauf trat der Landrath in die Mitte des Zimmers, wohin ihm Herr und Frau Stevenhagen mit tiefen Verbeugungen, dankbar lächelnd, folgten, und dort blieb er stehen und räusperte sich vernehmbar, so daß jedermann erkennen konnte, er habe noch etwas Besonderes zu sagen und würde das nun thun.

„Lieber Herr Stevenhagen,“ begann er, „ich habe es für meine Pflicht als Landrath gehalten, an die Regierung zu berichten, daß einer der angesehensten Bürger unserer guten Stadt heute das seltene Fest der hundertjährigen Feier des Bestehens seines Geschäftes begeht. Ich habe mit Vergnügen diese Gelegenheit wahrgenommen, um meine gute Meinung über Sie als über einen loyalen Unterthanen, einen treuen Patrioten, einen ehrenfesten, angesehenen Bürger und Familienvater unverhohlen auszusprechen. Es ist darüber Seiner Majestät dem König Vortrag gehalten worden, Allerhöchstwelcher darauf zu verfügen geruht hat, daß Ihnen an diesem Ehrentag auch ein Beweis seiner Huld zu theil werden solle. Und so ist mir der ehrenvolle und erfreuliche Auftrag geworden, Ihnen einen Allerhöchsten Gnadenbeweis zu überbringen."

Er zog ein großes Couvert hervor, das er bis dahin unter dem zugeknöpften Rock verborgen gehalten hatte, und überreichte es dem Jubilar mit den Worten: „Herr Kommissionsrath Stevenhagen, empfangen Sie von mir als dem ersten herzliche Glückwünsche zu Ihrer Ernennung!“

Ein Murmeln der Ueberraschung ging durch die kleine Versammlung.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 346. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_346.jpg&oldid=- (Version vom 22.8.2020)