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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Ruinenromantik erregt ihre Entrüstung. Sie ziehen in einem fort Vergleiche mit der Heimath oder mit früheren Zeiten, und nur ein kräftigeres Ausschimpfen kann das Gleichgewicht ihrer Seele wieder herstellen. Die anderen befinden sich in einem dauernden Rausche des Entzückens. Sie glauben, in diesem Zauberlande alles schön finden zu müssen, jedes zerbrochene Säulenkapitäl setzt sie in Ekstase und dem schmutzigsten Ciociarenkinde möchten sie einen Kuß auf das ungewaschene Mäulchen drücken. Eine solche Schwärmerin besuchte uns in Rom. Es war spät am Abend, und obwohl wir im geschlossenen Wagen bei Regenwetter mit ihr vom Bahnhofe nach Hause fuhren, kam sie ganz aufgeregt von all den Herrlichkeiten, Tempeln, Säulen, Kuppeln und Statuen, welche sie im Fluge durch das Fenster gesehen zu haben glaubte, bei uns an. Es that ihrer Schwärmerei auch keinen Abbruch, als wir ihr nachwiesen, daß die Gardinen heruntergezogen gewesen waren: sie hatte die Schönheiten Roms – gefühlt.

Es giebt übrigens auch Schwärmerei auf der anderen Seite. Die Italiener, stolz auf ihr Land und sehr geschmeichelt, wenn man recht viel lobt und anerkennt, zeigen sich gern durch eine Art vielleicht mehr eingeredeter als selbstempfundener Begeisterung für das deutsche Volk und Wesen erkenntlich. Ein junger Mann, Student, welcher unser Entzücken über die Aussicht von dem Palatin auf die Ewige Stadt mit Freuden wahrnahm, erzählte uns in ziemlich gebrochenem Deutsch, daß für ihn und viele seiner Freunde Deutschland das Land der Vollkommenheit und Sehnsucht bilde. Er kenne es ziemlich genau aus seiner Litteratur. Als wir in ihn drangen, was er unter deutscher Litteratur verstehe, beschränkte er seine Angaben auf drei Werke. Das erste war „Go-ethe". Was der junge Mann von unsrem Altmeister eigentlich gelesen hatte, ist nicht ganz klar geworden; er blieb dabei, daß er Go-ethe kenne. Das zweite war die Geschichte Roms von Gregorovius, das dritte – „Buchholzens in Italien“.


Der Kommissionsrath.

Novelle von Rudolph Lindau.
(Schluß.)


Wie der denkwürdige Tag der Ernennung, so gingen viele Tage dahin. Die Sorge um seine neue Würde nahm Herrn Stevenhagen dermaßen in Anspruch, daß er darüber alles andere mehr oder weniger vergaß und vernachlässigte. Glücklicherweise litten weder das Geschäft noch der Haushalt darunter, denen Fritz und Frau Mathilde in unveränderter Tüchtigkeit vorstanden; immerhin fing aber Frau Stevenhagen mit der Zeit an, etwas beunruhigt zu werden. – Ihr Mann war nicht mehr der alte, das zeigte sich namentlich darin, daß er mit vielen Dingen, auf die er früher gar nicht geachtet hatte, unzufrieden wurde und sich über eine Anzahl seiner Mitbürger zu beklagen begann. Er ließ einen Theil der Möbel erneuern, das Haus frisch anstreichen, er bestellte sich einen neuen Anzug, obgleich der, den er trug, noch jahrelang gute Dienste hätte leisten können. Er bemerkte, daß der Fleischermeister beim Gruße seine Mütze nur berührt, nicht abgezogen hatte; er fand es nicht in Ordnung, daß Agathe, deren Bäckerladen fünfzig Schritte von der Wohnung ihrer Eltern entfernt war, auf ihrem Hause mit bloßem Kopfe herübergelaufen kam. „Das schickt sich nicht, Agathe, das schickt sich nicht! Thu’ mir den Gefallen und setz’ den Hut auf, wenn Du auf die Straße gehst.“ Auch an den „Borsdorfer Aepfelchen“ entdeckte er plötzlich Unarten, die ihm früher nicht aufgefallen waren. Sie machten keine ordentlichen Diener, wenn sie in das Zimmer traten, und sie suchten ihre Gesellschaft am liebsten unter der verwildertsten Straßenjugend. Aber das Bedenklichste für Frau Mathilde war, daß Stevenhagen sogar aufhörte, mit dem Benehmen des Doktors zufrieden zu sein. Dieser hatte die Schrullen seines Freundes monatelang geduldig ertragen, obgleich er schon nach den ersten vier Wochen aufgehört hatte, sich darüber zu freuen; aber mit der Zeit konnte er doch nicht mehr umhin, Stevenhagen hier und da auf einige seiner Sonderbarkeiten aufmerksam zu machen. Und darüber kam es eines Tages zu einem kleinen Wortwechsel. Als Stevenhagen sich nämlich im Beisein seines alten Freundes über den unhöflichen Gruß des Fleischermeisters beklagte, sagte der Doktor, der einen Theil der Nacht am Bette eines schwerkranken Mannes verbracht hatte und übler Laune war: „Laß’ das doch! Was macht es aus, wie Kunhart Dich grüßt!“

„Mir ist es auch ganz gleichgültig, wie der ungehobelte Mensch sich benimmt,“ antwortete Stevenhagen, „aber daß es nicht in der Ordnung ist, mir einfach zuzunicken wie einem Tagelöhner oder Gesellen, das wirst Du doch selbst zugeben.“

„Nein, das gebe ich nicht zu,“ erwiderte der Doktor verdrießlich, „ich bin ebensowenig wie Du Tagelöhner oder Fleischergeselle, und mich grüßt Kunhart nicht ehrerbietiger als Dich.“

„Wenn Du Dir das gefallen läßt, so ist das Deine Sache,“ entgegnete Stevenhagen, ich lasse es mir nicht gefallen.“

„Nun dann laß’ es Dir nicht gefallen! Ich bin zu müde, um mich mit Dir über solche Lappalien zu streiten.“

Der Zwischenfall hatte keine unmittelbaren Folgen. Der Doktor fand sich am Abend zur üblichen Stunde zur Partie l’Hombre ein, und die Verstimmung, mit der Stevenhagen und er sich eine Zeitlang gegenüber gesessen hatten, ging bald vorüber. Aber Aehnliches ereignete sich bald öfter, und mit der Zeit bildete sich bei Stevenhagen eine gewisse Erbitterung gegen seinen alten Freund, während der Doktor, der Pastor und der Postmeister sich mehr als einmal darüber aussprachen, daß Stevenhagen seit seiner Ernennung zum Kommissionsrath viel von seiner alten einfachen Liebenswürdigkeit eingebüßt habe. Sie wurden dem Würdenträger gegenüber vorsichtiger und zurückhaltender in ihren Aeußerungen, und damit ging ein großer Theil der harmlosen Heiterkeit verloren, die bis vor kurzem die Zusammenkünfte der vier alten guten Spielkameraden gekennzeichnet hatte. Stevenhagen konnte sich der Erkenntniß dieser Veränderung auf die Dauer nicht verschließen; die Betrachtungen, die er darüber anstellte und auch seiner Frau mitzutheilen pflegte, waren für diese geradezu Besorgniß erregend. Er redete sich mit der Zeit ein, die Unfreundlichkeit seiner Genossen, namentlich des Doktors, beruhe auf Neid.

„Nicht gerade bösartigen scheelen Neid, liebe Mathilde, empfindet der Mann, aber glaube mir nur, er fragt sich, ob er nicht eben so gut, wie ich zum Kommissionsrath ernannt worden bin, den ‚Sanitätsrath‘ verdient hätte. Es ist ja nicht meine Schuld, daß man nicht daran gedacht hat – ich würde ihm jede Auszeichnung von ganzem Herzen gönnen. Aber daß es nicht geschehen ist, ärgert ihn, und er kann es nicht über sich gewinnen, seinen Verdruß nicht an mir auszulassen.“

Frau Mathilde hatte eine Zeitlang versucht, ihrem Konstantin solche Gedanken auszureden, doch als sie sah, daß es nichts fruchte, daß sie sich der Gefahr aussetze, mit ihrem Manne uneins zu werden, mit dem sie bis dahin in ungetrübter glücklicher Ehe gelebt hatte, da gab sie den vergeblichen Versuch auf, Frieden zu stiften, die langsam absterbenden freundschaftlichen Gefühle ihres Mannes für den Doktor wieder zu erwecken. Sie blickte nur traurig und still vor sich hin, wenn Stevenhagen in seiner lieblosen Beurtheilung immer weiter ging und sich langsam aber stetig in Einbildungen hineinredete, die schließlich zu Gefühlen verborgenen Uebelwollens, geheimer Feindschaft ausarteten. Die Folge davon war, daß, nachdem einmal eine gewisse Entfremdung zwischen den beiden einst so befreundeten Menschen eingetreten war, ihre Beziehungen schnell an Annehmlichkeit und Vertraulichkeit verloren und daß bald der eine, bald der andere sich entschuldigen ließ, an den regelmäßigen Kegel- und l’Hombrepartien nicht theilnehmen zu können. Und schließlich kam es zu einem für alle Betheiligten – die vier Mitglieder der Partie und Frau Mathilde – gleich schmerzlichen Bruche.

Der Doktor hatte eines Abends beim Kartenspiel mit einem großen Einsatz auch die Geduld verloren und dem Herrn Kommissionsrath Stevenhagen, der an jenem Abend noch anspruchsvoller erschien als gewöhnlich, kurz und bündig gesagt, er mache sich „lächerlich“; worauf der in seiner Würde tief gekränkte Mann seinen Hut genommen hatte und davongegangen war. Die Versöhnungsversuche, die am nächsten Tage gemacht wurden,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 372. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_372.jpg&oldid=- (Version vom 8.4.2024)