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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Brücke führt über den zwar kurzen, aber breiten Stromlauf; wo eine solche doch zu finden ist, da ist der Uebergang über sie gefährlicher als das Durchreiten oder Durchschwimmen der Gewässer. Zahlreiche Wasserfälle von beträchtlicher Höhe, von denen wir einen der prächtigsten auf ganz Island, den der Öxará bei Thingvöllur, auf der untenstehenden Abbildung vorführen, unterbrechen den Lauf; die Flüsse, von der aufgethürmten Lava oder dem zertrümmerten Basalt gestaut, springen in tausend Kaskaden hinab in die Tiefe. Bald führen sie das Eiswasser der Gletscher, bald lauwarmes Naß aus den kochenden Quellen: wenig angenehm für den Reisenden, der in dem einen vor Kälte beinahe erstarrte und gleich darauf im andern ein lauwarmes Bad nehmen muß. Bemerkenswerth ist dabei, daß die von den Gletschern herabeilenden Flüsse in ihrer Fluthhöhe täglich sich zwischen einem höchsten und niedrigsten Stande hin und her bewegen. Der höchste Punkt wird erreicht, wenn bei der Mittagshitze der Schnee und das Gletschereis reichlich schmelzen; darum reitet es sich am besten in der Nacht oder gegen Morgen über die Ströme – immerhin eine unbequeme Sache, wenn man bedenkt, daß der schlüpfrige Untergrund genug der Klüfte und Klippen bietet.

Neben den Strömen und Bächen ist ein „Vatn“ (Wasser, Binnensee) nichts Seltenes; vor allem ist der Myvatn bekannt wegen seiner ungeheuren Mückenschwärme.

Der See liegt in dem steinigen Wellenlande des öden Myvatnsandur, in einer trostlosen Ebene; den Hintergrund in weiter Entfernung bilden die schwarz-blauen Kegelberge: Sellandafjall, Blafjall, Namafjall etc. Sehr feiner vulkanischer Sand bedeckt weithin den Boden in seiner Umgebung, überstreut mit größeren und kleineren Lavablöcken; die Straße zum See ist durch zwei parallele Reihen dicht nebeneinander gelegter größerer Steine kenntlich gemacht. Die Gegend ist gänzlich vegetationslos. Professor Zirkel schreibt über den See: „Nie hat die geographische Bezeichnung irgend einer Oertlichkeit besser das Wesen und die Eigenthümlichkeit derselben wiedergegeben als der Name ‚Myvatn‘, ‚Mückensee‘. Unsere Pferde waren fast wahnsinnig durch die Mücken; man kann sich in einem Kubikfuß Luft kaum mehr lebende Wesen denken, als hier sind: ihre Schwärme sind so dicht, daß man oft einen nebenher reitenden Gefährten nicht zu erblicken vermag, daß man die Augen nicht öffnen, nicht athmen kann: kurz, es ist eine der entsetzlichsten Plagen, welche nur mit der ägyptischen der Heuschrecken zu vergleichen ist. Dazu brannte die Sonne glühend auf unsere Häupter, der Sandstaub wirbelte um uns her, so daß es keiner sehr lebhaften Einbildungskraft bedurfte, sich aus Island in die Wüste Sahara versetzt zu wähnen.“

Wasserfall in der Öxará bei Thingvöllur.

Der Mückensee läßt zugleich am besten die verheerenden Aeußerungen vulkanischer Gewalten in ihrem ganzen Verlauf und in ihren schrecklichsten Wirkungen erkennen: Vulkane, Krater, Schwefelgruben und Schlammsprudel finden sich in seiner nächsten Nähe in großer Anzahl, viele in voller Thätigkeit. Mit mehr Recht als beim Toten Meere kann man hier von einer Stätte des Grauens sprechen; die ganze nördliche Seite des Myvatn besteht jetzt aus furchtbaren starrgewordenen Lavaströmen, welche die nahe gelegenen Vulkane Krafla und Leirhnukur in den Jahren 1724 bis 1730 über früher üppiges Weideland ergossen haben. „Die zusammengestürzten, riesigen Schlackenstücke sind Eisschollen beim Frühlingsthauwetter vergleichbar,“ sagt ein Reisender. Die Lava ergoß sich auch in den Myvatn, der einige Tage lang förmlich kochte; er wurde durch die Lava so ausgefüllt, daß seine größte Tiefe jetzt nicht über 10 Meter beträgt; zahlreiche, schwarzgebrannte Inselklippen ragen aus dem lauwarmen Wasser hervor. Der See gefriert nie, und das will viel sagen in einem Lande, wo selbst die Häupter der ausgedehntesten Vulkane mit dichtem Schnee bedeckt sind, die gewaltigsten Gletscher sich ausbreiten, der Winter häufig schon Anfang September seinen Einzug hält – in einem Lande, dessen Ost- und Nordostküste oft von Treibeis starrt. Island ist aber von jeher berühmt gewesen wegen dieses Umstandes; die riesigen Gletscher, die weithin sichtbaren Schneehäupter lassen oft genug an ihrem Abhang heiße Quellen, aussetzende und dauernd fließende, entspringen. Es ist der Feuerherd Vulkans, der sich unter den Basalt-, Trachyt- und Tuffmassen hinzieht und der das überhitzte Wasser mit mächtiger Dampfkraft in die Höhe treibt.

Einige Worte mögen auch den Schlammvulkanen, den „Makaluben“ oder „Salsen“, gewidmet sein, ehe wir den Erscheinungen der Geysire uns zuwenden. Der Höhenzug des Leirhnukur weist mehrere Spalten auf, und aus den zerborstenen Felsenwänden dringen heißes Wasser und bleiche Dampfstrahlen mit Zischen und Sausen, oft sogar mit dröhnendem Brüllen hervor; kochende Quellen springen allerwärts aus dem Boden und verwandeln den weichen Thon in einen bodenlosen Morast. Sieben größere Löcher, je etwa fünf Meter im Durchmesser haltend, umgeben von einem niedrigen, nach außen abschüssigen Wulste, angefüllt mit flüssigem Schlamme, die ganze Masse brodelnd, alle drei bis vier Sekunden eine Explosion, welche die Schlammmassen bis zu fünf Meter Höhe emporschleudert: das ist im wesentlichen das Bild einer solchen „Hexenküche“.

Die Geysire oder die heißen Springquellen sind von Reykjavik, der Hauptstadt Islands, zu Pferd in einem Tage zu erreichen; in einer über zwei Meilen breiten Ebene am Südwestfuße des Blafell und einiger kleinerer Hügel liegen sie ganz dicht nebeneinander, der Große und der Kleine Geysir, der Strokkur (Butterfaß) u. a. m., 40 bis 50 an der Zahl. Von Zeit zu Zeit erlebt man einen jener wunderbaren Ausbrüche, von dem unser Bild S. 410 eine Vorstellung zu geben versucht.Unter mächtiger Dampfentwicklung, welche den Boden erzittern macht und ein tosendes Geräusch verursacht, schießt der Wasserschwall empor, ein Schauspiel von wunderbarer, unbeschreiblicher Großartigkeit. Kieselsinter und Tuff erhöhen allmählich die Röhren an den Ausbruchstellen, die nächste Umgebung besteht nur aus solchen Mineralien, auch die kleinen Bäche, welche das ausgebrochene Wasser weiterführen, setzen in ihrem Bette und besonders stark an den Ufern Rinden von papierdünnem Kieselsinter ab, alle Körper, auch die zartesten, mit einer Kruste überziehend. Die Springquellen stehen weder mit dem Hekla, noch einem anderen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 406. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_406.jpg&oldid=- (Version vom 10.4.2024)