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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Vulkane, nicht einmal unter sich in unmittelbarer Verbindung, wohl aber können Erdbeben ihrem Spiele ein Ende machen.

Isländischer Bauernhof. Kirche von Reykjahlidar.

Island liegt, bis auf eine kleine Spitze im Norden, diesseit des Polarkreises. Die Mitternachtssonne ist deshalb nur auf jener äußersten Spitze und auf der nördlich von Eyjafjord gelegenen Insel Grimsey zu sehen. Sie bleibt dort um Johanni etwa acht Tage und Nächte lang über dem Horizont, Land und Meer mit ihrem milden Rosalicht übergießend, verschwindet dafür aber um Weihnachten eine Woche lang gänzlich. Die Nächte vom Mai bis August sind indessen auch im Südland fast tageshell. Die Sonne verbirgt sich dort zur Zeit der Wende nur auf etwa drei Stunden, und auch dann streicht sie so nahe unterhalb des Gesichtskreises hin, daß die Nacht eigentlich nur aus einem Verschmelzen des Abend- und Morgenrothes besteht. Wunderbar schön ist dann das wechselnde Farbenspiel, welches Berg, Thal und Meer belebt. Und kaum weniger genußreich sind für ein empfängliches Gemüth die nordischen Winter. Doppelt groß und hell als bei uns flimmern und glitzern da Mond und Sterne. Mit rothen, gelben, grünen Farben malt das Nordlicht die in weißes Gewand gekleidete Landschaft. An kalten Tagen zeigen sich Nebensonnen in allen Farben des Regenbogens; unter Schneegestöber erhellt plötzlich ein unheimlicher, bleicher Lichtschein die Luft. Ja, das intensive Blau des Himmels kann der Schneelandschaft Farbe geben, so daß alles ringsum blau erscheint. Doch an diesen Farbeneffekten läßt sich Islands Natur nicht genügen. Mit seltsamen, zauberischen Luftspiegelbildern neckt sie den Reisenden, durch die Nacht flackernde Irrlichter locken ihn auf falsche Wege, rings um seine Bahn senden die vulkanischen Elemente des Bodens ihre Rauchsäulen hoch in die Luft. Wenn aber die Stürme rasen, Sand und Steine von den Bergen fegen und als prasselnden Regen über die Niederlassungen dahinjagen, dann scheint in den Lavahöhlen, Felsschluchten und Klüften ein seltsames Leben zu erwachen, wunderbar klagende Töne durchziehen die Luft, bange birgt sich Mensch und Vieh vor den Geistern der Wildniß.

Das Grauenhafteste ist, wenn ein Erdbeben die Eingeweide der Insel zerreißt, der Boden sich wie die Meereswelle hebt und senkt, den Vulkanen himmelhohe Feuergarben entsteigen, die ungeheure Eisdecke der Bergriesen sich ungeschmolzen in Bewegung setzt und thurmhoch herniedergleitet, glühende Lavaströme sie durchbrechen und durch die bewohnte Niederung brausen, Flüsse und Seen im Innern der Erde verschwinden oder sich aufbäumen zum gewaltigen Kampfe gegen das feindliche Element. Ein unerträglicher Schwefelgeruch, giftige Gase und Dämpfe verpesten die Luft. Finsterniß deckt das Land, gespensterhaft leuchten die flammenden Berge. Dunkelgeballte Wolken von Asche und glühenden Funken, durchzuckt von falben Blitzen, wälzen sich mit breiter Front vorwärts. Die Bewohner packt Entsetzen, sie fliehen bald da-, bald dorthin, überall droht ihnen Verderben. Hier der Aschenregen, dort die Lava. Hier brechen siedende Wasser hervor, dort gleiten alles verheerende Gletscher mit Windeseile näher. Das Thal erfüllt der tosende Strom. Am Hange krachen Bergstürze und Lawinen. Durch die Lüfte gellt die unwiderstehliche Windsbraut. –

Das ist Island und seine Natur! Und doch liebt der Isländer sein Vaterland über alles in der Welt, doch glaubt er, daß es nirgends schöner sei als daheim auf dem nordischen Eiland.

Ich lebte vor einigen Jahren in Kopenhagen mit dem berühmten Isländer Steingrimur Thorsteinsson zusammen, einem namhaften Gelehrten und wohl dem anmuthigsten der heutigen isländischen Dichter. Er hatte auf seiner Reise von Reykjavik nach der dänischen Residenz manche Naturschönheit geschaut, war auf Seeland selbst am Oeresund hinaufgewandert, einem unbeschreiblich prächtigen Stücke Natur, war später auch nach Deutschland gereist, um dessen Schönheiten kennenzulernen – und doch konnte er mir nach seiner Rückkehr nach Island schreiben: „Wie freute mich der Anblick meines Vaterlandes, als das Dampfschiff am Abend in die Faxabucht einlief! Der hohe, sternenklare Himmel, das Meer im Glanze des Vollmondes und die dunkelblauen, majestätischen Gebirge, alles in feierlicher Stille, machten auf mich den tiefsten Eindruck. Ich hatte doch auf der Reise nichts Schöneres gesehen!“

Einsam und fern von der übrigen Welt lebt das kleine Völkchen droben im hohen Norden dahin, auf 104 785 Quadratkilometern, d. h. auf einem Raum, der etwas größer ist als die preußische Rheinprovinz, Westfalen, Hessen-Nassau und Hannover zusammengenommen, kaum 70 000 Seelen.

Die Isländer sind im allgemeinen ein kräftiger Volksschlag; wie wollten sie auch sonst das gefahrvolle, mühereiche Leben durchkämpfen, welches sie zu führen haben! Freilich, die heldenhafte Größe, in der uns die altnordischen Sagen die Islandsmannen des Alterthums vorführen, erreichen sie bei weitem nicht mehr. Die Isländerinnen haben meistens ein rothes, bausbackiges Gesicht, doch trifft man auch blasse, hagere Wangen. Schönheiten finden sich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 407. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_407.jpg&oldid=- (Version vom 10.4.2024)