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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

„Heim will ich, Herr! Ich kann doch gehen?“

„Wenn Du willst. Doch es wär’ mir lieb, wenn Du eine Weil’ noch bleiben möchtest. Ich hätt’ eine Arbeit für Dich.“

„Wohl wohl, Herr,“ sagte Wolfrat zögernd.

„Setz’ Dich nur da her auf die Bank und warte, bis ich komme.“

Mit finsteren Augen ging der Sudmann zur Bank; man sah es ihm an, er that’s nicht gern; unter dem Kittel rührte er die Schultern, als wär’ ihm nicht wohl zu Muth in seiner Haut.

Zwischen den Zweigen der Fichten schlüpfte Gittli hervor und huschte in die Jägerhütte. Haymo saß auf dem Bett. Sie flog auf ihn zu, umschlang seine Hand und sank leise weinend in die Knie.

„Aber Gittli, geh’, was machst denn?“ stammelte er mit umflorter Stimme und hob sie auf.

„Vergelt’s Gott, Haymo, vergelt’s Gott tausendmal, weil Du Erbarmen gehabt hast mit ihm!“

„Hab’ ich nicht müssen?“ flüsterte er. „Und wenn’s mich gleich meine Seel’ gekostet hätt’!“ Seine Augen hingen an ihr mit sehnsüchtiger Schwermuth.

„Schau, Haymo,“ zitterte es von ihren Lippen, „er hat ja freilich was Arges, Arges gethan! Aber gelt, ich hab’ es doch ein lützel wieder gut gemacht? Wie er gekommen ist und hat’s der Schwäh’rin gestanden ... und ich bin drin in der Kammer gewesen und hab’s gehört ... schau, da hat mich doch keins nimmer halten können, gelaufen bin ich und gelaufen, bis ich Dich gefunden hab’ ... und gelt, ich hab’s doch wieder ein lützel gut gemacht?“

Er ließ ihre Hände und überflog sie mit bangem Blick. „Nur weil Du’s wieder gut hast machen wollen?“ fragte er mit versagender Stimme. „Und sonst wegen gar nichts bist gekommen?“

Sie blickte mit erschrockenen Augen zu ihm auf. „Weswegen sonst denn hätt’ ich kommen sollen? ... Ja was hast denn? Was schaust mich denn so an?“

Er schwieg und strich mit der zitternden Hand über die Stirn.

„Aber so red’ doch!“ stotterte sie in herzbeklemmender Angst.

Er schüttelte nur den Kopf und wandte sich ab.

„O mein Gott, ja was hast denn, ich hab’ Dir doch nichts gethan?“

Sie wollte seine Hand erfassen. Da klang von draußen die Stimme des Fraters. „Gittli, Gittli!“ Er trat in die Stube. „Da bist Du ja! So komm’ doch, Dirnlein, komm’ doch, Du sollst mir packen helfen.“ Bei der Hand zog er sie mit sich fort.

„Haymo ...“ stammelte sie noch einmal, aber da stolperte sie schon über die Schwelle hinaus.

Als sie an Wolfrat vorüber kam, senkte er den Kopf. Sie wollte zu ihm sprechen, allein der Frater hielt fest und zog, da gab es kein Bleiben. In der Küche that sie wortlos, was man ihr sagte.

„Bruder,“ flüsterte Herr Schluttemann dem Frater zu, „packet das ‚Pärchen‘, das noch übrig ist, oben auf! Dann haben wir doch eine Kurzweil, wenn wir rasten.“

Frater Severin nickte verständnißinnig.

Ein halbes Stündlein später waren sie alle zur Heimfahrt gerüstet. Als Wolfrat die beiden Knechte mit hochbeladenen Kraxen dahinschreiten sah, erhob er sich von der Bank. Die Ungeduld der Furcht zitterte ihm in allen Fibern. Er trat an das Fenster und rief hinein: „Soll ich noch allweil warten, Herr?“

„Ja, Wolfrat!“ klang Herrn Heinrichs Stimme, als eben Gittli zu ihm in die Stube kam, um Abschied zu nehmen. Er sah sie lange an mit freundlichen Augen. „Geh’ mit Gott, mein Kind!“ sagte er und bot ihr die Hand. Als sie dieselbe küßte, fiel eine Zähre aus ihren Augen.

„Gittli? Bekümmert Dich etwas?“

Sie schüttelte das Köpfchen und schlich davon. Vor ihrem Bruder blieb sie stehen. „Gelt, ich kann der Seph’ schon sagen, daß Du bald heimkommen wirst?“

„Sagen kannst ihr’s allweil!“

Sie wollte gehen. Mit unruhigen Augen blickte er ihr nach. Jetzt sprang er auf.

„Dirn’!“

Sie wandte sich zu ihm zurück, und da streckte er ihr wortlos die Hand entgegen. Mit kummervollem Antlitz, die Lippen wortlos bewegend, blickte sie zu ihm auf, als sie ihre Hand in die seine legte.

„Tummel’ Dich, Dirnlein, daß wir weiter kommen!“ mahnte Frater Severin.

„Ich geh’ schon!“ stotterte sie und eilte nach der Jägerhütte. Sie fand die Stube leer. Erschrockeu kam sie heraus gelaufen. „Ja wo ist denn der Haymo?“

„Vor einer Weil’ hat er dem Hund gepfiffen,“ rief ihr Wolfrat zu, „und ist da hinaufgestiegen nach den Halden.“

Zitternd stand sie und starrte in die leere Stube.

„Ist das ein Narr, ein unguter!“ brummte Frater Severin. „Nicht einmal warten kann er, bis man ihm ein ‚Behüt’ Gott‘ sagt! Komm’, Dirnlein, komm’!“

Zögernd, mit gesenktem Köpfchen, schritt Gittli hinter Herrn Schluttemann und dem Frater einher. Immer wieder blieb sie stehen und blickte nach der Jägerhütte zurück, so daß die beiden weit vorauskamen.

Nun führte sie der Weg in eine Mulde, und die Hütten verschwanden. Da sank sie auf einen Stein und schluchzte in ihre Hände.

„Jetzt ist er harb auf mich ... und ich hab’ ihm doch nichts gethan!“

Aus dem Thal herauf hörte sie den Frater ihren Namen rufen. Mit dem Aermel trocknete sie ihre Augen und fing zu laufen an.


19.

„So, Wolfrat!“ sagte Herr Heinrich, als er, die Armbrust führend, aus der Thür trat. „Wir werden bald fertig sein. Ich hab’ mich ja schon zur Heimfahrt gerüstet."

Wolfrat erhob sich. „Was soll ich schaffen, Herr?“

„Geh’ in die Küche und hol’ einen Zuber!“

Der Sudmann eilte sich; das sah ja wirklich aus nach Arbeit; mit einer hölzernen Wasserkanne kam er zurück.

„Komm’!“ sagte Herr Heinrich und ging dem Pfade zu, der in das Steinthal führte. Wolfrat folgte mit raschen Schritten.

„Was er nur wollen mag?“ fragte er sich im stillen. Eine Ahnung drohender Gefahr beschlich ihn. Narretei! Der Jäger hatte doch für ihn gezeugt, und Herr Heinrich selbst hatte ihn freigegeben! Vielleicht soll ich ihm Wurzen graben? Oder ... vielleicht hat er ein Erz gefunden, das er proben will, und ich soll ihm einen Zuber voll heimbringen!“ Beruhigt schritt er weiter. Aber immer länger erschien ihm der Weg, den sie gingen. Nun waren sie wohl schon eine halbe Stunde gewandert ... und von der Höhe her winkte das Kreuz. Wolfrat blieb stehen. „Herr? Wohin gehen wir?“

„Komm’ nur!“ sagte Herr Heinrich und schritt weiter. Als er merkte, daß ihm Wolfrat nicht folgte, hielt er inne, wandte das Gesicht und fragte lächelnd: „Oder willst Du nicht kommen?“

„Wohl wohl, Herr!“

Langsamen Schrittes wanderten sie auf dem ansteigenden Pfad empor. Jetzt kamen sie zu einem rinnenden Wasser. „Fülle den Zuber!“ befahl der Propst.

Wolfrat that es. „Was weiter, Herr?“

„Komm’ nur!“

Immer mehr näherten sie sich dem Kreuz. Aus dem Gesicht des Sudmanns war jeder Tropfen Blut gewichen, seine Augen glühten und die Kanne, die er auf der Schulter trug, zitterte, daß das Wasser über den Rand schwankte. Als sie die Höhe erreichten, sagte Herr Heinrich. „Komm’ her, Wolfrat!“ Er deutete auf die Blutspuren an dem Schnitzwerk. „Sieh’ nur diese häßlichen Flecken . . . komm’, nimm das Wasser und wasche sie weg!“ Dem Kreuz gegenüber, das vom Glanz der Sonne umschimmert war, setzte er sich auf einen Stein und entblößte das Haupt. „Nun? Warum zögerst Du?“

Wolfrat stellte die Kanne nieder, schöpfte Wasser mit der hohlen Hand und wusch ... und wusch ...

„Sie wollen nicht weichen, Herr,“ sagte er nach einer Weile mit dumpfer Stimme, „sie haben sich eingefressen in das Holz.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 424. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_424.jpg&oldid=- (Version vom 7.4.2024)