Seite:Die Gartenlaube (1892) 434.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Gründe rechtfertigen das auch vollauf. Mag der Faltenwurf einer Gestalt noch so reich sein, an einzelnen Stellen kommt dennoch der Körper zum Vorschein. Das Verhältniß dieser Punkte zu einander nun würde eine fragwürdige, nicht immer überzeugend richtige werden, wenn der Körper nicht wirklich vorher darunter modelliert würde.

Gerüste mit Holzkreuzen.

Hat der „Akt“ unter der Bearbeitung mit Modellierholz, Schlinge und Fingern den Grad der Vollendung erreicht, den die mehr oder minder reiche Bekleidung erfordert – je weniger Gewand, um so feinere Durchbildung des Nackten ist naturgemäß nothwendig – so wird die Gewandung angelegt. Zuvor aber wird der Körper überall an den Stellen, die bedeckt werden sollen, mit dünner nasser Seide überzogen. Sie verhindert, daß man später bei etwa nothwendigen Aenderungen oder beim Modellieren von Gewandtiefen in den Thon hineingeräth, welcher den Körper darstellt. Ueber eine Gliederpuppe, deren Kugelgelenke gestatten, daß man ihr jede gewünschte Haltung giebt, wird nun mit geduldigem Versuchen und wieder Versuchen – nicht selten währt es tagelang, bis das Gewünschte gefunden ist – ein Gewand gelegt, dessen Faltenwurf den Absichten des Künstlers entspricht, und dann beginnt er es in Thon zu übertragen. Was jetzt folgt, die Ausführung, die bei einer lebensgroßen Figur Monate, ja nicht selten Jahre in Anspruch nimmt, ist im Grunde nichts als ein immerwährendes Verändern und Vervollkommnen der Einzelheiten. Man darf niemals denken, daß ein Bildwerk, welches so, wie es fertig dasteht, in jedem Zuge den Eindruck macht, als könnte es nicht anders sein, so völlig ausgeglichen dem Kopfe des Künstlers entsprungen wäre. Es ist ein Erzeugniß unermüdlichen Schaffens, Wiederzerstörens und bessernden Neuschaffens. Was von einer Seite schön aussah, war es oft nicht von der andern. Dinge, die der Beschauer als selbstverständlich hinnimmt, mögen den Künstler bis zur glücklichen Lösung der Verzweiflung nahe gebracht haben. Er sieht sich nicht selten genöthigt, an einem Tage zu Gunsten möglicher Verbesserungen wieder wegzunehmen, woran er wochenlang gearbeitet hat. Kurz, die Meinung, als ob der talentvolle Künstler seine Arbeiten nur so „aus dem Aermel schüttele“, ist eine durchaus irrige.

Manchem wird wohl mit dieser Schilderung seine Vorstellung von echter Künstlerschaft einigermaßen in die Brüche gehen: dies mühsame Zusammenquälen ist doch gar nicht „genial“! Es ist aber nicht schade um jene Vorstellung, denn sie entspringt nur großer Unkenntniß. Bei einem Kunstwerk handelt es sich vor allem darum, wie es schließlich ist. Ob es mit mehr oder minder Aufwand von Mühe so geworden, ist eine Sache, die nur den Künstler selber angeht. –

Endlich steht das Modell in Thon vollendet da. Das kritische Auge des Urhebers findet nichts Störendes mehr daran, und er zeichnet mit dem Hochgefühl stiller Genugthuung seinen Namen ein. Das Schöpferisch-Künstlerische der Bildhauerei ist damit abgeschlossen. Was nun folgt, bis das Bildwerk in Marmor oder Bronze vor uns steht, ist Sache des Kunsthandwerks.

„Verlorene Form“ über dem Thonmodell und „Stückform“.

Zunächst muß aber dem Modell noch Dauerhaftigkeit verliehen werden. Der Thon, der bis jetzt Tag für Tag angefeuchtet worden ist, giebt dem Bildwerk zwar einen prächtigen lebensvollen Charakter, behält diesen aber leider nicht, wenn er trocken wird. Abgesehen davon, daß er in diesem Zustande keine genügende Festigkeit besitzt, wird er dann stumpfgrau und rissig. So kommt das Werk des Bildners denn zuvörderst unter die Hände des Gipsgießers oder Kunstformers, der aus Gips eine sogenannte „verlorene Form“ darüber macht. In diese wird, nachdem das Thonmodell, das dabei zerstört wird, stückweise daraus entfernt und der Hohlraum mit Wasser gereinigt ist, Gips hineingegossen; ist dieser erhärtet, so wird die Form vorsichtig in Stücken abgeschlagen – daher der Ausdruck „verlorene Form“ – und was vorher Thon war, steht nun in dem beständigeren Gips da.

So einfach sich das liest, so ist doch der Vorgang dabei im einzelnen ein sehr komplizierter. Wir wollen darum den Verlauf dieses „Abgießens“, wie es zum Untterschied vom eigentlichen Formen genannt wird, an einem einfachen Beispiel, einer Büste, erläutern. Nachdem das Thonmodell derselben von einer außen aufgesetzten Wand dünner Zinkbleche, die, wie die obenstehende Abbildung

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 434. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_434.jpg&oldid=- (Version vom 10.5.2021)