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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

wegschlagen, was seitwärts über diesen hinausragt. In gleicher Weise werden weiterhin die anderen Höhenpunkte gefunden, bis Modell und Stein derart mit einem Netzwerk von Punkten bedeckt sind, daß schließlich die centimetergroßen Entfernungen zwischen den einzelnen freihändig bearbeitet und zusammengeführt werden können. Dann treten wieder mehr künstlerische Anforderungen an den Ausführenden heran, denn jetzt gilt es, mit den verschiedenartigsten Meißeln, mit Bohrer und Raspel hier der feinen Zeichnung der Haut, dort der flotten Behandlungsweise von Haar und Kleidung gerecht zu werden, mit einem Wort, das Leben, das der Künstler dem fügsamen Thon verliehen hatte, nun auch dem spröden Stein abzugewinnen.

Auf diese Weise – „mit drei Zirkeln punktieren“ heißt der fachmännische Ausdruck – können natürlich nur Reliefs und ähnlich geartete Bildwerke bearbeitet werden; große und hochaufragende entziehen sich solcher Behandlung. Sie werden mittels sinnreich konstruierter Hilfswerkzeuge (vergleiche nebenstehende Abbildung) und auf mancherlei Arten punktiert. So verschieden diese aber auch sind, alle stimmen darin überein, daß sie die Uebertragung nicht dem „genialen“ Blick, dem beliebten „Künstlerauge“ überlassen, sondern zuverlässigen Meßwerkzeugen. Wer einmal der außerordentlich mühevollen und langsam fortschreitenden Arbeit eines Marmorbildhauers zugesehen hat, der wird einsehen, daß ein schöpferischer Künstler damit seine beste Zeit verlieren würde. Die Kunst der Gegenwart stellt nebenbei so hohe Anforderungen an technische Geschicklichkeit, daß ihnen nur entsprechen kann, wer ununterbrochen mit Hammer und Meißel arbeitet.

Marmorbildhauer, mit der Punktierungsmaschine arbeitend.

Nachdem wir so dem Bildwerk bis zur Fertigstellung in Marmor gefolgt sind, erübrigt es noch, einiger Vervielfältigungsarten zu gedenken, insbesondere derjenigen in Gips. Sie ist wie das oben beschriebene Abgießen Sache des Kunstformers und hat zur Grundlage das Gipsmodell, das wir aus der „verlorenen Form“ haben herauswachsen sehen. Soll z. B. ein Reliefbild, das man sich als einen vergrößerten Thaler vorstellen kann, vervielfältigt werden, so ist das auf zweierlei Weise möglich. Am häufigsten geschieht es mittels einer Leim- oder Gelatineform. Ueber das schellackierte und geölte Modell wird hierbei eine etwa fingerdicke Thonschicht gebreitet und diese wiederum mit einer stärkeren Lage Gips überdeckt; man nennt die letztere die „Kappe“. Ist sie fest geworden, so nimmt man sie ab, entfernt den Thon und legt sie wieder über das Modell. Zwischen Kappe und Modell ist jetzt ein leerer Raum vorhanden, der nun durch eine Oeffnung mit zähflüssigem Leim angefüllt wird. Nach drei bis vier Stunden erkaltet dieser zu einer elastischen Masse, welche natürlich alle Einzelheiten des darunter liegenden Modells angenommen hat. Diese Masse bedarf noch des Firnissens und Oelens und giebt dann die Form ab für eine ganze Reihe von Ausgüssen, solange, bis der Leim durch allmähliche Verdunstung wieder eintrocknet. Ein Vorzug derartiger Vervielfältigung ist die verhältnißmäßige Leichtigkeit der Herstellung; auch weisen die gewonnenen Güsse keine oder, bei größeren Stücken, nur eine „Naht“ auf.

Wollte man auf gleiche Weise eine Form, die dauern soll, aus Gips herstellen, so würde sie vom Modell nicht loszunehmen sein, weil sie sich selbstverständlich in alle Tiefen, aus denen sich der Leim noch herausziehen läßt, festklemmen würde. Daraus folgt, daß eine Gipsform aus so viel Stücken bestehen muß, als sich einzeln losnehmen lassen.

Man nennt sie aus diesem Grunde Stück oder Keilform. Sie erhält sich bei guter Behandlung sehr lange, hat aber den Nachtheil, daß die Güsse mit sehr vielen „Nähten“ – Erhöhungen, die da entstehen, wo die Formstücke zusammenstoßen – bedeckt sind. Mehr oder weniger sorgsam bearbeitet, entstehen auf die angegebenen Arten besonders alle die Gipsabgüsse, die wir im Handel sehen. Manche werden nach der Fertigstellung noch einem siedenden Stearinbade ausgesetzt; der Gips wird dann als „Elfenbeinmasse“ bezeichnet.

Von anderen Vervielfältigungen wären endlich noch die Figuren aus gebranntem Thon zu erwähnen. Sie werden in einzelnen Theilen in Formen gequetscht, zusammengesetzt und dann im Ofen gebrannt. Hierfür ist es erforderlich, daß sie möglichst hohl sind. Da sie nach dem Zusammensetzen natürlich noch einmal übermodelliert werden müssen und das nicht immer von künstlerischer Hand geschieht, so ist viel Minderwerthiges darunter. Sie sind deshalb nicht mit Originalterrakotten zu verwechseln, denen wir in Kunstausstellungen begegnen. Hier haben wir es vielmehr mit der eigenen Arbeit des Künstlers zu thun, die nach dem Modellieren ausgetrocknet und gebrannt ist. Naturgemäß werden für solche Arbeiten auch ganz andere Preise verlangt als für jene.

Kommen wir nach den mannigfachen Abschweifungen noch einmal auf den eigentlichen Künstlerbildhauer zurück, so müssen wir feststellen, daß er seinen Namen, der früher nicht unberechtigt war, in unserer alles spezialisierenden Zeit mit Unrecht trägt. Er „haut“ nicht, er „meißelt nicht in Bronze“, wie man öfter in sogenannten Künstlerromanen lesen kann, sondern er modelliert. Mag hie und da eine Ausnahme stattfinden, im allgemeinen ist das Regel. Das ist der Grund, weshalb man den Bildhauer besser „Bildner“ nennen sollte.


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 436. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_436.jpg&oldid=- (Version vom 7.4.2024)