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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)


auf dem Herzen lag, auszusprechen. Endlich erhoben sich beide zum Fortgehen. Draußen auf der Straße blieb der Brauuschweiger stehen und sagte zögernd, indem er seinen Rockkragen in die Höhe schlug:

„Wenn Sie nicht durch irgend eine Verabredung gebunden sind, so möchte ich wohl um die Erlaubniß bitteu, Sie bis an Ihren Gasthof begleiten zu dürfen.“

Helmuth versicherte höflich, er stelle seine Zeit wie seine Aufmerksamkeit Herrn Marboth zur Verfügung.

Dieser blickte mit einem Athemzug der Erleichterung nach dem glühlichterhellten Lokal zurück, dessen durch Tabaksrauch und Speisegerüche verdorbene Luft sie soeben verlassen hatten.

„Entschuldigen Sie,“ nahm er etwas beklommen wieder das Wort und begann mäßig auszuschreiten, „ich wollte Ihnen schon vorhin – aber es ist eine etwas – etwas zarte Angelegenheit, und da drinnen ist wohl nicht der rechte Ort.“

Helmuth, welcher schon wußte, was kommen würde, murmelte eine Ermuthigung.

„Es ist sehr hübsch von Ihnen,“ sagte Marboth. „Sie können sich nicht vorstellen, wie ich mich freue, daß Sie gekommen sind; man kann nun doch frei von der Leber weg sprechen – Mann zu Mann – und Sie sind da nun schon so lange Hausfreund. Immer nur mit den Damen – offen gestanden, das ist nichts für mich. Und die Mutter, die hat so eine Art – ach, die macht einen reinweg mundtot.“ – Wieder ein tiefer Athemzug. Helmuth sah nach dem Himmel, an dem sich eben das Gewölk theilte und einigen Sternen Raum gab. O ja, er kannte diese Art, „einen mundtot zu machen“.

Pr.-Lt. v. Volkamer.   Pr.-Lt. v. Stetten.       Dr. Richter.
Dr. Preuß. 0 Leg.-R. v. Schuckmann.  

Das Grab des Hauptmanns von Gravenreuth in Kamerun.

„Sie werden es wohl gemerkt haben, daß ich nicht bloß so – so zum Zeitvertreib hier bin, sondern weil – ja, sehen Sie, Sie müssen sich nicht wundern, ich bin auf Veranlassung meines Onkels Konrad Marboth hier, der da auch Hausfreund ist – unter uns: ich glaube, er hat ein Auge auf die Mutter. Na, das ist Geschmackssache. Nun sitz’ ich da in meinem Braunschweig – ich bin nicht weit davon zu Hause, vom Lande, wissen Sie, mein Vater war Gutspächter und ich sollte auch – bin auch zwei Jahre auf die Landwirthschaftsschule gegangen und stehe noch mit unserem Direktor in Briefwechsel. Aber der Kaufmann steckte nun ’mal in mir, und so habe ich denn noch rechtzeitig umgesattelt. Hat sich ja auch gezeigt, daß es das Richtige war; ich kann Gott sei dank zufrieden sein; nur das Häusliche – das fehlt, und das kann ich nicht gut missen. Der Gesangverein – na ja, das ist ja ganz schön; aber wenn man dann so nach Hause kommt – und mit dem Familienverkehr – Sie haben es ja gesehen: ein Weltmann bin ich nicht, und wenn einem auch manche Damen sehr entgegenkommen – das kann ich erst recht nicht ausstehen. Und so sprach ich denn letzthin mit Onkel Konrad darüber – er war vor sechs Wochen in Berlin und Braunschweig – und da fing er gleich von Fräulein Hedwig an und zeigte mir das Bild der Mutter und sagte, die Tochter wäre auch so ähnlich, nur blond. Na, das konnte einem ja schon gefallen, nicht wahr?“

Helmuth war vollständig der Meinung des Redners.

„Er setzte mir so zu,“ fuhr dieser fort, „daß ich kaum das Ende der Inventurarbeiten abwarten konnte. Vor drei Tagen kam ich hier an, aber –“

Die tiefen Athemzüge folgten einander in immer kürzeren Pausen.

„Daß es mit Hedwig nichts war, das sah ich gleich. Ein hübsches Mädchen ist sie, dagegen ist nichts zu sagen. Aber diese Unfreundlichkeit! Ob ihr nun meine Person nicht gefällt oder die Art, wie ich ins Haus gekommen bin – ich weiß es nicht; vielleicht hat sie auch einen anderen im Sinne. Das sind nicht meine Angelegenheiten. Aber wenn sie nur ins Zimmer kommt, so friert mir schon die Zunge im Munde fest. Na, Sie haben es ja gesehen – das heißt, eigentlich nicht, denn heute, seit Sie hier sind, ist sie ganz menschlich. Vielleicht daß sie sich vor Ihnen geniert, oder – wer weiß! Wie gesagt, ich wäre den nächsten Tag wieder abgereist, denn diese Art paßte mir natürlich nicht. Aber die Kleine! Sehen Sie, die Kleine – das ist nun doch das Reizendste, was man sich denken kann. Zuerst hab’ ich sie häßlich gefunden – ich begreif’ es gar nicht mehr. Die schönen freundlichen Augen und das herzliche Lachen und immer so gut und so munter und immer um mich herum, als ob sie mich trösten wollte. So hat sie es wohl auch zuerst gemeint; aber jetzt – ich hoffe wenigstens, daß – daß es ihr auch Vergnügen macht; kokett ist sie ja nicht die Spur – und – sie muß es auch merken, wie – wie sehr ich –“

Dem guten Jungen kam etwas in die Kehle; er machte einige so große hastige Schritte, daß Helmuth ihm kaum folgen konnte.

„Warum sagen Sie es ihr denn nicht?“

„Wenn ich das könnte!“ entgegnete der Verliebte nach bedenklichem Schlucken und Räuspern. Vielleicht ist es doch nur Mitleid – und einen Korb – nein, Herr Stolz! Und dann die Mutter, die immer noch zu glauben scheint, ich sei Hedwigs wegen hier geblieben – es wäre doch nicht anständig, so ohne ihr Vorwissen – und darum – darum sollen Sie es ihr sagen; ja, Sie müssen das für mich thun, ich kann es wahrhaftig nicht! Sie hat so eine Art, und es könnte mir zustoßen, daß ich heulen müßte wie ein Schuljunge!“

Auch jetzt schien er nicht allzuweit von diesem bedenklichen Augenblick entfernt; die Stimme brach ihm zuweilen bis zur Unverständlichkeit, und sein Athem ging in keuchenden unregelmäßigen Stößen – kein Wunder auch bei dem Sturmschritt, in den er verfallen war. Helmuth fühlte sich lebhaft berührt durch das warmherzige kindliche Vertrauen des jungen Mannes, dem eine natürliche Vornehmheit des Gefühls nicht abging. Gern versprach er, Lola vorzubereiten; ja er freute sich darauf, sie zu überführen, daß ihre verkünstelte Empfindung immer auf das Fernliegende verfalle. Julius Marboth ein Diplomat!

Unfähig, die heute so vielfach angespannten Seelenkräfte länger zu zügeln, horchte er nur noch zerstreut auf die Worte seines Begleiters, durch dessen einmal geöffnete Redeschleusen sich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 445. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_445.jpg&oldid=- (Version vom 9.6.2021)