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verschiedene: Die Gartenlaube (1892)


Er strich mit bebender Hand über sein Haar und seine feuchte Stirn.

„Ich muß Sie sprechen, Lola, sofort – kommen Sie!“

Er sagte es ernst, fast befehlend, obwohl Mund und Kehle ihm kaum gehorchen wollten. Betroffen blickte sie ihn an; dann ging sie ihm rasch voran ins Speisezimmer. Sollte ihr doch noch der ersehnte Triumph beschieden sein?

Auf einem Stuhle am Fenster nahm sie Platz, während er hastig auf und nieder schritt. Jetzt blieb er stehen und deutete auf die wieder geschlossene Schiebethür, die in den Salon führte.

„Dort driunen ist ein glückliches Brautpaar – Resi und der junge Marboth,“ begann er. „Bleiben Sie!“ fuhr er fort, als sie sich in freudigem Schrecken erheben wollte, „die werden schon kommen, sobald sie Sehnsucht nach Ihrem mütterlichen Segen verspüren werden. Ich habe Ihnen noch etwas anderes zu sagen. Es drängt mich, Frieden mit Ihnen zu machen, Lola. Sie haben mir übel mitgespielt, jahrelang – Sie haben meine Liebe nicht einschlafen lassen, mich mit eitlen Hoffnungen hingehalten, ohne die Absicht, sie zu erfüllen – ist das so?“

Sie strich mit der Hand schmeichelnd über den weichen Plüsch ihres Gewandes.

„Mein Gott, lieber Freund, Sie werden tragisch. Vielleicht hatte ich dennoch so halb und halb die Absicht, das heißt, ich ließ mich von den Verhältnissen treiben und war schließlich selber neugierig, an welchem Ufer ich landen würde. Eigentlich konnte es ja für Thomas Winters Witwe nichts Verlockendes haben, nach Hamburg zurückzukehren und den Lästerzungen Gelegenheit zur Erneuerung eines alten Themas zu geben. Und Sie zu veranlassen, Hamburg und Ihrem Beruf den Abschied zu geben, dazu waren Sie zu jung. Ein junger Mann ohne geregelte Berufsthätigkeit ist eine Qual für sich und seine Umgebung.“

„Wenn Sie mich geliebt hätten, wie Sie mich manchmal glauben ließen – doch das liegt nun hinter uns. Ich danke Ihnen für das, was Aufrichtiges in Ihren Worten war – es thut mir nicht mehr weh. Aber für die langen schweren Leidensjahre, die ich Ihnen jetzt von Herzen verzeihe, sind Sie mir eine Genugthuung schuldig, eine Entschädigung, die, wenn Sie sie mir gewähren, Sie selbst Ihrem Ziele näher bringt –“

Weit vorgebeugt, ihm mit erwartungsvollen Blicken die Worte vom Munde holend, saß sie da.

„Geben Sie mir Hedwig!“ fuhr er tief bewegt fort. „Ich glaube hoffen zu dürfen, daß ihr Herz an mir hängt – vielleicht haben Sie das gewußt, vielleicht nicht, es kommt auch nichts darauf an. Was mir dies Mädchen ist, ich kann es nicht ausdrücken. Alles Glück, das ich je erhoffte, erwarte ich jetzt von ihr – alles, was rein und schön und innig ist, verkörpert sich mir in Hedwig. Wollen Sie uns glücklich machen?“

Ein Schatten gekränkter Eitelkeit lag auf Lolas Zügen; sie preßte die Lippen zusammen und sah eine Weile vor sich hin. Doch sie fühlte, daß das Gute und das Nützliche hier zusammenfiel; es war leicht, das Nothwendige mit Liebenswürdigkeit zu thun. Sie stand auf, und mit sonnigem Lächeln reichte sie Helmuth die Hand.

„Ich freue mich, daß ich eine Gelegenheit finde, wieder gut zu machen, was ich mit oder ohne Absicht an Ihnen verbrach,“ sagte sie mit einer Freundlichkeit, der eine kokette Schelmerei beigemischt war. „Zugleich fühle ich, wie seltsam es ist, daß mein allzeit hilfsbereiter Freund selbst in dem Augenblick, da er sich von mir abwendet, mich in meinem Wünschen und Wollen unterstützt. Geständniß gegen Geständniß – und ein bißchen Rachegefühl müssen Sie mir dabei noch gönnen – vor sechs Wochen habe ich Konrad Marboth mein Wort gegeben.“

Leicht kopfschüttelnd sah er sie an. „So hätten Sie, als Sie mich herbeiriefen, absichtlich die falsche Voraussetzung in mir verstärkt, ich solle Hedwig in meinem Interesse überreden –“

Lola lachte. „Keine Bitterkeit, mein Freund! Sie werden glücklich werden, vielleicht glücklicher als ich – lassen Sie das Vergangene vergangen sein! Haben Sie schon mit Hedwig gesprochen?“

„Noch nicht; sie hat sich geflüchtet, in ihr Zimmer eingeschlossen.“

„Kommen Sie!“

Sie ging ihm voran und klopfte an Hedwigs Zimmer.

„Mach’ auf, Hedwig, ich bin es, Deine Mama!“

Der ungewohnt weiche Ton der Stimme Veranlaßte Hedwig, die Thür zu offnen. Vor ihr stand die Mutter, die Augen freundlich auf sie gerichtet. Und ein anderer tauchte dahinter auf und drang ins Zimmer und zog das scheu zurückweichende Mädchen in seine Arme.

„Hedwig – Geliebte!“

Sie wehrte sich nicht mehr. Stumm und selig duldete sie seine Liebkosungen, während die Mutter sich still zurückzog.

Als Lola den Salon betrat, wand sich Resi aus Marboths Armen und warf sich lachend und weinend an ihre Brust.

„Mama – Mama – denk’ nur, ich bin verlobt! Ist das nicht – nicht köstlich?“

Und Lola lachte und weinte mit ihrem Kinde.


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Blätter und Blüthen.



Max von Forckenbeck †. (Zu dem Bildniß S. 42l.) Der Oberbürgermeister der deutschen Reichshauptstadt Max von Forckenbeck ist am 26. Mai zu Berlin gestorben. Mit ihm ist ein Mann dahingegangen, der in der Geschichte des preußischen Staats wie des Deutschen Reichs wiederholt eine hervorragende Rolle zu spielen berufen war, den insbesondere die Stadt Berlin dauernd als einen ihrer vornehmsten Förderer in dankbarem Gedächtniß behalten wird. Vierzehn Jahre hat er an der Spitze der ersten Stadt im Reiche gestanden, und wie unter seiner Verwaltung dieses Gemeinwesen emporblühte, wie es unter seiner sicheren Leitung alle Errungenschaften der Neuzeit sich zu eigen machte, wie sorgsam es seine Pflichten als Millionenstadt und als Sitz der Reichsgewalten erfüllte, das haben die Zeitgenossen bewundernd miterlebt. Man mag sich einen Begriff machen von der Größe der Last, welche auf den Schultern dieses Mannes ruhte, wenn man bedenkt, daß während seiner Amtsthätigkeit die Bevölkerung von Berlin sich um eine halbe Million vermehrte!

In der Politik ist er in den letzten Jahren wenig mehr hervorgetreten. Am bedeutsamsten war auf diesem Felde wohl jene schwierige und verantwortnngsvolle Aufgabe, als er in der preußischen Konfliktszeit die ablehnenden Beschlüsse der Budgetkommission gegenüber den militärischen Forderungen der Regierung zu vertreten hatte. Stets aber hat er sich als einen Mann erwiesen, der die in ehrlichem Ringen gewonnene Ueberzeugung mit mannhaftem Muthe verfocht, immer nur das eine Ziel im Auge, dem Ganzen zu dienen. Und solch ein Charakter wird stets über den Parteien stehen. So war denn auch die Theilnahme eine weitverbreitete, als der Einundsiebzigjährige so jäh aus dem Leben abberufen wurde, und sein Andenken wird in Ehren bleiben im deutschen Vaterland noch lange Zeit!

Seehunde im Hagenbeckschen Thierpark zu Hamburg. (Zu dem Bilde S. 429.) Der Seehund gehört zu den stehenden Gästen in unseren Thiergärten. Hagenbeck in Hamburg, der diese Gärten mit einem großen Theile ihrer Bewohner versieht, unterhält deshalb seit einer Reihe von Jahren eine ständige Jagd anf Seehunde. In besonderen Wasserbecken werden die oft mit Lebensgefahr für die Jäger gefangenen Thiere nach Hambnrg gebracht und dort sofort in verdeckten Wagen, zehn bis zwölf Stück auf einmal, nach dem am Neuen Pferdemarkt gelegenen Thierpark übergeführt, wo ihnen ein geräumiger Teich zur Verfügung steht. Unsere Abbildung vergegenwärtigt uns diesen Teich mit seinen merkwürdigen Insassen, deren er im Augenblick der photographischen Aufnahme nicht weniger als fünfundvierzig beherbergte.

Man kann die Seehunde am besten beobachten da, wo sie mit ihrem gefährlichsten Feinde, dem Menschen, noch so gut wie gar nicht in Berührnng gekommen sind, an entlegenen Küsten, auf einsamen fernen Inseln, die der Seehundjäger noch nicht zum Jagdplatz erkoren hat; oder aber da, wo der Mensch sie hegt und schützt. Die Seehunde bringen den Tag am liebsten auf dem Lande zu, schlafend und sich sonnend, das vollendetste Bild der Faulheit. Jede Störung ihrer bequemen Lage ist ihnen höchst verhaßt: mit Wonne dehnen und recken sie sich auf ihrem Lager, das sie in mühsamem unbehilflichen Klettern und Kriechen erreicht haben, und bieten bald den Rücken, bald die Seiten, bald den Unterleib den freundlichen Strahlen der Sonne dar, kneifen die Augen zu, gähnen und zeigen sich überhaupt mehr toten Fleischmassen als lebenden Geschöpfen gleich. Nur die regelmäßig sich öffnenden und schließenden Nasenlöcher geben Kunde von ihrem Leben. Insbesondere die alten Seehunde erscheinen auf dem Lande unglaublich träge, während sich die Jungen lebhafter und spiellustiger gebärden. Ganz anders im Wasser! Hier ist, das merkt man sogleich, ihre eigentliche Heimath. Sie schwimmen und tauchen mit größter Meisterschaft. Es gilt ihnen gleich, ob ihr Leib mit der Oberseite nach oben oder nach unten liegt, sie bewegen sich sogar nach Brehms eigenen Beobachtungen rückwärts; jede Wendung und Drehung führen sie mit erstaunlicher Gewandtheit aus. Mit der Schnelligkeit eines Raubfisches schießen sie durch das Wasser, wälzen sich blitzschnell um sich selbst herum, sind auch imstande, solange es ihnen beliebt, auf einer und derselben Stelle zu verweilen – kurz, ein vollkommen entgegengesetztes Bild.

Kaiserswerth. (Mit Abbildung S. 451.) Das „Amen des Rheins“ hat man das Siebengebirge schon genannt. Es ist gleichsam der großartige Schlußaccord eines feierlichen Hymnus, in welchem der Komponist noch einmal alle Kraft zusammennimmt und die ganze Tiefe seiner Empfindung ausströmt. Wer dann über Bonn hinaus den Rhein zu Thal fährt, muß sich

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verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1892, Seite 450. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_450.jpg&oldid=- (Version vom 7.4.2024)