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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

und seine klugen, forschenden Augen schauten mit langsam gleitenden Blicken umher, als läge die Natur vor ihm wie ein aufgerolltes Pergament; jeder Baum ein Buchstabe, jeder Fels ein Wort.

Da fühlte er ein leises Kribbeln auf der Hand; eine Ameise lief über seine Finger; er bückte sich und ließ das verirrte Thierchen von seiner Hand auf die Erde kriechen; hier fand es Gesellschaft, denn eine zweite Ameise kam eilig über den Kies gehuscht – auf einem flachen Steinchen trafen sich die beiden; sie stutzten voreinander, hielten erregte Zwiesprach mit den Fühlern, liefen ein wenig zurück, dann wieder vor, und plötzlich fielen sie sich kämpfend an.

„Es ist doch allweil das Gleiche!“ lächelte Pater Eusebius und tippte die Streitenden mit dem Finger an, daß sie erschrocken auseinander fuhren. „So groß ist die Welt – es könnt’ doch eines am andern vorbeigehen in Ruh’ und Fried’. Aber nein, just nicht ... raufen müssen sie, beißen, schlagen und stechen!“

Herr Heinrich trat aus der Klause. Eine tiefe Erregung sprach aus seinen Zügen und Augen. Mit eindringlichen Worten empfahl er den Sudmann der Pflege des Paters. „Und was ich Dir sagen will ... Du brauchst den Mann nicht mehr zu fragen wegen seiner Schwester!“ Mit raschen Schritten ging der Propst dem Ufer zu, um die Heimfahrt anzutreten.

Als er eine Stunde später am Haus des Sudmanns vorüberritt, sah er den Eggebauer schon im verlassenen Gehöft umherspazieren, die Hände auf dem Rücken, mit verdrossenen Augen das Dach und die Mauern musternd.

Der Bauer schien mit seiner Freundschaft für Wolfrat große Eile zu haben; denn schon am folgenden Morgen begann er die Arbeit, zum keifenden Verdruß seines Weibes, auf dessen scheltende Fragen der Bauer nur immer die kleinlaute Antwort wußte: „Es muß sein ... der Herr will’s haben! Frag’ ihn, warum!“

Verreist!
Nach einer Zeichnung von E. Unger.

Tag um Tag verging.

Bei Sepha war eine schwere Krankheit zum Ausbruch gekommen. Die Nachrichten aus der Bartholomäer Klause lauteten immer gleich: ein zähes, doch nutzloses Ringen wider den Tod. Mit den Salzfuhren aber ging alltäglich die freundliche Botschaft nach Salzburg: Gittli möge sich trösten, es stehe besser bei allen.

Nach der zweiten Woche war Haymo so weit genesen, daß er seinen Hegedienst wieder antreten konnte. Aber seine Wangen wollten sich nicht wieder röthen, seine Augen blieben trüb und müde. Aus dem heiteren, lebensfrohen Bursch war ein stiller, in sich versunkener Mann geworden. Mit eisernem Fleiß versah er seinen Dienst. Das Bleiben in der Hütte aber war ihm eine Qual; und als die Nächte wärmer wurden, legte er sich, wo der Abend ihn überraschte, unter freiem Himmel schlafen. Lange Stunden saß er oft dem Kreuz in der Röth’ zu Füßen und starrte die Nägel an, von denen der Föhnsturm Gittlis Schneerosen hinausgeweht hatte in die brausenden Lüfte. Wohin? Wohin?

Zwei weitere Wochen . . . und es war Almenzeit geworden. Die Niederalmen waren schon mit Jungvieh befahren; nun ging es mit den Milchkühen auf die Hochalmen.

An einem sonnigen Morgen war im Gehöft des Eggebauern alles Leben und Bewegung. Die freigelassenen Kühe rannten mit gestreckten Schweifen umher und brüllten ... aber noch lange nicht laut genug, um die kreischende Stimme der Eggebäuerin zu übertönen, welche seit Tagen schon das Krankessbett verlassen hatte und wieder in Haus und Hof umherfuhr wie ... der Bauer pflegte zu sagen: wie der ledige Teufel. Zwei Knechte standen vor einem Ziehkarren bereit, auf den das Almengeräth geladen war. Auch Zenza hatte sich schon zur Bergfahrt gerüstet, Hut und Griesbeil mit Blumen geschmückt.

Der Eggebauer schlich brummend umher, bis ihm Zenza zurief: „Was ist denn, Vater, wo bleibt denn der Hüter? Du wirst doch einen eingedingt haben!“

„Wohl wohl! Vor vier Wochen schon hat sich einer angetragen. Und nur die Zehrung hat er verlangt, keinen Heller Lohn. Da hab’ ich ihn freilich gleich genommen. Schau, dort kommt er.“

Zenza blickte auf und sah den Kropfenjörgi das Gehöft betreten. Ein zorniges Gelächter klang von ihren Lippen; aber sie sagte kein Wort.

Die Bergfahrer sammelten sich um die Bäuerin, welche den Almensegen sprach und Menschen und Vieh mit geweihtem Wasser besprengte. Dann begann die Almfahrt, mit Lärm und Geschrei, mit Brüllen und Läuten.

Spät am Abend wurde die Sennhütte in der Röth’ erreicht; am Morgen zogen die Knechte wieder ab, und am folgenden Tag war alles im Geleise. Mit fahriger Verdrossenheit that Zenza ihre Arbeit; über ihrem ganzen Wesen lag eine brennende Unruhe, die sich steigerte von Tag zu Tag.

Eines Abends ging Haymo nahe bei der Hütte vorüber. Zenza erblickte ihn durch das Fenster, und mit brennendem Gesichte sprang sie zur Thür’. „Haymo! Willst denn nicht ein lützel einkehren?“

„Vergelt’s Gott, Sennerin, aber ich hab’ keine Zeit!“ Er rückte die Kappe und stieg seines Weges weiter.

Erblassend trat sie in die Hütte zurück. Ihre Fäuste ballten sich. „Das war das letzte Wörtl, das ich ihm gegeben hab’.“

Der Kropfenjörgi kam; er erschrak, als er Zenzas Gesicht erblickte. „Was hast denn, Sennerin?“ fragte er stotternd. „Bist letz?“

„Laß mich in Ruh’, Du Tapp!“

Er setzte sich in den Herdwinkel und starrte sie unverwandt mit seinen glotzenden Augen an, bis sie ihn aus der Hütte jagte.

Tag um Tag verging, und Zenza wurde immer stiller und verdrossener. Der Kropfenjörgi hatte viel mit der Herde zu schaffen aber in jeder freien Minute lief er hinter dem Mädchen her wie ein Hund hinter seinem Herrn. Mit dem Spürsinn der Eifersucht fand er bald heraus, wo die Ursach’ ihrer schlimmen Laune zu suchen wäre. Zenzas Augen blickten ja nie so finster, als wenn Haymo auf seinem Hegergang in die Nähe des Almfeldes kam.

„Sennerin! Hat Dir der Jäger was angethan?“ so fragte der Kropfenjörgi zu dutzendmalen.

Doch Zenza hatte nur immer die gleiche Antwort. „Laß mich in Ruh’, Du Tapp!“

Eines Abends aber trat ihr der verschlossene Zorn doch auf die Lippen. Da saßen sie am Herdfeuer. Draußen ging ein Schritt vorüber, den sie alle beide kannten. Zenzas Augen flammten, und ihre Hände zitterten.

Jörgi schlich aus dem Winkel hervor. „Sennerin?“ fragte er mit heiserer Stimme. „Sag’ mir’s! Hat Dir der Jäger was angethan?“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 501. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_501.jpg&oldid=- (Version vom 28.3.2021)