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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)


Meter von dem oberen Rande. Häufig sind die Wohnungen so dicht neben- und übereinander gelegen, daß nur eine Handbreite sie voneinander trennt. Die Kolonie bietet den Anblick eines äußerst bewegten, munteren Treibens. Unaufhörlich schaffen die fleißigen Gesellen, ganze Abtheilungen fliegen plötzlich ab, um ein Luftspiel vorzunehmen oder sich mit Nahrung zu versehen, andere Abtheilungen kehren zurück, um von neuem an die unterbrochene Arbeit zu gehen.

b.0 Segler.

Mauersegler.

Auf hohen steinernen Gebäuden, die mit geeigneten Mauerhöhlen und Ritzen versehen sind, liegt die Wohnung des Mauerseglers.

In Friedberg, dieser alten Festung, namentlich in dem Burgtheil, lernten wir als Knaben zuerst ihn kennen; dort war er Kamerad der Seminaristen an dem steinernen Seminargebäude und Hausgenosse der Familie des Thurmwächters an dem alten runden Thurme, sowie an der Stadtkirche. Vom ersten Mai an bis zum August umschwärmte er die hohen Gebäude und jagte mit solch gellendem Geschrei durch die Straßen, daß man seines Treibens oft müde ward. Am frühen Morgen schon folgte das Auge dem unvergleichlichen Segler, wenn er aus einer Mauerspalte hervorkam und in niedertauchendem Bogen gleichsam erst Luft fing, um seine Bewegungen im weiten Luftmeer, seinem wahren Lebenselement, zu beginnen. Hoch schwang sich bei hellem Himmel der mit außerordentlich langen, spitzen Schwingen ausgerüstete Vogel empor und schwebte dann wie ein Adler mit ausgebreiteten Flügeln kreisend dahin.

Wie der Mauersegler in der Luft sich nährt, so vermeidet er es selbst beim Ansammeln der Baustoffe für sein Nest, sich auf den Boden niederzulassen; er greift das Nothwendige soviel wie möglich fliegend auf; wird er jedoch gezwungen, die Erde zu berühren, so zeigt er sich da gänzlich unfähig zum Sitzen, geschweige denn zum Gehen. Auf seine Schwingen gestützt, liegt er da und schnellt sich beim Aufschwung kräftig mit denselben empor. So macht er es auch, wenn er an Pfützen und seichten Ufern trinkt. Sein Gesicht ist scharf und die Größe seines Auges auffallend, während er im übrigen nicht als feinsinniges Thier bezeichnet werden kann. Sein Charakter drückt sich in stürmischem, unfriedlichem Wesen und in einer großen Stumpfheit gegenüber allem aus, was nicht in den einförmigen Bereich seines Wandels gehört. Oft geräth er mit seinem Nächsten in blutige Raufereien, die in der Luft ausgekämpft werden und manchmal tödliche Folgen haben, oder er stört in der herrschsüchtigsten Weise den häuslichen Frieden anderer Vogelarten, so z. B. der Sperlinge, wenn ihm ihre Höhle als Nistplatz zusagt. Unwillig schleudert er Eier und junge Sperlinge aus dem Neste, um sich selbst darin wohnlich einzurichten. Und seine Wohnung ist eben nichts anderes als eine Lage von buntem Allerlei in der Höhle. Der Geruch, der von ihr ausströmt, erregt Ekel, und sie dient vielem Ungeziefer zur Herberge. Anfang August aber, früher als die Schwalben, zieht auch er in die Fremde, dem warmen Süden zu.


Arbeiterheime.

Von Dr. Kuno Frankenstein.

Das rasche Wachsthum der städtischen Bevölkerung, das Zusammenströmen großer Arbeitermassen nach den Stätten der Industrie, die allgemeine Vertheuerung der Lebensbedürfnisse, mit welcher die Steigerung des Erwerbs nicht überall gleichen Schritt halten konnte, haben in ihrem Zusammenwirken soziale Mißstände geschaffen, deren Bekämpfung eine ebenso ernste wie dringende Pflicht der Gegenwart bildet. Und in der That ist diese Aufgabe an vielen Punkten unseres deutschen Vaterlandes mit redlichem Eifer und Opfermuth in Angriff genommen worden; einzelne Arbeitgeber, Vereine und Genossenschaften aller Art haben durch Beschaffung billiger gesunder Wohnungen, durch Speisehäuser, Volkskaffees, Kantinen, in denen für verhältnißmäßig niedrigen Preis Gelegenheit zu kräftiger Ernährung geboten wird, wesentlich an der Besserung dieser Verhältnisse gearbeitet. Naturgemäß richtete sich ihre Thätigkeit, soweit sie die Wohnung betraf, in erster Linie auf die verheiratheten Arbeiter, auf die Familien. Ueber dieser gewiß in erster Linie stehenden Sorge blieb aber ein Feld unbebaut, das auf die Dauer nicht vernachlässigt werden darf, wenn die Hilfe nicht eine halbe bleiben soll: wir meinen die Fürsorge für die unverheiratheten Arbeiter. Gerade ihnen drohen nicht bloß wirthschaftliche, sondern noch mehr sittliche Gefahren, welche die ernsteste Aufmerksamkeit aller Volksfreunde fordern.

Wie die Dinge heute liegen, ist die der Schule entwachsene männliche Arbeiterjugend meist darauf angewiesen, das Elternhaus zu verlassen, sich vorzugsweise in größeren Städten ihr Brot zu verdienen und bei fremden Leuten ein Unterkommen zu suchen. Erbarmungslos in den Kampf ums Dasein hinausgestoßen, noch nicht genug oder gar nicht zum Charakter erzogen, treten die jungen Leute in eine Welt ein, die ihnen fremd ist, lernen Verhältnisse kennen, die sie nicht zu begreifen vermögen, und werden durch Dinge geblendet, die sie nicht zu beurtheilen verstehen. Mit Neid und Mißgunst betrachten sie den besser Gestellten; jeder Versuchung preisgegeben, gelüstet es sie nach Lebensgenüssen, die ihnen versagt sind, und so treiben sie schließlich, unzufrieden mit ihrem Schicksal, ihrem sittlichen Verderben entgegen. Und das um so leichter, je mehr die halbreifen Burschen in Umgang mit solchen Personen gerathen, die schon im Leben Schiffbruch gelitten haben.

Es ist eine traurige, oft erörterte Thatsache, daß gerade durch die Wohnverhältnisse unserer Großstädte ein derartiger Umgang dem unverheiratheten Arbeiter nahegerückt, so oft geradezu aufgedrungen wird. Es ist eben soweit gekommen, daß die ledigen Arbeiter einschließlich der neuerdings mehr und mehr außer dem Hause ihres Arbeitgebers wohnenden Handwerkslehrlinge und Gewerbsgehilfen nicht in der Lage sind, ein den gesundheitlichen Anforderungen wenigstens einigermaßen entsprechendes Zimmer zur ausschließlichen Benutzung zu miethen, sie müssen sich vielmehr damit begnügen, eine Schlafstelle bei Leuten zu beziehen, die ihre eigenen knapp bemessenen Wohnräume noch mit einer unverhältnißmäßig großen Anzahl fremder Schlafgänger theilen. Dieses Schlafstellenwesen, das insbesondere in Berlin, Breslau, Leipzig etc. recht dunkle Schatten auf die Wohnzustände wirft, führt aber zu einer Reihe von überaus bedenklichen Unzuträglichkeiten, auf die ja auch die „Gartenlaube“ erst kürzlich in anderem Zusammenhang hingewiesen hat

(vergleiche den Artikel über „Polizei- und Verbrecherthum in Berlin

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 511. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_511.jpg&oldid=- (Version vom 11.4.2024)