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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)


Nicht so viel Handgepäck! Kaum irgendwo im modernen Leben tritt die Rücksichtslosigkeit gegen Recht und Behagen des Nebenmenschen greller zu Tage als in den durchgehenden Wagen eines sehr besetzten Eilzuges zur Hauptreisezeit auf den süddeutschen Bahnen, die kein Freigepäck zugestehen. Man traut als Unbetheiligter seinen Augen nicht, welche Masse von Päcken, Ballen und Koffern einer einzigen Person in den Eisenbahnwagen nachfolgen, als Betheiligter aber hat man öfters einen sehr ernsthaften Kampf zu bestehen, um sein Recht auf das Gitter oberhalb des eigenen Platzes zu wahren. Einen solchen Kampf sah Einsender dieses kürzlich mit an, wo sich von dem allen verfügbaren Platz einnehmenden Handgepäck eines nur mit drei Personen besetzten Nichtrauchcoupés sieben große Stücke als Eigenthum zweier Damen auswiesen, so daß ein Neuankommender mit seinem bescheidenen Köfferchen rathlos dastand und dasselbe endlich zwischen den Füßen seiner Mitreisenden unterbringen mußte, nicht ohne unangenehmen Wortwechsel mit den Besitzerinnen so vieler Nothwendigkeiten. An wem liegt die Schuld? Die Schaffner drücken begreiflicherweise gern ein Auge zu, um nicht durch einfaches Bestehen auf der Vorschrift eine Abreise im letzten Augenblick unmöglich zu machen, das Publikum hat die bekannte menschliche Neigung, jede Vergünstigung bis zum Mißbrauch in Anspruch zu nehmen. Hier kann nur eines helfen: Herabsetzung des Personengepäcktarifs. Mit Anhängen eines einzigen Wagens würde der gesammte ärgerliche Ballast eines Schnellzuges untergebracht sein, eine mäßige Taxe dafür würden die Besitzer zahlen, um selbst der Unbequemlichkeit enthoben zu sein. Dann aber könnte die strengste Durchführung der Bestimmung, daß jeder nur den über seinem Platze befindlichen Raum belegen darf, verlangt und vom Publikum selbst mithelfend vollzogen werden. Man sollte denken, es bedürfe nur des guten Willens der Bahnverwaltungen, um diese so sehr wünschenswerthen Einrichtungen zu treffen! – n.     

Das Ballwerfen. (Zu nebenstehendem Bilde.) Die Bewegung des Wurfes ist, als körperliche Uebung betrachtet, von großem Werthe; denn nicht bloß der werfende Arm hat seine Muskelarbeit zu vollbringen – auch der gesammte Oberkörper und die Beine werden in Mitleidenschaft gezogen, nehmen also auch theil an dem gesundheitlichen Nutzen dieser Leistung. Wird vollends das Werfen nach einem Ziele, das Treffen, geübt, so tritt als weiterer Mitarbeiter und ebendamit als weiterer Nutznießer das Auge hinzu.

Zielscheibe für Ballwerfen.

Das letztere ist nicht zu unterschätzen. Es hat sich gezeigt, daß anhaltende planmäßige Wurfübungen nach Zielen einen nicht unwesentlichen Einfluß auf die Schärfe des Auges ausüben. An der kgl. Kreisrealschule zu Kaiserslautern in der Pfalz betreibt der Turnlehrer G. Pöppl das Ballwerfen mit vielem Eifer und Verständniß. Und als man in den Kaiserslauterner Schulanstalten die Augen von ärztlicher Seite untersuchte, da fand man in der Realschule 7,8 Prozent, in der Lehrerbildungsanstalt 26,8 Prozent und im Gymnasium 31,7 Prozent Kurzsichtige! Selbstverständlich ist an diesen Zahlenverhältnissen das Ballwerfen nicht allein schuld; aber daß es mit dazu beitrug, die Kurzsichtigkeit in der Realschule auf einer so niederen Stufe zu halten, das dürfte kaum zu bezweifeln sein. Thatsächlich giebt es schon aus dem Jahre 1843 einen bayerischen Ministerialerlaß, welcher „das Werfen nach Zielen vorschreibt, um der überhandnehmenden Kurzsichtigkeit der jungen Leute entgegenzutreten.“

Zum Werfen nach einem Ziele bietet sich in der freien Natur draußen zwanglos vielfache Gelegenheit – nicht so leicht aber in der Enge der menschlichen Wohnstätten, auf den Turnplätzen, in der nächsten Umgebung der Schulen. Der schon genannte Turnlehrer Pöppl hat darum die obenstehend abgebildete Scheibe ersonnen, welche nicht bloß als zweckmäßiges Ziel dienen kann, sondern auch das richtige Treffen selbstthätig anzeigt. Ihr Bau ist von äußerster Einfachheit, giebt aber für große Dauerhaftigkeit alle Gewähr. Ein starker eiserner Träger wird mit zwei Schrauben an einem hölzernen Pfosten, einer Wand oder dergleichen befestigt. Auf ihm läuft in zwei Lagern ein kräftiger eiserner Bolzen, der an seinem vorderen Ende die 20 cm im Durchmesser haltende, schwarzlackierte, nur in der Mitte mit einem 5 cm breiten weißen Punkte versehene Scheibe trägt und durch eine Spiralfeder nach vorwärts gedrückt wird. Das hintere Ende des Bolzens stößt, wenn ein Wurf kräftig die Mitte der Scheibe getroffen hat, einen Zeiger – eine schwarze oder weiße 1 – in die Höhe, welcher stehen bleibt, bis ihn eine einfache Vorrichtung wieder fallen läßt.

Diese Ballwurfscheibe wird den Wetteifer der jungen Leute in hübscher Weise anregen und damit dem erziehlichen Werthe der Uebung den Reiz des Unterhaltenden geben. Auf Turn- und Spielplätzen wird sie ganz am Platze sein, vielleicht verfügt da und dort ein glücklicher Vater auch über einen günstigen Hofraum, in welchem er ein so nützliches Turn- und Spielgeräth für seine heranwachsende Jugend anbringen kann.

Scheffels „Episteln“. Scheffels Humor und Scheffels Wanderlust – wem sind sie nicht aus seinen Gestalten und Liedern herzerfrischend entgegengetreten wie klarer leuchtender Maientag, wer hätte dabei nicht den Wunsch empfunden, daß solcher Gaben seines Geistes noch mehr zu genießen sein möchten! Ein jüngst erschienenes Buch (Stuttgart, Bonz und Comp.) kommt diesem Wunsche entgegen und bringt eine Reihe köstlicher „Episteln“, die den Aufenthalt des Dichters in Säkkingen, Reiseerlebnisse in der Schweiz, in Italien, in Meran mit goldener Laune schildern. Viel Worte über die Eigenart dieser Briefe thun’s nicht, man muß sie selbst lesen in ihrem biederen Chronistenton, hinter dem alle neckischen Geister ihr loses Spiel treiben, man muß namentlich in die Bilder sich versenken, die der „Säkkinger Rechtspraktikant“ von seiner Umgebung, seinem Thun und Treiben entwirft. Recht verwunderlich muß es manchmal in dem alten Städtchen am Rheine ausgeschaut haben für die nicht eben juristisch gestrengen Augen des poetischen Rechtsbeflissenen, wie verwunderlich – davon mag folgende Probe aus der ersten Säkkinger Epistel vom 6. Januar 1850 einen Begriff geben:

„Seitab vom Marktplatz von Säkkingen, von der Kirche weg nach dem Rheine hin, steht eine Reihe hochgiebliger alter Gebäude mit spitzbogigen Thüren, vergitterten Fenstern etc. In diesen haust der Staat, das heißt: das Amtsrevisorat, die Bezirksforstei und das Bezirksamt. Das stattlichste der Gebäude, ein dreistöckiges Haus, ist das Amthaus. Durch eine alte Bogenthüre tritt man ein in die Vorhalle, die, mit Gewölbestellungen versehen und auf zwei Säulenpfosten ruhend, den Weg nach den verschiedenen Amtsstuben eröffnet. Wir gehen aber noch nicht so schnell weiter, sondern verweilen eine Zeitlang bei den sinnigen Inschriften der Halle. Bei den Türken ist’s eine schöne Sitte, die Wände der Moscheen und öffentlichen Gebäude mit Sprüchen aus dem Koran zu versehen. Der deutsche bureaukratische Staat kennt nur einfach geweißelte Wände. Aber der biedere Sinn des Volkes hat hier ergänzend gewirkt und mit zarten Sprüchen aus dem Hauensteiner Koran die kahlen Mauerwände geschmückt. Ich setze einige bei, wie ich sie aus der bunten Sammlung noch im Gedächtniß habe. Also z. B.: ‚Wenn doch nur ein heiliges Kreuzdonnerwetter das ganze Amthaus verschlüge!‘ – oder ‚Allmächtiger Vater, schenk’ doch den Amtsherren einen besseren Verstand, daß sie bürgerliche Rechtspflege besser führen!‘ – oder ‚Lange warten müssen macht zornig!‘ – oder ‚Heute ist Johannes N. von Herrischried hier gewesen und hat dem Amtmann tüchtig die Wahrheit gesagt!‘ – oder ‚Eine Republik wär’ halt doch das allerbeste!‘ – oder ‚Wenn sich alles von selbst erledigte, dann wäre gut Oberamtmann sein!‘ u. a. m.

Nachdem wir den Duft aus diesen Blüthen des Volksgeistes eingesogen, treten wir links zur zweiten Thür ein. (Die Damen werden gut thun, beim Eintritt ihren Flacon vorzuhalten.) Hier ist meine Höhle. Aber ich hause nicht allein in ihr. Das Bezirksamt Säkkingen hat sich jene Hauptregel der Historienmalerei, nämlich die möglichst ‚ökonomische Vertheilung der Figuren im Raume‘, gründlich zu eigen gemacht. In dieser Stube gehört nur ein Schreibtisch, ein Aktenfach und ein geringer Flächenraum mir. In einem anderen Drittel der Stube haust der eigentliche Herr und Gebieter derselben, der Amtsdiener, und im Rest derselben halten sich in Winterszeit die vorgeladenen Parteien auf, die Gerichtsboten gehen ab und zu, die Gendarmen pflegen der Privatunterhaltung mit Seiner Hochwürden dem Amtsdiener – kurz es geht hier und da äußerst gemüthlich zu. Ich bin eigentlich mehr geduldet, als daß ich etwas zu befehlen habe; im Volksbewußtsein ist der Amtsdiener der Hauptinsasse. Wenn einer hereinkommt, so heißt es zuerst mit einem Bückling: ‚’fel mich Ihnen, Herr Hauser, wie geht’s?‘ etc. Dann noch so beiläufig zu mir und dem Aktuar: ‚Guten Morgen, ihr Herren!‘ Das ist übrigens von jeher die soziale Position des Säkkinger Rechtspraktikanten gewesen – warum sollte ich’s anders verlangen … Ich bin jetzt so vollständig in meine Umgebung eingebürgert, daß ich meine, es könne gar nicht anders sein. Dazu hat nicht wenig der Grundsatz des Aktuars beigetragen, den ich mir alsbald angeeignet habe. Der pflegt nämlich zu seiner Beruhigung bei jeder Tageszeit und bei jeder Gelegenheit, mag er nun ein und dieselbe Verfügung dreiunddreißig Mal abzuschreiben haben, oder mag ihm ein biederer Gastfreund eine Flasche Rheinwein anbieten, den Spruch anzuführen: ‚Sei mir heute nichts zuwider!‘ und mit dieser Parole habe ich denn auch beschlossen, mich frisch und unbeirrt durch alles Liebsame und Unliebsame durchzuschlagen.“

Naturalphotographie. In letzter Zeit hat ein Württemberger, Eugen Hackh, nach mehrjähriger Arbeit eine Erfindung auf dem Gebiet der Photographie gemacht, welche geeignet ist, die Aufmerksamkeit weiterer Kreise auf sich zu ziehen. Sie ermöglicht die Aufnahme von Augenblicksbildnissen, und zwar unmittelbar in Lebensgröße, so daß man sich also jetzt nicht mehr mit den umständlichen und nicht immer gut ausfallenden Vergrößerungen behelfen muß. Hackh bedient sich für seine Aufnahmen einerseits eines außerordentlich starken künstlichen Lichtes, andererseits eines Raumes, in welchem das verwendete Licht ohne Verlust und zugleich in künstlerischer Weise wirken kann. Schon vorher wurde vielfach, namentlich von Liebhaberphotographen, das künstliche Magnesiumlicht, sogenanntes Blitzlicht, für Augenblicksaufnahmen von Porträts angewandt. Aber wie die Fachmänner, so kamen auch die Liebhaber infolge vielfachen Mißglückens ihrer Versuche mehr und mehr wieder davon ab. Hackh ist es nun gelungen, eine Lichtpatrone so zusammenzusetzen, daß bei ganz geringem Rauch und Knall ein ungewöhnlich helles Licht gewonnen wird, und eine Art Atelier mit verstellbaren, aber immer zusammenschließenden Wänden zu bauen, in welchem das entwickelte Licht nicht nur in seiner Gesammtheit ausgenützt, sondern zugleich auch durch die von seitwärts und vom Rücken her wirkenden Reflexe ein weiches und plastisches Bild erzeugt wird. Welche Bedeutung die Hackhsche Erfindung besitzt, mag man einem Schreiben Franz Lenbachs entnehmen, in welchem dieser dem Verfahren und den mit seiner Hilfe hergestellten Bildern großen Werth selbst für den Künstler zumißt; dem Porträtmaler werde es für die psychologische Seite seiner Arbeit große Dienste leisten. Für weite Kreise dürfte die Erfindung deshalb von Wichtigkeit sein, weil durch sie auch dem, welcher weder Zeit noch Mittel besitzt, sich für die Seinen malen zu lassen, die Aussicht geboten wird, seiner Familie ein lebensgroßes, künstlerisches und

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