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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

2000 Gulden eine Steindruckerei in Offenbach einzurichten und seine Arbeiter in der Lithographie zu unterweisen. Senefelder ging mit Freude darauf ein, ordnete seine Geschäfte in München und reiste mit seinem Genossen Gleißner nach Offenbach. Und wirklich war auch André von dem Erfolg der ersten Druckversuche so befriedigt, daß er Senefelder den Vorschlag machte, nach Offenbach überzusiedeln, sein Theilhaber zu werden und mit ihm gemeinsam die Erfindung auszubeuten. André wollte die Geschäftsleitung übernehmen, zum Schutze der Erfindung Privilegien in Preußen, Oesterreich, England und Frankreich auswirken, und auch Senefelders treuer Mitarbeiter Gleißner sollte durch ein annehmbares Einkommen versorgt werden. Senefelder und Gleißner bedachten sich nicht lange, das günstige Anerbieten anzunehmen, und so wurde der Vertrag geschlossen. Mit Rücksicht auf das bayerische Privilegium mußte freilich die Münchener Steindruckerei weiter geführt werden, und trotz schlimmer Erfahrungen, die Senefelder bereits mit seinen Brüdern gemacht hatte, übertrug er diesen die Fortführung des dortigen Geschäftes ohne jede Kontrolle.

Unter Andrés umsichtiger Leitung nahm nun das neue Unternehmen einen kräftigen Anlauf, der zu den besten Hoffnungen berechtigte. Während aber Senefelder in London weilte, um dort für das englische Privilegium zu sorgen, begannen seine Brüder in München ihr altes, treuloses Spiel. Sie überredeten ihre Mutter, nach Wien zu reisen und sich dort ein Privilegium für die Familie zu verschaffen, damit diese und nicht der vollständig fremde André den Nutzen aus Alois’ Erfindung zöge. Die Mutter gab nach und machte sich auf den Weg. Das erfuhr Frau Gleißner, und entschlossen reiste sie, von André mit einer Geldanweisung ausgerüstet, der Frau Senefelder nach, um das Privilegium für Senefelder und André zu retten. In Wien hatten sich indessen Dinge begeben, welche das Mißtrauen der Frau Gleißner gegen André wachriefen und als Senefelder mit dem englischen Privilegium aus London zurückkam, fand er einen Brief der Frau Gleißner vor sowie ihres Hauswirths, eines angesehenen Wiener Kaufmanns, in dem er vor André gewarnt und aufgefordert wurde, sofort selbst zur Erwerbung des österreichischen Privilegiums nach Wien zu kommen.

Senefelder stand diesen Vorgängen rathlos gegenüber. Endlich entschloß er sich, die Reise zu unternehmen. Dem widersetzte sich nun aber André, welcher Senefelder behufs Vergrößerung des Geschäftes sehr nöthig in Offenbach brauchte und außerdem wenig Hoffnung hatte, bei dem Stande der Dinge in Wien überhaupt noch etwas zu erreichen. Die Auseinandersetzung beider nahm einen immer erregteren Ton an, André warf Senefelder seine hilflose Lage vor, dieser, dadurch aufgebracht, zerriß den Vertrag und mit den Worten: „Ich mag durch Sie nicht glücklich werden!“ erklärte er die Verbindung für gelöst. Dieser Schritt sollte für ihn verhängnißvoll werden. André hatte es mit Senefelder wirklich ehrlich und gut gemeint, und ohne das Dazwischentreten seiner Brüder wäre diesem die verdiente Belohnung für seine große Erfindung wohl kaum entgangen. Nun aber, ohne den Beistand eines umsichtigen Kaufmanns, glitt ihm jeder Vortheil, den er bereits in der Hand zu halten glaubte, wieder aus den Fingern.

Zunächst erwarteten ihn bittere Enttäuschungen in Wien, wohin er sich, gefolgt von seinen eigennützigen Brüdern, sofort begeben hatte. Frau Gleißner fand er krank und in einer hilflosen Lage. Deren Hauswirth sorgte allerdings bereitwilligst für die Lebensbedürfnisse und brachte in einem Herrn v. Hartl einen Geldmann bei, welcher gewillt war, zur Ausbeutung der Erfindung 6000 Gulden vorzuschießen; Hartl hatte aber weniger den eigentlichen Steindruck im Auge als vielmehr die Ausnutzung des Kattundruckes, eine Erfindung, die Senefelder gleichfalls gemacht hatte. Mit der Erlangung des Privilegiums ging es langsam, und zu dem allen kam, daß sich Senefelders Brüder schon nach kurzer Zeit wieder treulos zeigten. Als sie sahen, daß in Wien keine Reichthümer zu erwerben waren, verlangten sie von Alois, er solle ihnen sofort das nöthige Geld zur Rückreise schaffen, oder sie würden das Geheimniß an Wiener Kunsthändler verkaufen. Um diese Gefahr abzuwenden, gab Hartl das Verlangte, und die Brüder kehrten nach München zurück.

Senefelder richtete nun mit Hartls Hilfe eine Steindruckerei ein, erwarb sich auch durch die hergestellten Proben dessen Zufriedenheit und volles Vertrauen, und Hartl sicherte durch Vertrag dem Erfinder die Hälfte des Gewinnes aus dem gemeinsam zu betreibenden Unternehmen zu, während dieser wieder beabsichtigte, seine Hälfte mit Gleißner zu theilen. Gleißner befand sich noch in Offenbach, und um ihm das Reisegeld senden zu können, machte Senefelder eine Anleihe von 400 Gulden bei seiner Hauswirthin. Diese hilfsbereite Frau besaß mehr kaufmännisches Talent als der geniale Erfinder und verstand es, durch wiederholte Prolongationen die 400 Gulden auf 2000 anwachsen zu lassen, die sie später durch einen Advokaten eintrieb.

Gleißner kam, und um etwas drucken zu können, komponierte er einige Lieder. Denn die Wiener Kunsthändler stellten sich der neuen Erfindung feindlich gegenüber, sie verweigerten jeden Druckauftrag, infolgedessen sich die Gesellschafter ausschließlich auf die Gleißnerschen Schöpfungen angewiesen sahen. Dieser „komponierte einstweilen immer frisch drauf los“, wie Senefelder sagt; der Vorrath an Kompositionen von ihm schwoll immer mehr an, mit ihm wuchsen die Ausgaben, wogegen die Einnahmen ausblieben. Hartl, dessen Einlagen allmählich von 6000 auf 20 000 Gulden gestiegen waren, verlor das Vertrauen und zog sich von dem Unternehmen zurück, indem er es in die Hände seines Sekretärs Steiner und eines Herrn Grasnitzky legte.

Unter der neuen Leitung änderten sich die Verhältnisse. Das Privilegium war ertheilt worden und das Geschäft nahm einen allmählichen Aufschwung. Senefelder allerdings sollte die Früchte nicht mitgenießen, die aus seiner Saat hervorgingen. Als er nach einem Jahre mit Steiner über seinen Gewinnantheil sprach, erklärte ihm dieser, daß erst die 20 000 Gulden an Hartl abgezahlt werden müßten, bevor er einen Gewinnantheil erhalten könnte. Indessen erklärte er sich bereit, Senefelder, der sich in der drückendsten Noth befand, seine gesammten Anrechte sowie das Privilegium für Oesterreich um den Preis von 600 Gulden abzukaufen. Jetzt gingen Senefelder die Augen auf, er sah, wie man gegen ihn zu handeln gedachte — allein es blieb ihm in seiner Nothlage kein Ausweg, er mußte wohl oder übel einwilligen. Bei der Auszahlung des Geldes erfuhr er, daß Gleißner an Steiner noch 550 Gulden schuldete, die von den 600 Gulden abgezogen wurden, und so stand er, seiner Existenz und seines österreichische Privilegiums verlustig, mit den bar erhaltenen 50 Gulden auf der Straße.

Er kehrte im Jahre 1806 nach München zurück, ärmer als er es verlassen hatte. Die unermüdliche Frau Gleißner war ihm dorthin bereits vorausgeeilt und hatte in dem Freiherrn v. Aretin einen Gönner gefunden, der bereit war, den Erfinder zu unterstützen und das Geld zur Gründung einer neuen Anstalt zu bewilligen. Außer dieser erfreulichen Nachricht erwartete ihn indessen bei seiner Ankunft auch eine recht betrübende Botschaft. Seine gewinnsüchtigen Brüder, mit den reichlichen Einnahmen, die sie aus ihrer Münchener Steindruckerei zogen, nicht zufrieden, hatten das Geheimniß der Erfindung eigenmächtig an die Sonntagsschule des Professors Mitterer in München verkauft. Von diesem wurde die Errichtung eines königlichen lithographischen Institutes betrieben, in welchem die Brüder Anstellungen erhielten; später ward noch ein lithographisches Institut im Ministerium errichtet und der eine Bruder Theobald mit hohem Gehalt, Nebeneinkünften und weitgehenden Garantien als Inspektor angestellt.

So wurde das Privilegium von der Regierung, von der es ertheilt worden war, selbst nicht geachtet; kein Wunder, daß sich auch Privatpersonen nicht mehr durch dasselbe gebunden fühlten. Die Technik der Steindruckerei war überhaupt schon allgemein bekannt, frühere Lehrlinge Senefelders, seiner Brüder und Andrés hatten das Geheimniß in andere Städte und Länder getragen, in Stuttgart war unter dem Titel „Das Geheimniß des Steindrucks“ ein Lehrbuch erschienen, und in München bestanden schon 1809 nicht weniger als sieben Steindruckereien. Als Senefelder wegen Verletzung seines Privilegiums Beschwerde führte, antwortete man, das Privilegium sei nicht mehr aufrecht zu erhalten, da die Erfindung längst Gemeingut sei.

Freiherr v. Aretin hatte die hochherzige Absicht, dem Erfinder durch die Gründung einer Kunstanstalt die Zukunft zu sichern und alles beizutragen, seine Verhältnisse zu bessern. Der beste Wille war vorhanden; allein so wenig wie Senefelder war Aretin kaufmännisch veranlagt. Ihre lithographische Anstalt leistete Vorzügliches, sie hatten tüchtige Künstler gewonnen und Werke wie das von Albrecht Dürer für Kaiser Maximilian gezeichnete Gebetbuch in vorzüglicher Nachbildung herausgegeben; trotzdem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 531. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_531.jpg&oldid=- (Version vom 11.4.2024)