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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Der Klosterjäger.

Ein Hochlandsroman aus dem 14. Jahrhundert von Ludwig Ganghofer.

 (9. Fortsetzung.)


Herr Schluttemann wollte zu einer langen Rede ausholen; aber da kam Frater Severin in athemloser Eile über die Schwelle gestolpert; „Herr! Herr! Pater Desertus ist heimgekehrt!“

„Wo ist er?“ rief der Propst in freudiger Bewegung.

„Da kommt er schon!“

Von Staub bedeckt, wie er vom Pferd gesprungen war, erschien Pater Desertus unter der Thüre. Sein Haupthaar, auch der lange schwarze Bart, war leicht ergraut, aber seine Augen blickten hell und frei, und frische Lebensfarbe lag auf seinem sonnverbrannten Antlitz.

„Dietwald! Dietwald!“ Und Herr Heinrich umschloß mit beiden Armen den Heimgekehrten.

Frater Severin und der Vogt verließen das Gemach.

„Rede, Dietwald, rede! Wie ist es Dir ergangen? Aber ich frage noch! Und die Antwort steht in Deinen Augen, auf jedem Zuge Deines Gesichtes!“

„Wie hätt’ es mir übel ergehen können – süßer Trost und hoffende Freude zogen ja mit mir! Sagt, Herr, sagt, wie geht es dem holden Kinde?“

„Ich meine, gut. Die Kleine ist wohl aufgehoben bei den Domfrauen. Aber mir scheint, das neue Kleid will ihr noch immer nicht sitzen.“ Herr Heinrich lächelte. „Die Berichte der Oberin laufen von Jammer über wie heiße Milch. Bis heute hat das Mädchen im Kloster nicht mehr gewonnen ... als alle Herzen!“

Die Augen des Paters leuchteten. Dann faßte er die Hände des Propstes. „Ihr habt mich knapp gehalten mit Botschaft.“

„Ich schrieb Dir, was ich schreiben konnte. Der Sudmann weiß weder Ort noch Namen. Aber Du selbst magst alles von ihm hören.“

„Er lebt noch?“ fragte Pater Desertus mit ungläubigem Staunen.

„Zwei Monate liegt er nun in schwerem Siechthum. Doch als ich ihn das letzte Mal besuchte, da schien es mir, als beginne Eusebius zu hoffen. Wir wollen morgen zu ihm ...“

„Nein, Herr, heute noch, ich bitte!“

„Kann ich Dir die erste Bitte versagen? Aber nun rede, erzähle! Wie hat Dich der Kaiser aufgenommen?“

„Wie einen Sohn!“

„Und konntest Du ihm diese Liebe vergelten? Wie ist Deine Sendung ausgefallen?“

Das Antlitz des Paters verdüsterte sich. „Wir wurden abgewiesen.“

Herr Heinrich nickte vor sich hin, als hätte er diese Antwort erwartet. „Wer zog mit Dir?“

„Heinrich von Virneburg, der Mainzer. Einundzwanzig Tage währte unser Ritt. Wie staunte ich, als wir Avignon erreichten!“

„Du fandest einen weltlichen Hof, schwelgend in allen Freuden des Lebens?“

„Und inmitten dieses Taumels sitzt der Papst, ein williger Höfling Frankreichs, das den Streit zwischen Ludwig und der Kirche schürt und sich dabei durch Länderraub auf Kosten Deutschlands zu bereichern sucht. Wenn der Papst auch den Frieden mit Deutschland wollte, er darf ihn nicht wollen . . . Frankreich erlaubt es nicht!“ Mit zornigem Lachen hatte Pater Desertus diese letzten Worte begleitet.

„Laß nur gut sein, Dietwald! Für alles kommt eine zahlende Zeit!“ Herr Heinrich erhob sich. „Komm’, Du wirst müde sein; erhole Dich einige Stunden! Dann magst Du mir alles erzählen, während wir zum See reiten.“

Pater Desertus aber wollte nichts wissen von Ruhe. Er ging nur, um das Kleid zu wechseln . . . und schon ein halbes Stündlein später ritten sie zum Klosterhof hinaus. Vor Mittag noch erreichten sie Bartholomä.

„Nun? Wie geht es Deinem Kranken?“ fragte Herr Heinrich den Pater Eusebius, der sie begrüßte.

Eusebius lächelte. „Sagt, Herr, habt Ihr schon einmal einen Stein in die Höhe fallen sehen und ein Wässerlein bergauf laufen? Nein? Dann passet nur auf . . . Ihr seht es gewiß noch! Denn der Mann wird gesund. Freilich den lahmen Arm muß er sich gefallen lassen.“

Herr Heinrich und Pater Desertus traten in die Klause. Auf reinlichem Lager ruhte Wolfrat, abgemagert bis auf Haut und Knochen. Brust und Arme lagen noch im Verband; die Rißwunden im Gesicht aber waren schon geheilt und hatten kaum merkliche Narben zurückgelassen.

Wolfrats Augen leuchteten auf, als er den Propst in der Thür erscheinen sah. „Grüß Gott, Herr, grüß Gott! Gelt, ich darf schon gleich fragen . . . wie geht’s denn meiner Seph’?“

„Ein paar Wochen noch, Wolfrat, und Dein Weib ist wieder kerngesund!“

„Vergelt’s Gott, Herr. und . . . und mein Bub?“

„Gieb acht, den wirst Du gar nicht wiedererkennen! Der ist kugelrund geworden! Freilich ....“ Herr Heinrich lachte, „er war ja in Klosterkost.“

Pater Desertus trat in mühsam verhehlter Erregung an das Lager des Sudmanns.

„Jetzt kenn’ ich Euch erst, Herr Pater!“ sagte Wolfrat mit schwankender Stimme. „Euch muß ich wohl auch ein festes ‚Vergelt’s Gott!‘ sagen. Hättet Ihr selbigsmal nur ein kleine Weil später zugestoßen, dann wär’s aus gewesen mit mir!“

„Sieh, Wolfrat,“ flel Herr Heinrich ein, „da kannst Du ja Deinem Retter gleich ein Liebes erweisen! Pater Desertus möchte hören, wie es kam, daß Gittli Deine Schwester wurde. Erzähl’ es ihm!“

„Wohl wohl! Setzet Euch nur her!“

Pater Desertus ließ sich neben dem Lager auf einen Sessel nieder, und Wolfrat begann: „Wisset Herr, ich bin im zweiundzwanziger Jahr bei dem Salzburger Erzbischof als Reisiger gestanden und hab’ den Ampfinger Tag mitgemacht ... auf der feindlichen Seit’. Gewurmt hat es mich freilich, daß ich hauen und stechen sollte gegen meine eigenen Landsleut’. Aber was hab’ ich machen können ... ein Eid ist halt allweil ein Eid! Ich hab’ meine Pflicht gethan als richtiger Soldat ... aber gar ungern hab’ich’s nicht gesehen, wie der Kaiser obenauf gekommen ist und die Unsrigen auf den Abend das Laufen angefangen haben. Da hat keiner mehr stehen können, einen jeden hat’s mitgerissen ... und wer nicht laufen hat wollen, hat laufen müssen. So vier, fünf Tag’ ist es allweil hergegangen um unser Leben, keiner hat die Gegend gekannt, und die bayrischen Reiter sind hinter uns her gewesen wie die ledigen Teufel. Ich hab’ mich mit ein Stücker vierzig von den Unsrigen zusammengehalten ... und da war’s in einer stürmischen Nacht ... da sind wir in einen Markt gekommen ...“

„Wie hieß der Markt?“

„Ich weiß nicht. Aber ich besinn’ mich noch ... gleich bei der Tafern’ ist eine Kirch’ gestanden, die hat hint’und vorn’ einen Thurm gehabt und ein ebenes Dach ....“

„Pfarrkirchen war es!“ sagte Pater Desertus in lateinischer Sprache zu Herrn Heinrich. „Zwei Wegstunden von meiner Burg.“

„Die Tafern’ war gesteckt voll mit flüchtigem Volk. An die dreihundert sind da beisamm’ gewesen; und es war ein fürchtiges Gejammer, was man jetzt anfangen soll und wo man die Zehrung hernimmt? Und da war einer unter uns, ein Salzburger Rottführer, Klees hat er geheißen ....“

„Klees?“ stammelte Pater Desertus; und lateinisch sagte er zu Herrn Heinrich: „Der Mann hat einen Monat in meiner Schar gedient ... ich hab’ ihn fortjagen müssen, denn er bestahl mich!“

„Der Klees ist auf den Tisch gesprungen und hat geschrien, er wüßt’ ein Mittel, daß man sich die Säck’vollstopfen könnt’.

Nicht weit vom Markt wär’ ein reicher Herrensitz . . . der thät’ einem Ritter gehören, der in der Ampfinger Schlacht mit dem Flammberg unter uns herumgehauen hätt’ wie der Mähder mit der Sense im Traidfeld. Die Handvoll Leut’ auf der Burg könnt’ man leicht überrumpeln. Wie er das gesagt hat, da hat’s einen Höllenlärm gegeben, und die meisten sind auch gleich dabei gewesen, daß man den Handstreich wagen sollt’. Ein paar haben freilich dawider geredt ... ich selber auch. Aber da hat’s gleich geheißen, man wär’ in Feindsland, und Krieg wär’ Krieg. Wer

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 536. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_536.jpg&oldid=- (Version vom 8.4.2024)