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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

„Wohl wohl, jetzt seh’ ich’s auch.“

„Du, das muß aber ein großes Schiffl sein ... es schaut sich schier an wie ein Scheit.“

„Wohl wohl, ich mein’ auch, es müßten viel Leut’ drin sein. Schau’ nur, und hinter ihm kommt ein anders . . .“

„Ein kleins ... wie ein winzigs Hölzl!“

Sie schauten den beiden kaum merklich gleitenden Schiffen nach, bis dieselben hinter einem steil in den See abfallenden Waldrücken verschwanden waren.

„Geh’, Haymo, komm’,“ sagte Gittli tief aufathmend, „jetzt müssen wir aber die Zenza suchen!“

Sie wollten den Feuerpalfen verlassen, doch als sie sich vom Absturz wandten, fuhr ihnen jäher Schreck in alle Glieder; sie erblaßten und waren wie versteinert. Nur ihre Hände suchten sich noch und schlossen sich fest ineinander.

Herr Heinrich und Pater Desertus standen vor ihnen.

Eine Weile wurde kein Wort gesprochen. Mit ernsten Blicken betrachtete Herr Heinrich das Pärchen, während Pater Desertus, mit feuchtem Glanz in den Augen, nur Gittli zu sehen schien.

„Es schattet schon, Haymo, und ich finde Dich hier?“ sagte Herr Heinrich endlich mit ruhigen Worten. „Hast Du meines Gewildes denn ganz vergessen . . . und Deiner Pflicht?“

„Herr . . .“ stammelte Haymo, während eine brennende Röthe über seine Stirn flog. Kein zornig scheltendes Wort hätte ihn eingeschüchtert, aber diese freundlich ernste Mahnung brachte ihn um den letzten Rest seiner Fassung. Zitternd, mit rathlosem Blick suchte er Gittlis Augen und stotterte.. „Ich muß gehen . . . ich muß . . .“

Da erwachte sie aus ihrer Erstarrung. Sie umschlang ihn mit beiden Armen, schmiegte den schlanken Leib an ihn, als möchte sie mit ihm in eins verwachsen, und drückte das bleiche Gesicht an seine Brust. „Ich laß’ Dich nimmer . . . und ich laß’ Dich nimmer!“

Mit nassen Augen blickte Haymo zu Herrn Heinrich auf. „Schauet Herr . . . wir haben uns lieb.“

„Und ich laß’ mich nimmer wegschaffen,“ fiel Gittli mit bebender Stimme ein, welche fester klang von Wort zu Wort, „und ich laß’ mich nimmer wegreißen von ihm ... da darf gleich kommen, wer mag ... ich laß’ mich nimmer wegreißen. Ich weiß nicht, was man allweil von mir will ... ich hab’ doch keinem was gethan, ich bin doch ein braves Leut, und keiner hat ein Recht an mich als wie der einzig’, den ich lieb hab’!“ Sie hatte sich aufgerichtet, ihre Augen blitzten, und eine wilde Entschlossenheit verschärfte ihre Züge. „Und eh’ ich mich wieder wegreißen laß’, eh’ spring’ ich lieber da hinunter, wo’s am tiefsten ist. Komm’, Haymo, komm’,“ sie klammerte die zitternden Hände um seinen Arm und zerrte ihn gegen den Abgrund, „komm’ . . . da haben wir gleich eine Ruh’ . . . und bleiben bei einander . . .“

„Kind!“ schrie Pater Desertus erblassend, und auf Gittli zustürzend, umfing er sie mit beiden Armen und riß sie vom Rand der Felsen zurück. Gittli wehrte sich gegen ihn mit zorniger Kraft, er aber ließ sie nicht mehr. „Kind! Du Kind!“ Und die Lippen zu ihrem Ohr neigend, flüsterte er, nur ihr allein verständlich: „Es will Dich ja niemand wegreißen von ihm!“ Da erlahmte ihr Widerstand; scheu erschrocken blickte sie zu ihm auf, und als sie seine Augen sah, diese zärtlich und tief innig leuchtenden Augen, fiel es in ihr gemartertes Herz wie eine Offenbarung: hier ist Hilfe, hier ist einer, der es freundlich meint. „Herr, guter Herr!“ stammelte sie. „Stehet mir doch bei in meinem Herzeleid. Ihr habt ja doch auch eine liebe Frau gehabt und liebe Kindlein ... schauet, ich hab’ ihn halt so lieb, so lieb!“ Laut aufschluchzend barg sie das Köpfchen an seiner Brust.

Haymo stand mit todblassem Gesicht. Sein Athem ging keuchend, und unstet blickten seine Augen. Er sah, wie Pater Desertus die Arme um Gittli geschlossen hielt und ihr Köpfchen zärtlich an sich drückte. Haymos Fäuste ballten sich. Um gewaltsam zu bezwingen, was heiß und sinnverwirrend in ihm aufstieg, packte er mit den Fäusten die eigene Brust.

Herr Heinrich ging auf ihn zu. „Haymo! Haymo! Was hast Du aus diesem Kind gemacht?“

„Ich, Herr?“

„Hast Du nicht gehört, was sie gesprochen hat?“

„Es hat halt in ihr das Herz geredet, wie in mir das meinig’! Und wenn Euch das nicht gefallt, Herr, dann müsset Ihr rechten mit Eurem Herrgott! . . .“

„Mit unserem Herrgott? Und Du hast einen anderen? Oder gar keinen?“

„Wohl wohl, Herr, ich hab’ schon einen, und das ist ein guter ... es ist derselbig’, der das in uns zwei hineingelegt hat, daß es keiner nimmer herausreißt. Und wenn Ihr meinet, daß es halt doch geschehen könnt’, so habt Ihr einen anderen . . .“

„So?“ lächelte Herr Heinrich.

„Ja, und dann vertragt sich auch der meinig’ mit dem Eurigen nicht, und . . .“ Haymos Stimme verlor sich in dumpfes Murmeln, „und wir zwei taugen auch nimmer zu einander!“

„Du sagst mir den Dienst auf?“

Haymo senkte den Kopf, ein Schauer rüttelte seinen Körper, er schaute wieder auf, hing mit verstörten Augen an dem Gesicht des Propstes, seine Lippen bewegten sich, doch aus seiner Kehle wollte kein Laut.

„Gut! Ich kann Dich nicht zwingen!“ sagte Herr Heinrich. „Du bist ja kein Höriger, Du bist ein freier Mann. Aber ich lasse Dich ungern ziehen. Ich war Dir gut, denn Du hast mir treu gedient . . . und so gerne wie Dir hab’ ich noch keinem das Sprüchlein gesagt:

‚Wehr ohne Schart und Fehl,
Graden Sinn ohne Hehl,
Treues Herz ohne Wank ...‘

Was hast Du? Wolltest Du etwas sagen?“

Haymo würgte nach Worten . . . und schüttelte den Kopf.

„Gut also, wenn Du es nicht anders willst. Am Michelstage bist Du meines Dienstes entlassen ... als Klosterjäger!“ Ein feines Lächeln spielte um Herrn Heinrichs Lippen.

„Am Michelstag also, am Michelstag!“ murmelte Haymo vor sich hin, während er sich mit zitternder Hand über die Haare strich. „Wohl wohl ... am Michelstag, da geh’ ich . . . und wenn ich gleich mein halbes Leben dahint’ lass’. Und daß ich bis selbhin meine Pfticht thu’, ich mein’, Herr, dafür kennet Ihr mich.“ Er wandte sich zu Gittli, welche blaß und zitternd stand. „Behüt’ Dich Gott ... es schattet, und ich muß nach dem Gewild schauen . . . behüt’ Dich halt Gott derweil!“

„Haymoli!“ stammelte sie; aber nur eine ihrer Hände ließ Pater Desertus frei, und diese streckte sie dem Jäger hin, der sie mit festem Druck umfaßte.

„Ich muß gehen!“ sagte er mit schwankender Stimme. „Aber am Michelstag, da bin ich mein eigener Herr, da komm’ ich und such’ Dich wieder. Was die Herrenleut’ von Dir wollen mögen, ich weiß es nicht . . . aber ich komm’ und such’ Dich, da kannst Dich verlassen drauf. Und wenn ich Dich nimmer find’ . . . nachher mein’ ich wohl, daß man auch mich wird suchen müssen. Unter der Landthaler Wand ist ein Fleckl, da geht einer nicht irr’ ... der mich suchen mag . . .“

Thränen erstickten seine Stimme.

„Haymo, Haymoli!“ schluchzte Gittli und klammerte die Finger um seine Hand. Aber er riß sich los und stürzte der Hütte zu.

Herr Heinrich blickte ihm nach und schüttelte den Kopf. „Amantes amentes!“[1]

Pater Desertus schlang die Arme um Gittli, zog sie an seine Brust und flüsterte ihr zu: „Laß ihn doch, Du Närrlein, er kommt schon wieder!“

Als Haymo Zenzas Hütte erreichte, riß er die Armbrust von der Wand und faßte das Griesbeil. Auf einer Holzbank sah er das übel zugerichtete weiße Kleid und das Mäntelein liegen – er packte beides mit zornigem Griff und warf es in die glühenden Kohlen. Eine jähe Flamme loderte auf, und im Nu war das dünne Gewebe in Asche zerfallen.

Dann trat er ins Freie. Drüben über dem Almfeld wanderte Gittli langsam, mit gesenktem Köpfchen den Waldsaum entlang, zwischen Herrn Heinrich und Pater Desertus, der sie an der Hand führte.

„Der Schwarze! Und allweil der Schwarze!“ stammelte Haymo. In wirren Gedanken blickte er den Dreien nach, bis sie im Wald verschwunden waren. Dann stieg er den höheren Bergen zu, mit so ungestümer Eile, daß er bald den Athem verlor und rasten mußte.

  1. Verliebte Herzen, verdrehte Köpfe.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 543. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_543.jpg&oldid=- (Version vom 9.11.2022)