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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

holte sie einen beschmutzten zusammengefalteten Zettel, den sie ihm mit einem neugierigen Blicke übergab. Ohne die Frau weiter zu beachten, entfaltete er das Papier und las bei der grauen trüben Beleuchtung mit klopfendem Herzen die unbeholfene Schrift.

„Ich will Dir nicht weiter im Wege stehen, und das Kommandieren vertrage ich auch nicht, darum verschwinde ich. Die Stadt ist ja groß. Freu’ Dich, so viel Du willst, mir ist auch wohler so. Wir passen nicht zusammen. Vielleicht glückt’s mir auch einmal, dann werde ich mich vielleicht melden. Bis dahin adieu! Sei gescheit und sorge für Deinen Vortheil, alles andere ist fauler Witz, ich pfeife drauf. J. D.“ 

Als Hans zu Ende gelesen hatte, schwamm vor seinen Augen alles durcheinander in einem brausenden Nebel, aus dem fahle Lichter leuchteten. Mühsam faßte er sich. Ein Gedanke stieg in ihm auf – er rief die Wirthin, die sich mittlerweile entfernt hatte. „Erinnern Sie sich noch des Mannes, welcher vorigen Sonntag bei Davis und mir war?“ fragte er erregt.

„Freilich erinnere ich mich, der Holzmann war’s,“ entgegnete die Frau.

„Ganz richtig, Holzmann heißt er. War dieser Holzmann während der Woche öfters bei Davis?“

Die Wirthin sah ihn mißtrauisch an. „Ich mag das Spionieren nicht,“ sagte sie dann gehässig. „Ich merke die Sache schon lange; mich wundert nur, daß er’s so lange ausgehalten hat, der Davis, er ist sonst nicht so. Und so durchsichtig wie Sie ist mir noch keiner von der Sorte vorgekommen. Sie sind einmal nicht der Rechte zum Aushorchen für die Zwei; lassen’s die Händ’ davon und mir meine Ruh’!“ Mit einem verächtlichen Blicke ging sie zu ihren Gästen.

Es blieb für Hans nichts anderes übrig, als sich zu entfernen. Die letzten Worte der Wirthin beschäftigten ihn nachhaltig. „Für die Zwei" hatte sie gesagt – kein Zweifel, der Vater war die Woche über mit Holzmann zusammengewesen, auf seine Veranlassung hatte er diesen Schritt gethan. Nun war er wohl ganz in der Macht dieses Schurken, der ihn nur allzugut für seine Zwecke zu benutzen wußte. Und er selbst? Aufs neue preßte ihn die Kette, von der er eben gelöst zu sein meinte.

Herr Berry zuckte die Achseln, als ihm Hans die Mittheilung brachte, und schaute ihn mit einem sonderbaren mitleidigen Blicke an. „Sie sehen, ich thue, was ich kann. Sollten Sie je etwas Näheres von Ihrem Vater erfahren, so verschweigen Sie es mir nicht . . . Die Zeichnung hat mich sehr interessiert, Sie werden noch davon hören. Lassen Sie sich inzwischen durch diese Wendung der Angelegenheit mit Ihrem Vater, so ärgerlich sie ist, nicht in Ihrer Arbeit stören!“ sagte er nachdenklich und gab das Zeichen der Entlassung.

Hans stieg langsam die Treppe hinab. Zu ebener Erde lagen die Kassenräume. Es war gerade Zahltag, die Thüren gingen beständig auf und zu, das Klirren des auf die Marmorplatte hingeworfenen Geldes drang heraus und rief ihm die verdächtigen Worte Holzmanns ins Gedächtniß zurück. Nun wird sie der gewissenlose Mensch dem Vater alle Tage vorsprechen, in den finsteren häßlichen Höhlen unter der Erde und zuletzt – – einem plötzlichen Instinkt folgend, ging Hans in das Kassenzimmer; wenn man ihn nach seinen Wünschen fragte, konnte er sich ja Kleingeld einwechseln.

Riesige eiserne Schränke standen in dem vergitterten Raume, sie machten einen sicheren Eindruck. Seine Blicke prüften die Wände, sie waren offenbar von Eisen oder mit Stahlplatten beschlagen – trotz des Anstriches entgingen ihm die runden Köpfe der Schrauben nicht. Die Fenster waren vergittert und hatten eine Vorrichtung für dichten Verschluß. Außerdem war ein eigener Nachtwächter da. Das Gelingen eines Einbruches schien also unmöglich ohne das Einverständniß und die Hilfe eines treulosen Angestellten, und wie sollte ein solcher zu haben sein?

Beruhigter verließ er das Lokal; niemand hatte in dem herrschenden Durcheinander auf ihn acht gegeben. Seine Besorgniß schwand mehr und mehr – der Vater hatte am Ende recht, daß er die Sprache dieser Menschen nicht verstehe und Dinge fürchte, die nur in seiner Einbildung beständen. Sein jugendlicher Sinn half ihm rasch über die letzten Bedenken hinweg, und bald füllte ihn sein neuer Wirkungskreis ganz aus und der Gedanke: Empor zu Claire!


7.

Kommerzienrath Berry hatte auf den ersten Blick in der Zeichnung seines Schützlings einen vortrefflich verwerthbaren Gedanken gefunden; er selbst war als Techniker hervorragend genug, um durch Verbesserungen im einzelnen, für welche dem jugendlichen Erfinder die nöthige technologische Erfahrung fehlte, der neuen Idee ihre volle Tragweite zu geben.

Bei dem ungeheuren Wettbewerb gerade in diesem Industriezweig war eine so wesentliche Verbesserung von unabsehbarer Bedeutung für sein Haus.

Er ließ, ohne Wissen von Hans, ein Modell der Maschine herstellen, um ihre Leistungfäigkeit zu erproben. Der Erfolg war ein entschiedener, soweit er sich in solch verkleinertem Maßstab beobachten ließ. So entschloß er sich denn, zur Fabrikation im großen zu schreiten; unter dem Namen des „Berryschen Systems“ sollte die neue Konstruktion in die Welt gehen. Er that das weniger aus persönlichem Ehrgeiz als aus praktischen Gründen. „System Berry“ war ein Name, der Aufsehen und Vertrauen erwecken mußte, ganz anders als ein „System Davis“, wie es von rechtswegen hätte heißen sollen. Wer ist denn dieser Davis? Ein junger Monteur, der nicht einnmal auf einer technischen Hochschule war! Wenn man das erfährt, wird man darin einen willkommenen Anlaß finden, alles Mögliche und Unmögliche an der Maschine auszusetzen zu haben und tausend Zweifel zu hegen.

Trotz seiner guten Gründe war es dem Kommerzienrath peinlich, Hans diesen Vorschlag machen zu müssen, und ohne seine Einwilligung konnte er doch nicht handeln. Er ließ ihn kommen, theilte ihm seinen Entschluß mit und setzte ihm die Veranlassung dazu auseinander. Jedenfalls, so schloß er, werde er dafür Sorge tragen, daß der Ertrag der Erfindung, falls sie sich in der Praxis bewähre, was ja immerhin noch eine Frage sei, dem Erfinder nicht entgehe; sobald es ohne zu großes Aufsehen und ohne üble Wirkung auf die anderen Angestellten geschehen könne, werde er zudem Hans eine seinen außergewöhnlichen Fähigkeiten angemessene Stellung einräumen. Vorderhand verlange er aber von ihm unbedingtes Schweigen über seine Urheberschaft, die sich ja ohnehin nur auf den Grundgedanken beziehe und ohne Uebertragung ins Praktische von mäßigem Werthe sei. Hans ging nicht nur willig auf den gemachten Vorschlag ein, ohne irgend eine feste Bedingung daran zu knüpfen, er zeigte sich sogar selig darüber, eine solche Anerkennung gefunden zu haben und Herrn Berry einen Dienst erweisen zu können. Strahlend vor Glück verließ er das Zimmer seines Chefs.

So leicht hatte sich Berry die Sache nicht gedacht; nun trug die einstige Wohlthat seiner Gattin kostbare Frucht. Zu der natürlichen Neigung, welche er neuerdings für Hans gefaßt hatte, trat jetzt noch das gesteigerte Interesse des Geschäftsmannes, und der Fremde drohte in seinem Herzen immer mehr die Stelle einzunehmen, welche sein eigener Sohn Otto von Tag zu Tag mehr preisgab.

Dieser glaubte, als der Sohn eines reichen Vaters die Verpflichtung zu haben, dem Namen Berry, welcher bisher nur unter den Industriellen, auf dem Maschinenmarkt einen guten Klang hatte, auch in den ersten Kreisen der Gesellschaft Geltung zu verschaffen. Papa war zwar zu kurzsichtig und einseitig, um darauf etwas zu geben, und erschwerte ihm durch Knauserei diesen edlen Beruf; er aber war nicht der Thor, sich dadurch abschrecken zu lassen; für den einzigen Sohn des mächtigen Fabrikherrn gab es überall gegen einfache Unterschrift Geld genug.

Das Ziel seiner Wünsche, der Rennplatz, war dem Fähnrich noch verschlossen, doch bereitete er sich jetzt schon mit einem Eifer und einer Ausdauer, die ihm sonst nicht eigen war, auf die Zeit vor, wo mit dem Lieutenantspatent die ersehnten Pforten dieses Paradieses sich ihm öffnen sollten. Dem „Pferde“ war daher alles gewidmet, was er an jugendlicher Begeisterung zu vergeben hatte.

Seine Standesgenossen in dem elterlichen Hause heimisch zu machen, unternahm er keine weiteren Versuche, der erste war zu kläglich ausgefallen; damit wollte er warten, bis Claire zurückgekehrt war.

Auf sie setzte er alle Hoffnung, denn er hegte keinen Augenblick Zweifel, daß sie mit ihren ganzen Anschauungen auf

seiner und der Mama Seite stehen würde. Das war ja nicht anders denkbar nach einem zweijährigen Aufenthalt in einem der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 554. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_554.jpg&oldid=- (Version vom 11.8.2022)