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verschiedene: Die Gartenlaube (1892)


„Wie meinen Sie, daß ich sie taufen soll?“ fragte eines Tages Berry seinen Schützling, der eben mit dem Einsetzen der letzten Schrauben beschäftigt war.

Blitzartig kam diesem ein Gedanke, der Taufname lag ihm auf den Lippen – doch er wagte nicht, ihn auszusprechen.

„‚Berry‘ – nach dem System selbst, denke ich,“ sagte er dann zögernd, mit gerunzelter Stirn weiter arbeitend.

Berry erröthete leise, er glaubte einen leisen Spott herauszuhören. „Was meinen Sie zu ‚Claire‘, Davis?“ fragte er langsam.

Da sprang Hans aus seiner knieenden Stellung auf, hob hoch den Hammer und ließ ihn dröhnend auf den Kessel fallen. „Claire!“ rief er jubelnd – er selbst taufte die Maschine.

„Ei, da scheine ich ja Ihren Herzenswunsch erfüllt zu haben! Nun wohl, Sie haben entschieden dabei mitzureden. So dampfe sie denn als ‚Claire‘ durch die Welt, der Name wird ihr hoffentlich Glück bringen, und meine Tochter kann stolz darauf sein. Sorgen Sie jetzt nur, daß sie mir keine Schande macht, die neue ‚Claire‘! Und passen Sie auf die Röhrenlager recht auf! Der geringste Fehler wird natürlich dem neuen System zugeschrieben, wenn er auch ganz wo anders liegt, darauf müssen wir uns schon gefaßt machen; meine Herren Ingenieure hätten einen Mordsspaß, wenn alles schief ginge und die ‚Claire‘ sich gründlich blamierte!“

„Das wird sie nicht, verlassen Sie sich darauf, das wird sie nicht!“ Mit Feuereifer ging Hans von neuem ans Werk, so daß ihm der Schweiß in großen Tropfen von der Stirn perlte.

(Fortsetzung folgt.)




Die Kolumbische Weltausstellung in Chicago.

Von N. v. Stetten.0 Mit Zeichnungen von H. Nisle.


Weltausstellung“! Wohl nie ist dieses klangvolle Wort uns Deutschen so viel um die Ohren geschwirrt, als eben gegenwärtig. Der alte Kampf um die Weltausstellung in der Reichshauptstadt Berlin ist aufs neue entbrannt, und er hat durch den eifersüchtigen Wettbewerb der Pariser eine bisher nie dagewesene Verschärfung erfahren. Fast könnte man darüber die „Kolumbische Weltausstellung“ vergessen, die sich drüben über dem Ocean vorbereitet, sorgten nicht eifrige Berichte über die Wunder, welche man dort zu erwarten hat, dafür, sie stets in Erinnerung zu halten, und knüpfte sie nicht an einen Gedenktag an, der denn doch zu bedeutsam ist in der Weltgeschichte, als daß er über dem Streite des Tages aus dem Auge verloren werden könnte.

Vierhundert Jahre sind verflossen, seit Christoph Kolumbus den Fuß auf amerikanischen Boden setzte; was Amerika in diesen vierhundert Jahren geworden, das zu zeigen wird in erster Linie der Zweck der „Kolumbischen Ausstellung“ sein und daran wird auch die ausgiebigste Betheiligung des alten Europas nichts ändern. Vor allem werden die „Vereinigten Staaten“ ihre ganze wirthschaftliche Machtfülle dafür in die Wagschale werfen, uns die Leistungsfähigkeit der Neuen Welt in riesenhafter Gestalt erscheinen zu lassen, und Südamerika wird, wenn anders seine politischen Zerwürfnisse nicht noch störend dazwischentreten, an diesem Bilde nach Kräften mitwirken. Bedenken wir ferner, daß Länder, deren Handelsverkehr mit der Neuen Welt bei uns in Europa gar nicht nach seinem ganzen Umfang ermessen wird und welche zu den bisherigen Ausstellungen nur einige exotische Kuriosa lieferten, wie z. B. China, Japan und andere asiatische Staaten, zum ersten Mal in größerem Maßstab ausstellen werden, so ist darin schon eine Reihe von Besonderheiten gegeben, welche der Kolumbischen Weltausstellung ein eigenartiges Gepräge aufdrücken. Und nun dazu der grandiose Hintergrund der echt amerikanischen Großstadt Chicago in ihrer herrlichen Lage an dem gewaltigen Michigansee!

Das Verwaltungsgebäude.

Chicago ist nach New-York die bedeutendste und bevölkertste Stadt der Union; es übertrifft Philadelphia an Umfang und Einwohnerzahl und weist nach der letzten Zählung 1250000 Einwohner auf, von denen ein Drittel deutschen Ursprungs ist. Seine geographische Lage macht es zum Schlüssel des weiten gesegneten Westens, zum natürlichen Knotenpunkt der größten Eisenbahnlinien Amerikas, deren nicht weniger als sechsundzwanzig strahlenförmig dort zusammenmünden, und zum Ausgangspunkt für die hochentwickelte Binnenschiffahrt auf den fünf untereinander verbundenen riesigen nordamerikanischen Seen. Das mit der Stadt in unmittelbarem regen Verkehr stehende Gebiet ist dreimal so umfangreich als Europa ohne Rußland; Chicagos Handelsumsatz wurde im Jahre 1890 auf rund fünfeinhalb Milliarden Mark berechnet. Nichts vermochte die fast märchenhaft rasche Entwicklung der Stadt zu hemmen. Noch im Jahre 1833 ein kleiner Flecken mit 175 Häusern und 550 Einwohnern, zählte es 1871 bereits über dreimalhunderttausend Seelen. Wohl schien ein furchtbares Unglück es damals vom Erdboden vertilgen zu wollen: eine beispiellos heftige Feuersbrunst im Oktober des Jahres 1871 legte in drei Tagen den größten Theil des Geschäftsviertels in Asche. Aber rasch erstand das Zerstörte wieder aus den Trümmern, und nach zehn Jahren war auch die letzte Spur von einem Brande verwischt, der nach annähernder Schätzung einen Schaden von 800 Millionen Mark verursacht hatte. Groß angelegte Wasserwerke versorgen heute die Stadt mit Wasser, die Gesundheitsverhältnisse sind günstig, nicht zuletzt dank einem verschwenderischen Maße öffentlicher Gärten oder Parke, deren zwanzig theils innerhalb des Häusermeeres, theils an seinem äußeren Rande gelegen sind. – Zwei dieser Parke sind nun dazu ausersehen worden, die Ausstellungsgebäude aufzunehmen, der Jacksonpark, hart am Ufer des Michigansees, und „Midway Plaisance“, westlich an den Jacksonpark anstoßend.

Schon im Juni 1891 wurden die Arbeiten auf dem Ausstellungsplatz begonnen und seither – mit nur geringen durch finanzielle Schwierigkeiten hervorgerufenen Unterbrechungen – nach Maßgabe der vorhandenen Mittel fortgesetzt. Jetzt ist man soweit, daß voraussichtlich alle Bauten und Anlagen zur bedungenen Frist, dem 12. Oktober 1892, fertig sein können. An diesem Tage, dem historischen Jahrestag der Entdeckung Amerikas, an dem Kolumbus den Strand der Insel Guanahani betrat, soll die feierliche Uebergabe der Gebäude an die leitende Kommission von hundertundsechs Männern, die „Worlds Columbian Commission“, erfolgen. In der Zeit vom 1. November 1892 bis zum 10. April 1893 werden sich die weiten Räume mit den Schätzen der Aussteller füllen, um endlich am 1. Mai 1893 den Scharen der staunenden Besucher sich zu öffnen.

Gedenkt man schon jene feierliche Uebernahme der Gebäude mit einem gewaltigen Festespomp zu umkleiden, bei dem Reden, Musikaufführungen größten Stils mit eigens hierzu komponierten Tonwerken, Feuerwerk und Truppenschau ihre Rolle zu spielen haben, so wird selbstverständlich die endgültige Eröffnung in noch viel großartigerem Maßstab gefeiert werden. Insbesondere versprechen sich die Veranstalter viel von einer großen internationalen Flottenschau, die auf Ende April geplant ist. Man denke sich: auf der ungeheuren, am Ausgang der Chesapeakebay gelegenen Rhede von Hampton Roads sammeln sich die Flotten aller seefahrenden Nationen und dampfen von da gemeinsam in den Hafen von New-York, um hier an einem aus allen Welttheilen herbeigeströmten Publikum vorüberzudefilieren! Aber die schrankenlose Phantasie des Amerikaners schweift noch weiter. Er sieht diese Ungethüme der See auch die Mündung des Potomacstromes hinaufziehen, der Bundeshauptstadt Washington und dem Grabmal des großen George Washington ihre Huldigung darzubringen!

Kühn wie diese Festentwürfe sind auch die Rechnungen der Amerikaner. Man hat die Kosten der Ausstellung auf nicht ganz 75 Millionen Mark veranschlagt. Davon trägt die Stadt Chicago 20 Millionen bei, von einer allgemeinen Subskriptionsanleihe erhofft man etwa 23 Millionen, nicht weniger als 40 Millionen aber sollen die Eintrittsgelder ergeben. Man rechnet also, da der Eintrittspreis auf einen halben Dollar oder etwa zwei Mark festgesetzt ist, auf die Kleinigkeit von zwanzig Millionen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1892, Seite 556. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_556.jpg&oldid=- (Version vom 11.8.2022)