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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Saget ihm nur: wenn er mich etwa sprechen wollte, dann fänd’ er mich beim neuen Haus.“

Herr Heinrich ging, und die Knechte glotzten ihm nach. Es währte nicht lange, so hörte man auf dem Steig ein Griesbeil klirren und klappernde Schritte näher kommen.

Haymo tauchte unter den Bäumen auf. Sein Gang war langsam und müde; das Antlitz sah verkümmert aus, obwohl es geröthet war; denn er hatte schwer getragen; die Armbrust war um seinen Hals gehängt und der Rücken mit einem vollgestopften Bergsack beladen.

„Was tragst denn da?“ fragte einer der Knechte.

„Mein Sach’!“ erwiderte Haymo mit zuckenden Lippen.

„Ja, was ist denn? Es liegt doch allweil noch kein Schnee droben? Ziehst denn schon ab von der Röth’?“

„Wohl wohl,“ murmelte der Jäger.

„Mußt vielleicht in ein anderes Revier? Auf den Roint oder auf den Griesberg hinauf?“

Haymo schüttelte den Kopf und starrte vor sich nieder.

„Wo willst denn hin jetzt?“

„Ins Kloster hinein zum Herrn.“

„Den kannst näher haben. Grad’ ist er zum neuen Haus hinaufgegangen.“

„Zum neuen Haus?“ Haymo schaute mit verlorenen Blicken auf und that einen schweren Athemzug. „Kann ich bei Euch derweil meinen Sack einstellen?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, ging er in die Fischerhütte, legte den Bergsack in die Stube, nickte den Knechten einen Gruß zu und folgte der Straße.

Das „neue Haus“ war ja leicht zu finden. Ueber die goldig schimmernden Baumwipfel leuchtete das weiße Dach herüber mit dem bändergeschmückten Tannenbäumchen. Als sich Haymo mit zögernden Schritten dem Thor näherte, das den frisch geflochtenen Hag durchbrach, blieb er plötzlich stehen wie von freudigem Schreck betroffen. Es war ihm, als hätte er aus einem der offenen Fenster ein klingendes Lachen gehört. Er lauschte . . . aber alles blieb still. Ein bitteres Lächeln zuckte um seine Lippen. War ihm das in all diesen langen bangen Wochen nicht zu hundertmalen geschehen? Wenn er durch den stillen Bergwald gestiegen oder hinweggegangen war über ödes Gestein, versunken in seine träumende Sehnsucht, dann hatte er mit einem Mal diese süße, klingende Stimme gehört, bald wie aus weiter Ferne, bald wieder, als wäre sie dicht an seinem Ohr. Doch hatte er sich, mit stockendem Herzschlage jählings umgewandt, so waren rings um ihn nur die leeren Lüfte gewesen, die stillen Bäume und das schweigende Gestein. und wenn er in dunkler Nacht auf der Wolfshaut lag, vor Ermüdung fiebernd an allen Gliedern . . . wenn nach martervollem Sinnen und Grübeln der Schlaf ihm die Lider schwer machte, daß sie sanken, dann klang es plötzlich hell und weckend in seinen Schlummer. „Haymoli!“ Er fuhr in die Höhe, strich die zitternde Hand über die Stirn und lauschte . . . und fand sich allein, umgeben von tiefer Finsterniß, und nur seine Seufzer klangen in der stillen Hütte.

„Es geht mir halt überall nach!“ murmelte er, während er mit irren Blicken das stattliche Haus überflog.

Zögernd betrat er den Hofraum und erbleichte, als er einer alten Ulme zu Füßen, auf einem moosigen Steinblock, Herrn Heinrich sitzen sah.

„Haymo? Du?“

Der Jäger zog die Kappe, und während er sie zwischen den Händen zerknüllte, trat er mit gesenktem Kopfe näher.

„Grüß Gott, Herr!“

„Wie kommst Du da her? Was hat Dich ins Thal geführt?“

„Herr!“ Die Stimme des Jägers schwankte. „Heut’ ist der Michelstag.“

„Der Michelstag?“ sagte Herr Heinrich ganz erstaunt. „Richtig, der Michelstag! So, so! Der Michelstag? Und deshalb kommst Du herunter?“

„Wohl wohl! Ich hätt’ ja nimmer bleiben dürfen . . . auch wenn ich mögen hätt’.“ Immer leiser wurde Haymos Stimme. „Heut’ geht ja mein Dienst aus!“

„Richtig, richtig! Von heut’ an hab’ ich einen Klosterjäger weniger . . . den besten. Und jetzt bist gekommen und willst mir ‚Behüt’ Gott‘ sagen, gelt? Und dann willst Dir einen neuen Herrn suchen?“

Haymo knüllte an der Kappe, verdrehte den Kopf, als quäle ihn ein Krampf im Nacken, und zog die Brauen zusammen wie einer, der auf der Folter liegt und doch keinen Schmerzenslaut will hören lassen.

„So red’ doch, Haymo, schau’ mich an!“

Aber nur noch tiefer senkte Haymo den Kopf, während er mit heiserer Stimme Wort um Wort vor sich hin stieß. „Ich bitt’, Herr, daß Ihr es kurz machet. Wenn’s mich auch gleich nimmer fort lassen will . . . von Euch . . . fort muß ich halt doch.“

„Mußt Du? So? Und was willst Du jetzt . . .?“

„Was ich halt wollen muß – ein einzigs halt! Gerad’ noch ein einzigs im Leben . . . und allweil das einzig’ . . . und ich weiß doch kein Straßl nimmer, wo ich’s find’. Ich hab’ mich halt verschuldigt, und jetzt muß ich’s büßen. Und wenn ich gleich einmal noch hinlauf’ an mein Glück ... es bleibt halt doch allweil nur ein halbet’s.“ Er wandte sich ab, weil er spürte, daß ihm die Augen übergingen.

„Haymo!“

Der Jäger erzitterte bei dem warmen, herzlichen Klang seines Namens.

„Hab’ ich recht gehört? Du möchtest gern bleiben bei mir?“

Haymo sagte nicht Ja und nickte nicht mit dem Kopf; er wandte sich nur noch mehr von Herrn Heinrich ab und drückte das Kinn auf die Brust.

Der Propst betrachtete ihn eine Weile mit leisem Lächeln. „Also bleiben möchtest Du? Schau, Haymo, das merk’ ich gern, daß ich Dir lieb geworden bin als Herr. Schade! Warum hast Du nicht früher gesprochen! Denn jetzt . . . jetzt wird es wohl zu spät sein. Heut’ ist der Michelstag, Du bist nicht mehr mein Klosterjäger.“

Jetzt nickte Haymo, und ein schwerer Athemzug erschütterte seine Brust.

Immer fröhlicher lächelte Herr Heinrich. „Wer weiß ... wir zwei hätten vielleicht noch können auf gleich kommen miteinander.“

Haymos trübe Augen streiften den Propst mit einem scheuen Blick.

„Pater Desertus hat im letzten Kapitel einen Antrag gestellt, und der ist durchgegangen. Das Kloster hat einen Wildmeister ernannt, von heut’ an. Der soll über die ganze Jägerei des Klosters gesetzt sein. Er ist ein weidgerechter und strenger Jäger; wie ich ihn kenne, wird er seine Leute fest an der Schnur halten. Und mit einem, der aus Muthwill’ oder Narretei seinen Dienst aufsagt, mit solch einem wird er sich schwer befreunden! Meinst nicht auch? . . . Was hast denn? Schaust Dir das Haus dort an? Ein schmuckes Haus, gelt? In dem soll der neue Wildmeister wohnen. Ueber vier Wochen hält er Hochzeit. Schau, Haymo, dort unter der Thür . . . das ist sein Bräutlein.“

Haymo, dem die Kappe entfallen war, stand mit zitternden Händen und wankenden Knien. Jetzt erblassend, dann wieder die Wangen überflogen von brennendem Roth, riß er Mund und Augen auf und starrte nach der Thür, aus welcher Pater Desertus trat, Gittli an seiner Hand. Wie hold und schmuck war das Mädchen anzusehen! Ein rothes Röcklein umfloß in weichen Falten ihre schlanke Gestalt, aber es war nicht kurz geschnitten nach Bauernart, sondern reichte, wie bei einem Fräulein, bis auf die Fußspitzen; schneeweißes Linnen umbauschte die Schultern und Arme, und knapp spannte sich ein dunkelgrünes, mit silbernen Kettlein verschnürtes Mieder um den zarten Leib. Ihre Augen leuchteten in heißer Erregung, wie glühende Rosen lag es auf ihren Wangen, und gleich einem schwarzen Krönlein schmückten die straff geflochtenen Zöpfe ihre Stirn.

Haymo lallte unverständliche Worte. Aber da hatte ihn Gittli schon erblickt und kam auf ihn zugeflogen mit frendigem Aufschrei. Stammelnd und schluchzend hing sie an seinem Hals, während Haymo, den das über ihn herstürzende Glück um alle Besinnung brachte, noch immer mit den Händen ins Leere tappte. Gittli nahm sich nicht einmal Zeit zu einem Kuß. In zitternder Hast iöste sie sich wieder von Haymos Brust, und mit der einen Hand seinen Arm umfassend, griff sie mit der anderen nach der Hand des Paters.

„Gelt, Herr Pater, gelt, ja Ich darf ihm schon gleich alles zeigen?“

Pater Desertus nickte ihr zu mit leuchtenden Augen, und da zog sie den Stammelnden mit sich fort, lachend in Thränen, unter sprudelnden Worten: „So schau doch, Haymoli, schau! Was sagst! Schau Dir das schöne Haus nur an! Gelt, da schaust!

Ja, Du ... da sollen wir hausen allbeid’ miteinander, hat der gute, liebe Pater gesagt. Und schau nur, das steinerne Bankl

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 566. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_566.jpg&oldid=- (Version vom 30.11.2022)