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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

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Der Aetna und sein jüngster Ausbruch.

Vesuv und Aetna sind jedem Schulkind als feuerspeiende Berge bekannt und jedermann weiß, was sie in ihrer Umgebung angerichtet haben oder noch anzurichten imstande sind, bis sie dahin kommen, wohin ihre zahlreichen italienischen Genossen bereits gekommen: zu verlöschen, zu erkalten.

Denn Vesuv und Aetna sind nicht die einzigen Vulkane Italiens, sie sind nur Glieder einer Kette, einer sehr langen Kette, die an der Südgrenze Toskanas beginnt und sich durch Mittelitalien, Unteritalien, Sicilien und die angrenzenden Meere bis nach Afrika hinüberzieht. Am toskanischen Subapennin, im Südwesten von Chiusi, erhebt sich zunächst der Drachytkegel des Monte Amiata, 1721 Meter hoch, somit der höchste Vulkan der italienischen Halbinsel, der, obschon erloschen, als Zeugen seiner in der Tiefe schlummernden Kräfte Gas- und warme Quellen um seinen Fuß her entspringen läßt. Vulkanisch auch ist das Gebiet von hier aus bis zu den Volskerbergen; als bedeutendstes vulkanisches Erhebungscentrum auf dieser Strecke ist der Ringwall zu nennen, welcher den See von Bolsena umschließt; der daran stoßende Montefiascone ist ein echter Krater.

Fortgesetzt wird die Kette dieser Vulkane unterhalb Roms im Albanergebirge, einem drei Stunden weiten Ringwall. Innerhalb dieses Walles steigt 954 Meter hoch der stattliche, geschichtlich berühmte Monte Cavo auf. Die Lavaströme, die von diesem Punkte ausgehen, übertreffen an Länge die aller anderen Vulkane: sie reichen bis fast vor die Thore Roms; einer davon fand sein Ende erst bei dem Grabmal der Cäcilia Metella auf der Via Appia, der andere vor der Porta S. Paolo. An das mittelitalienische Vulkangebiet schließt sich am Garigliano das campanische an: hier steht das Ringgebirge der Rocca Monfina, das einen Flächenraum von 56 Quadratkilometern bedeckt. Auch die der Rocca Monfina gegenüberliegenden Ponza-Inseln sind vulkanischen Ursprungs. Männiglich bekannt ist das vulkanisch-klassische Gebiet von Campanien, dessen Mittelpunkt der Vesuv bildet, vor dem als Hochwacht der berühmte Kraterberg des Monte Epomeo auf der Insel Ischia, 792 Meter hoch, steht, während in den phlegräischen Gefilden am Golfe von Bajä seine feurigen Vasallen sich scharen: 27 Krater, deren jüngster der erst vor 360 Jahren aus dem Boden gewachaene Monte Nuovo ist.

Uebersichtskarte über das Gebiet der Aetnaausbrüche
von 1669 und 1892.

Das italienische Endglied unserer Vulkankette ist, über die Gruppe der im Feuer gebildeten Liparischen Inseln hinweg – kleine und kleinste Krater und unterseeische vulkanische Erhebungsversuche – der gewaltige Aetna, in dem die unterirdischen titanischen Mächte ihr hervorragendstes Werk vollbracht haben: er ist der höchste Berg Italiens, der größte Vulkan Europas und einer der höchste auf der ganzen Erde. Von allen Seiten frei, so daß ihn das Auge vom Schiffe aus mit einem Blicke erfassen kann, steigt er zu einer Höhe von 3313 Metern auf und zwar auf eigenen Füßen, auf einem Grunde stehend, den er sich durch Aufschüttung seiner eigenen Materialien erbaut hat; denn ein Vulkan ist nicht ein Berg, der Feuer, sondern ein Feuer, das einen Berg ausspeit, wie es bei der Aetnaeruption von 1886 und bei der jüngsten zu sehen war, wo wie von gigantischen Maulwürfen gehoben, neue Kraterberge aufstiegen. Zahllos sind schon die Erhebungen aus alten Zeiten: wie Ameisenhaufen erscheinen uns die Nebenkrater, welche die Seiten des Berges bedecken, darunter über 200 getaufte, d. h. mit Namen bezeichnete.

Der Aetna hat in seiner Riesenhaftigkeit nur einen Nebenbuhler: den Kljutschew auf der Halbinsel Kamtschatka, der 1500 Meter höher ragt als er, während der Vesuv, ein Pygmäe gegen den sicilianischen Genossen, mit seinen 1282 Metern nur wenig über ein Drittel des Aetnamaßes hinaussteigt. So thront auch das k. Observatorium des Aetna mit der „Casa Etnea“ hoch über allen Erdenwohnungen Europas: es liegt 2942 Meter über dem Meere, während das Hospiz des St. Gotthard schon bei 2075 Metern zurückbleibt; das k. Observatorium am Vesuv liegt nur 676 Meter hoch.

Aber die Hänge des Aetna haben eine sehr schwache Neigung, nur 7-8°, der steile, rasch aus dem Meere aufsteigende Vesuv imponiert darum manchem mehr. Die Lavaströme dieses Berges überschreiten nicht 13 Kilometer, die des Aetna erreichen eine Länge von 56 Kilometern und sind oft von gewaltiger Breite und Höhe. Und dann – das Aetnagebiet, wie gewaltig! Es faßt achtmal das Fürstenthnm Liechtenstein und deckt bequem den Boden von Reuß älterer und jüngerer Linie zusammengenommen.

Noch etwas anderes verleiht dem Aetna die Großartigkeit, seinem Wesen eine wirkliche Eigenart: es ist die große Zahl jener schon erwähnten Kegel zweiter und dritter Ordnung, die wir über seine Hänge ausgesäet finden und die nichts anderes sind als erloschene Vulkane, Neben- oder parasitische Krater, seine Kinder, die er in verschiedenen prähistorischen, historischen und allerjüngsten Zeiten und so auch jetzt wieder aus seinem Schoße geboren. Die Entstehung derselben ist ungefähr so zu denken, daß die im Innern des Berges aufsteigende Lava nicht mehr die Kraft hatte, die Höhe des Hauptkraters zu erreichen, und nunmehr einen gewaltigen Druck auf die Wände ihres Kamins, die Flanken des Berges, ausübte, bis diese barsten und um die derart entstandenen Sprenglöcher sich neue Auswurfkegel bildeten.

Verschiedee dieser Nebenkrater sind schon wieder bebaut, viele hat vorläufig der goldblühende Ginster bedeckt; andere liegen entweder oberhalb der kulturfähigen Zone oder sind noch zu neu und darum schwarz und nackt. Es giebt ganz bedeutende Höhen darunter; die bedeutendsten sind auf dem Gebiet von Belpasso und Nicolosi, auf dem sich auch der jüngste Ausbruch vollzog: der Monte Vituri, 1772 Meter über M.; Monte Nero 1778 Meter; Monte Serrapizzuta 1700 Meter, Monte Boccarelle di Fuoco 2033 Meter; Monte Castellazzo 2200 Meter; Monte Montagnola 2842 Meter; dann Monte Nocillo, Monte Nicolo, Monte Peluso, Monte S. Lea; alle finden sich auf der Linie, die vom Hauptkrater im Norden nach Nicolosi im Süden läuft, auf der denn auch die Hauptausbrüche stattgefunden haben.

Das ganze weite Land um den Aetna her, der Campus Aeataeus, dessen ungeheuere Obstfülle schon Ovid preist, ist die fruchtreichste Gegend nicht nur Siciliens, sondern ganz Italiens. Alle Gewächse, welche die gesammte südliche Mittelmeerzone charakterisieren, die köstlichen Südfrüchte in hundert Spielarten, Reben, die den feurigsten Wein liefern, Dattelpalmen, Opuntienkaktus und Agaven, japanische Mispeln, Mandeln, Oliven, Myrten, Feigen- und Johannisbrotbäume, alle gedeihen sie hier auf diesem vulkanischen Boden aufs herrlichste. Alles Land besteht aus Weinbergen und Obstgärten, Weizen- und Baumwollenfeldern.

Bis hoch hinan an den Berg, bis über 1300 Meter zieht sich die „Regione coltivata“, die bebaute Region, der noch alle Fruchtarteu angehören, die aber hauptsächlich von der Rebe

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 571. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_571.jpg&oldid=- (Version vom 30.11.2022)