Seite:Die Gartenlaube (1892) 586.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

„Claire – Fräulein Claire wollt’ ich sagen, verzeihen Sie mir! Ich bin rücksichtslos gewesen, ich fühle es, aber sehen Sie, ich weiß ja selbst nicht, wie das so kam. Für einen einzigen freundlichen Blick, für einen Druck Ihrer Hand würde ich ja durchs Feuer gehen!"

Claire vergaß das Spiel mit ihrem Fächer, den Kopf halb auf die Brust geneigt, blickte sie erröthend Hans an, dessen Züge von edler Gluth durchleuchtet waren. Fast verlegen reichte sie ihm die Hand. „Ich danke Ihnen, Hans – aber nicht wahr, mich nicht mehr vergessen über den anderen! Ich habe es nicht um Sie verdient.“

Hans war es, als müßte er die kleine Hand, die fast verschwand in seiner derben Arbeitsfaust, vor Seligkeit zerdrücken. „Ich will sterben für Sie, Claire!" kam es leidenschaftlich von seinen Lippen.

Claire lachte nicht über diese schwärmerischen Worte, die ihr aus dem Munde jedes anderen ungeheuer komisch vorgekommen wären, und überließ dem jungen Manne willig ihre Hand, als er sie mit einer ungestümen Bewegung an die Lippen führte.

In diesem Augenblick hatte sich Otto den beiden genähert. Er hatte die Schwester scharf beobachtet; ihre Unterredung mit diesem Davis hatte ihm zu lange gedauert, und nun kam er gerade recht, um die letzten Worte zu hören und den Handkuß zu sehen. Aus dem Gesicht Claires erkannte er auch deren völliges Einverständniß mit dieser Huldigung. Das reizte ihn nur noch mehr.

„Herr Davis,“ rief er spöttisch, „Sie machen ja erstaunliche Fortschritte als Salonheld! Sagen Sie mir einmal, guter Mann, woher nehmen Sie denn eigentlich dieses – na, sagen wir – Selbstvertrauen zu Ihrem Auftreten bei uns her?“

„Aus dem Bewußtsein, dasselbe Recht dazu zu haben wie jeder andere ehrenhafte Mann, der hier verkehrt,“ entgegnete Hans in festem Tone, „ja vielleicht besitze ich noch ein größeres Recht.“

Claire zuckte zusammen, eine Falte erschien auf ihrer klaren Stirn.

„Ah – das wird interessant! Inwiefern denn noch ein größeres Recht?“ fragte Otto mit einem Blicke auf die Schwester. „Sie meinen wohl als Miterfinder des neuen Systems?“

„Daran dachte ich nicht; nein, als – der von Ihrem Herrn Vater von der Straße aufgehobene Hans Davis. Es giebt Wohlthaten, die Verpflichtungen nach sich ziehen auch für den Wohlthäter!“

„Wie, Sie philosophieren auch in Ihren freien Stunden? Also Universalgenie! Nützt Ihnen aber alles nichts. Für meine Schwester und mich bleiben Sie doch das Hänschen von damals – Sie wissen schon, das mit der blauen Zipfelmütze.“ Lachend drehte er sich um und entfernte sich.

Ein Zittern lief durch den Körper des auf so rohe Weise Beleidigten, seine Muskeln spannten sich, und er machte eine Bewegung, als wollte er dem Fortgehenden nachstürzen. Da legte sich eine Hand mit sanftem Drucke auf seinen Arm.

„Begehen Sie keine Thorheit, Hans!“ mahnte Claire. „Sie dürfen überzeugt sein, daß mein Bruder sehr gegen meinen Willen mich zum Zeugen für seine Meinung aufgerufen hat. Daß ich Sie mit anderen Augen ansehe, Ihren Werth anders bemesse, das muß in Ihnen unerschütterlich feststehen nach allem, was voranging.“

„Ich danke Ihnen,“ erwiderte Hans und begab sich mit mühsam beherrschter Aufregung zur Gesellschaft zurück. Er fürchtete mit Recht, daß seine lange Unterhaltung mit der Tochter des Hauses aufgefallen sein könnte.

Herr Berry hatte das vertrauliche Gespräch, die starke Gemüthsbewegung der beiden wohl bemerkt, aber ohne sich entschließen zu können, sie zu stören.

Nachdem Otto es abgelehnt hatte, sein Lebenswerk fortzusetzen, galt es, Claire dafür zu gewinnen; daß ihm dabei seine Gattin und sein Sohn entgegenarbeiten würden, wußte er. Davis dagegen konnte ihm ein erwünschter Bundesgenosse werden – vielleicht aber auch ein gefährlicher! Claire war zwar fast ebenso alt wie ihr einstiger Spielgenosse, sie war stolz geworden in Paris, verwöhnt, offenbar regte sich auch in ihr das aristokratische Blut der Mutter. Aber Davis war ihr Jugendfreund, Dankbarkeit und Zuneigung fesselten ihn an sie, er war zudem von einnehmendem Aeußeren, durch Geist und Willenskraft hoch hinausgehoben über seinen Stand – wie leicht konnte sich da trotz aller Hindernisse eine unbesiegliche Leidenschaft in seiner Tochter entwickeln! Und was sollte dann werden? War das denkbar – Davis, der Sohn eines verkommenen Arbeiters, welcher jeden Augenblick wieder auf der Bildfläche erscheinen konnte, und die Tochter des Kommerzienraths Berry? Aber war denn Hans überhaupt nur der Sohn seines Vaters? Davis, der berühmte Techniker, die Zukunft der Berryschen Werke, die unter seiner Leitung den Weltmarkt beherrschen würden – warum nicht so? – –

Abends war auf dem beleuchteten Festplatz Arbeiterball, zu welchem sich auch die eingeladenen Gäste einfanden. Die Frau des Hauses eröffnete denselben auf den bestimmten Wunsch ihres Mannes durch einen Tanz mit dem ersten Direktor, ihr folgte Claire mit Hans Davis, der nun einmal der Held des Tages war. Rings um den Festplatz her lagen die schweigenden Werkstätten und bildeten zu der bunten Beleuchtung, dem wehenden Fahnenschmuck und den Klängen der Musik, in die sich die Jubelrufe der Menge mischten, einen sonderbaren Gegensatz, der aber die Festfreude der Arbeiter nicht zu stören schien. Es war, als sei alle Noth, aller Schweiß, alles Murren vergessen, als sei hier wenigstens Kapital und Arbeit versöhnt.

Nach dem ersten Rundtanz unter den blühenden Kastanien sausten Raketen gegen den Nachthimmel, ein bunter Regen von Leuchtkugeln schwebte empor, Feuerräder drehten sich sprühend, der Name „Berry" erschien, von Strahlen umgeben, flammend in der Luft, während zugleich die neue Maschine bengalisch beleuchtet wurde.

Ein Hurra für Berry brauste aus tausend Kehlen durch die Nacht. „Hurra für ‚Claire‘, Hurra für Hans Davis!“ rief eine Stimme, kaum daß der erste Ruf verklungen war, und aufs neue fielen die Arbeiter ein, in dem Kameraden sich selber ehrend.

Hans hatte noch immer Claire am Arme, als mitten in das Geknatter des Feuerwerks hinein ihre beiden Namen brausend erschallten und gleichsam ineinanderflossen. Da blickte unwillkürlich alles auf das schöne Paar, und sie selbst zuckten zusammen, mächtig ergriffen von einem ahnungsvollen Gefühl, das für Hans eine berauschende Verheißung war, für Claire ein Räthsel, an dessen Lösung sie sich nicht wagte. Schweigend zog sie ihren Arm aus dem seinigen; sie fühle sich müde und möchte sich ausruhen, erklärte sie. Förmlicher als je trennten sie sich.

Hans hielt es jetzt nicht mehr aus auf dem Festplatz, der Lärm that ihm weh;^ müde von den hunderterlei Eindrücken des Tages begab er sich auf seine Stube. Eine Zeitung lag auf seinem Tische. „Ein Festtag bei Berry“ las er als Ueberschrift eines Artikels; mitten drin leuchtete sein Name gesperrt gedruckt. Die geheimnißvolle Kraft des gedruckten Wortes wirkte auf ihn, er las mit klopfendem Herzen den Bericht über die Vorgänge des Morgens, die Worte, die Berry dabei gesprochen hatte. Und die ganze Stadt wird es jetzt mit ihm lesen, Tausende werden bewundernd den Namen „Davis“ aussprechen! Die Wonne befriedigten Ehrgeizes schwellte seine Brust. Sein Stern stand hoch, strahlend leuchtete sein Ziel – Claire!

Schon wollte er das Blatt weglegen, da sah er dicht unter dem Artikel einen anderen Namen gesperrt gedruckt – „Holzmann“. Hastig überflog er die Zeilen, die vor seinen Augen zu schwanken begannen.

„Gestern Nacht fand ein verwegener Einbruchsversuch in dem Juwelengeschäft von Somatsch statt. Die Diebe drangen von der Straße her durch den infolge der Kanalisationsarbeit offenen Abzugsgraben in das Haus, den Boden des Verkaufslokales durchbrechend. Glücklicherweise hörte ein vorbeikommender Schutzmann den verdächtigen Lärm und störte die Einbrecher in ihrem sauberen Handwerk. Einer derselben, ein schon oft bestraftes Individuum Namens Holzmann wurde im Kanal selbst wie in einer Falle gefangen; sein Genosse ist leider entkommen!“

„Sein Genosse ist leider entkommen!“ Auf dieser Zeile blieb der starre Blick von Hans haften. Er sah das Gaunergesicht dieses Holzmann deutlich vor sich, hörte sein teuflisches Flüstern – sein Genosse horcht darauf wie gebannt, dann schlägt er ein. „Sei es, ich thu’ mit! Die Wagen der Reichen sollen mir nicht länger über dem Kopfe wegrollen, während ich in dem

Schmutze da unten verkomme – bin doch begierig, wie das

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 586. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_586.jpg&oldid=- (Version vom 11.8.2022)