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verschiedene: Die Gartenlaube (1892)


Bekanntwerden des Schrecklichen ihn für immer aus diesen Räumen wies.

Der Tag der Verhandlung gegen Holzmann kam, der Tag des Urtheils auch für Hans. Wurde der Name Davis von dem Einbrecher genannt, so war mit dem Vater er selbst verloren. Er hatte beschlossen, der Verhandlung nicht beizuwohnen und die Berichte abzuwarten; aber eine Stunde vor Beginn der Sitzung stand er schon im Gerichtsgebäude.

Endlich öffneten sich die verschlossenen Thüren, ungestüm drang er in den Saal. Im Nu war die Zuhörertribüne gefüllt, und eine lebhafte Unterhaltung über den „Fall“ kam in Gang. Gespannt hörte Hans zu. Einer behauptete, die Sache stehe sehr gut für Holzmann und verhalte sich anders, als man gelesen habe, der Entkommene sei der eigentliche Thäter. Er fand allgemeinen Glauben, man schimpfte über die Polizei, die wie immer den Unrechten gepackt und den Hauptschuldigen habe laufen lassen. Hans spürte, wie sich die Gedanken in seinem Hirne zu verwirren drohten, er starrte nur noch nach der kleinen Thür, zu welcher der Angeklagte hereingeführt werden sollte.

Die Richter nahmen ihre Plätze ein. Jetzt öffnete sich die Thür, und, geführt von einem Schutzmann, erschien Holzmann. Hans erkannte ihn sofort wieder – das war dasselbe verschmitzte Lächeln, derselbe unverschämte lauernde Blick wie damals.

Nach Eröffnung der Verhandlung wurde die Anklage verlesen und dann an Holzmann die Frage gerichtet, ob er seinen Genossen bei der That nennen wolle.

Das Blut brauste Hans in den Ohren, er glaubte, den Namen „Davis“ zu hören, und doch hatte Holzmann noch gar nicht gesprochen.

„Wie soll ich ihn denn nennen, wenn ich ihn gar nicht kenne?“ antwortete dieser jetzt laut lachend.

Das Publikum war sichtlich ärgerlich über die freche Lüge.

„Sie weigern sich also, die Wahrheit zu sagen?“ sagte der Richter, die Stirn bedenklich faltend.

„Ich kann nicht aussagen, was sich gar nicht oder vielmehr nur in der Einbildung der Herren zugetragen hat.“

Der Richter wies den Angeklagten zur Ordnung. „Noch eine solche Aeußerung und Sie werden abgeführt.“

Holzmann zuckte die Achseln. „Ich sage, was ich weiß. Ich ging in jener Nacht ziemlich spät von der Kneipe nach Hause, vom ,Schwarzen Rößl’, wenn’s die Herren interessiert – ich habe Zeugen dafür – und kam so gegen ein Uhr bei Somatsch vorbei. Der Kanal war offen, und ich wäre fast hineingefallen – natürlich, die Polizei hat andere Dinge zu thun, als für die Knochen der Bürger oder gar von unsereinem zu sorgen. In diesem Augenblick höre ich ein Geräusch, das vom Boden unter dem Juwelierladen auszugehen schien. Ich horche eine Zeit lang – da ist was los, denke ich, da geht’s an dem Somatsch seine Diamanten! – Schaust einmal nach, denke ich weiter, kriegst Du den Dieb zu fassen, wird der Somatsch sich nicht lumpen lassen, und Du kriegst zudem ein gutes Renommee und das kann Dir auch nicht schaden. Also steig’ ich am Gerüst in den Kanal hinunter, gehöre ja selber zu dem Geschäft – richtig geht da seitwärts eine Röhrenleitung unter den Laden wie in einem Fuchsbau. Vorsichtig schleiche ich mich näher, dem Geräusch zu, plötzlich – es war stockfinster – saust mir von oben herab Staub und Sand ins Gesicht, etwas stürzt über mich her, überrumpelt mich und weg war’s – ob es ein Thier, ein Mensch war, ich wußt’ es im Augenblick selber nicht. Recht ist Dir geschehen, sag’ ich mir, was kümmerst Du Dich um dem Somatsch seine Diamanten und bringst einen armen Teufel, der sich vielleicht nicht mehr zu helfen weiß, ins Elend. Ich tapp’ zurück, steig’ wieder hinauf, da hat mich schon einer am Kragen wie einen Dachs, den man mit der Zange holt – natürlich war alles Reden umsonst, ich mußte der Dieb sein! Willig ging ich mit – wird sich schon aufklären, dacht’ ich, daß Du ein ehrlicher Kerl bist. Aber man glaubt unsereinem die Ehrlichkeit nicht mehr, besonders wenn’s einmal schon einen kleinen Haken g’habt hat wie bei mir. Na, jetzt wird’s weiter keinen Anstand mehr haben, Sie wissen ja nun alles. Mein Alibi kann ich auch ausweisen, daß ich um ein Uhr aus dem ‚Schwarzen Rößl‘ fortgegangen bin. Und das werden’s doch auch nicht glauben, daß ich mich so dumm hätte fangen lassen, anstatt durchzubrennen wie der andere, wenn ich sein Kollege gewesen wäre.“

Das Erstaunen über diese Darstellung des Thatbestands war allgemein; so unwahrscheinlich dieselbe auch bei dem schlechten Leumund Holzmanns war, die Richter mußten bei sich die Möglichkeit eines solchen Sachverhalts zugeben, und das war schon ein großer Gewinn für den Angeklagten, der jetzt mit einer unschuldigen Miene dasaß und die günstige Wirkung seiner Worte beobachtete.

Im Zuschauerraum freute man sich in raschem Umschlag der Stimmung über den verschmitzten Menschen, der sich so vortrefflich aus der Schlinge zog.

Hans athmete auf und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er wußte bestimmt, daß die Erzählung Holzmanns erlogen, daß er nicht nur der Helfershelfer des Entkommenen, sondern sogar der Anstifter des Ganzen war, und doch beseelte ihn ein förmliches Dankgefühl gegen den Strolch, der durch seine Schlauheit das Furchtbarste von ihm fernhielt. Nur das eine war ihm unbegreiflich, daß er in der Falle geblieben war, während der andere entkam – er war doch der Ueberlegene, der Erfahrenere in diesem Fache … wenn der Vater wirklich der zweite Einbrecher gewesen war. Aber am Ende war dieser doch nicht dabeigewesen! Dieser freudige Gedanke rang sich immer mehr empor in Hans, so daß er der weiteren Verhandlung ruhiger folgte.

Der Vertheidiger wußte die Erzählung Holzmanns vortrefflich zu verwerthen; er hob die schwere Verantwortlichkeit hervor, einen Mann, der mit Gefahr seines Lebens beisprang, um einen Mitbürger vor Schaden zu bewahren, auf Grund einer verhängnißvollen Verkehrung der wirklichen Vorgänge als den Thäter zu verurtheilen. Das müßte geradezu verwirrend wirken und das Ansehen des Gerichts allenthalben aufs äußerste schädigen.

Zu guter Letzt brachte er als Haupttrumpf zwei Zeugen bei, welche die Anwesenheit Holzmanns im „Schwarzen Rößl“ bis um ein Uhr nachts beschworen. Der Schutzmann gebe ein Uhr zehn Minuten als die Zeit der Festnahme an, zehn Minuten seien nöthig, um von einem Orte zum anderen zu gelangen, wie hätte sich also Holzmann an dem Einbruch betheiligen können? Er war einfach ein Vorübergehender, der seine Pflicht erfüllte, außerdem noch durch die Aussicht auf Belohnung von seiten des Juweliers bewogen wurde, thätlich einzugreifen.

Die Wirkung dieser Rede, besonders des geschickt verwertheten Schachzugs mit den beiden Zeugen war die Freisprechung des Angeklagten. Holzmann verließ nach zweimonatiger Haft frei den Gerichtssaal, mit einer grinsenden höhnischen Gebärde gegen die Richter.

Auf dem Gauge, den er triumphierend durchschritt, drängten sich gute Kameraden um ihn, drückten ihm die Hand und blinzelten ihm verständnißvoll zu. Auch Hans, der Gewißheit haben wollte um jeden Preis, trat dem Manne in den Weg.

Holzmann stutzte, als er ihn erblickte, sein graues Auge ruhte durchdringend auf dem ungebetenen Besucher. Dieser wagte nicht, Holzmann vor allen Leuten anzusprechen. Man drängte sich die dunkle Stiege hinab, dort [spürte] Hans plötzlich eine Hand auf seiner Schulter.

„Wo kann ich Sie heute abend treffen? Ich habe Wichtiges mit Ihnen zu reden,“ flüsterte eine Stimme. Hans wußte, wem sie gehörte, und schauerte zusammen.

„In der ‚Fackel‘, Punkt sieben Uhr,“ antwortete er leise. Es fiel ihm kein anderer Ort ein, daher nannte er mechanisch den für ihn so verhängnißvollen Namen. Halb besinnungslos wankte er die Treppe hinab. Er war nicht darüber im Zweifel, welche Enthüllung ihm bevorstand.

Bald bereute er sein Versprechen; warum hatte er auch die Zusammenkunft gerade in die „Fackel“ verlegt, wo man, ihn und den Vater kannte, wo alle die häßlichen Erinnerungen mit neuer Stärke ihn überkommen mußten. Und heute war der wöchentliche Gesellschaftsabend bei Berry, er mußte dort erscheinen – aus der „Fackel“ zu Claire! Er war nahe daran, sein Wort zu brechen. Allein um die festgesetzte Zeit stand er doch am Eingang der Kleegasse; zögernd blieb er dort einen Augenblick stehen, dann bog er entschlossen ein.

(Fortsetzung folgt.)




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