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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

nach Paris, nachdem er sich vorher mit einer Flasche Wein, einem Gefäß mit Wasser und ein wenig Brot versehen hatte. Er kam nach zweiundsechzigstündiger Fahrt auch richtig in Paris an, wurde aber, als er seinem freiwilligen Gefängniß heimlich entschlüpfen wollte, bemerkt, verhaftet und späterhin als eine Art Sehenswürdigkeit öffentlich gezeigt. Schlimmer erging es der Sennorita Flora Angulora aus Barcelona und dem Neger Perrez, die sich gleichfalls in einer großen Kiste nach der Weltstadt an der Seine befördern ließen. Sie wurden wegen Betrugs – Hinterziehung des Fahrgeldes – und wegen Landstreicherei eingesperrt, weil die Orleansbahn und die französische Polizei kein Verständniß für diesen Spaß hatten. Trotzdem sind seitdem wiederholt Kistenreisen gemacht worden.

Andere Länder, andere Sitten! Drüben über dem „großen Teiche“, insbesondere in dem menschenarmen Gebiet des westlichen Nordamerikas giebt es zuweilen ebenfalls Reisende, die keinen Cent in der Tasche haben. Aber das thut nichts. Der richtige „Tramp“ (Landstreicher) setzt sich einfach in den Wagen und fährt mit, unbekümmert um den ihn scheu umkreisenden Zugführer; denn dieser wagt es nur selten, ihn zweimal nach dem „Ticket“ zu fragen, aus Furcht vor der unfehlbaren Rache des Menschen; nicht wenige der vielen Eisenbahnunfälle in den Vereinigten Staaten sind auf die Urheberschaft jener geächteten Menschenklasse zurückzuführen. Im schlimmsten Falle wird der Mann eben ausgesetzt und beginnt auf der nächsten Station das Spiel von neuem.

Weitaus die größte Menge „blinder Passagiere“ fährt aber ungesehen und unerkannt in den leeren Wagen der amerikanischen Güterzüge. Am 17. November 1888 kam aus diesem Anlaß in dem Staate Massachusetts ein Gewaltstreich vor, der selbst für Amerikaner unerhört ist. Eine Gruppe von nicht weniger als 22 Landstreichern hatte in einem Güterwagen der „Boston- und Albanybahn“ Platz genommen. Als die Bande durch den Stations- und die Zugbeamten daraus vertrieben werden sollte, leistete sie thätlichen Widerstand und bedrohte jene mit dem Tode. Es gelang zwar nach einiger Zeit, die Unholde von der Weiterfahrt abzuhalten, und der Zug fuhr ab; aber nun machten die Kerls kehrt und wandten sich gegen den völlig wehrlos zurückgebliebenen Stationsbeamten. Glücklicherweise fand dieser noch Zeit, um Hilfe zu telegraphieren, von der Station Springfield aus wurde alsbald auch ein Sonderzug mit sieben bewaffneten Polizisten abgelassen, und es glückte, sechs der Uebelthäter dingfest zu machen; ein siebenter wurde durch die sich zufällig entladende Schußwaffe eines Policeman getötet und sieben andere faßte man anderen Tages in dem benachbarten Orte Palmer ab. – Kein Zusammenstoß vergeht, ohne daß nicht auch der Tod verschiedener Unbekannter gemeldet wird: es sind häufig „blinde Passagiere“, die auf diese Weise in ein schreckliches Los mit hineingerissen wurden.

Am schlimmsten aber ergeht es dem „Blinden“, der sich gelüsten läßt, gratis eine Oceanfahrt auf einem Seedampfer machen zu wollen. Gelingt es ihm, bei den verschiedenen Musterungen des Schiffes unentdeckt zu bleiben, so treibt ihn schließlich der Hunger aus seinem Versteck und er wird – Kohlenzieher. In den Vorhöfen der Hölle mag ungefähr dieselbe Temperatur herrschen wie in dem Heizraum eines großen Seeschiffes; lebendigen Leibes wird solch ein armer Teufel geröstet! Und dazu wird ihm nicht einmal ein erfrischender Trank gereicht, immer nur Kaffee und Thee. Wer diese Qualen einmal durchgekostet hat, der ist gewiß für sein ganzes Leben geheilt. „Blinder Passagier“ einmal und nie wieder! B. Reinhold.     



Blätter und Blüthen

Das Denkmal Hoffmanns von Fallersleben auf Helgoland. (Mit Abbildung.) Wieder ist der 26. August herangekommen, der Tag, der für Helgoland nun schon fast zu einer Art nationalen Festtags geworden ist. Vor Jahresfrist die Grundsteinlegung zum Denkmal des Sängers von „Deutschland, Deutschland über Alles“ – heute die feierliche Enthüllung des fertigen Werkes! Auf hohem Sockel steht die Büste, welche, ein Meisterwerk Fritz Schapers, die kraftvollen, willensstarken Züge des vaterländischen Dichters so prächtig hervortreten läßt, da schaut sie hin über das Meer, von einem deutschen Strande zum andern! Was aber deutsche Herzen an solchem Tage bewegt, dem hat Emil Rittershaus den hohen dichterischen Ausdruck geliehen; in seinen schwungvollen Versen, welche der Leser auf der Seite 592 abgedruckt findet, weht ein Hauch jener Begeisterung, die einst vor einundfünfzig Jahren jenes Lied von „Einigkeit und Recht und Freiheit für das deutsche Vaterland“ auf dem einsamen Felseneiland der Nordsee entstehen ließ.

Das Denkmal für Hoffmann von Fallersleben auf Helgoland.
Von Fritz Schaper.

Auf dem Platze, welchen das Denkmal schmückt, steht auch das neue Konversationshaus, welches die Gemeindevertretung von Helgoland diesen Sommer durch den Hamburger Architekten F. H. Schmidt hat errichten lassen. Die gefälligen Formen dieses Bauwerks geben einen hübschen Hintergrund für das Denkmal des Dichters, und der Fremde, welcher Helgoland betritt, lernt die Insel sofort von ihrer gewinnendsten Seite kennen.

Die Drahtseilbahn. (Mit Abbildung S. 608.) In ihrer ursprünglichen Form dienten die Drahtseilbahnen fast ausschließlich zum Bergabfördern von Erzen, Erdreich und dergleichen; allmählich ist aber die Verwendung derselben mannigfacher und ihre Einrichtung vollkommener geworden. Früher war einfach ein mit den Enden aneinandergespleißtes Seil über zwei Endrollen geschlungen, von welchen aus es in seiner Längsrichtung voran bewegt wurde; an dieses Seil wurden die Förderwagen einfach aufgehängt, und wenn dann die vollen zu Thal fuhren, zogen sie zugleich die leeren zu Berg. Jetzt hat man die Einrichtung verbessert; man verwendet verschiedenartige Seile, deren eines, das schwerere Tragseil, doppelt vorhanden und auf Pfosten hoch in der Luft dauernd gelagert ist. Diese Seile dienen ausschließlich zum Tragen der Förderwagen, während einem zweiten, leichteren Seile, dem Zugseile, ausschließlich die Ertheilung der Vorwärtsbewegung zufällt. Dieses ist um zwei wagerecht stehende Rollen geschlungen und stets in Bewegung den Tragseilen entlang. Letztere sind mit dem einem Ende fest mit dem Gerüste verbunden; das andere Ende ruht in einer elastischen Spannvorrichtung, damit die erforderliche Nachgiebigkeit gesichert sei.

Während die Seilbahnen bisher nur zur Güterbeförderung bestimmt waren, hat ein Berliner Vergnügungslokal, „Die neue Welt“, zur Unterhaltung und zur Beförderung seiner Gäste eine Drahtseilbahn angelegt. In einer kühnen, nahezu 120 Meter langen Spannung vermittelt diese Bahn zwischen zwei Stationsthürmen den Verkehr über den „See“ hinüber. Unsere Abbildung zeigt, wie die leichten zierlichen, für je zehn Personen bestimmten Wagen hoch oben durch die Luft schweben. Die Stelle der üblichen Räder wird hier durch je zwei Paare von Rollen vertreten, welche am Rande passend zur Seildicke ausgedreht sind. Diese Rollen sind in eisernen Rahmen gelagert und laufen über die Tragseile, während die Voranbewegung von dem dünnen Zugseil bewirkt wird, an welches der Rollenrahmen angeschlossen wird. Nunmehr geht gleichzeitig ein Wagen hinüber und herüber. Die hierzu erforderliche Kraft wird von einem Gasmotor geliefert.

In der links befindlichen Nebenzeichnung sieht man den in einem der Stationsthürme untergebrachten Maschinisten, wie er als „Direktor von’s Janze“ die Bremse handhabt, mit der „Halt“ kommandiert wird, sobald die Wagen an ihren Stationen angekommen sind.

Die Seilbahn dient hier dem Vergnügen; sie liefert aber auch den Beweis für die praktische Brauchbarkeit solcher Anlagen für das Verkehrswesen. Zur Ueberbrückung von Flüssen, Thälern, Schluchten, insbesondere auch für militärische Zwecke, soll die Seilbahn außerordentlich geeignet sein, da ihr Bau schnell und billig fertigzustellen ist und die Ueberwindung von Schwierigkeiten in der Bodengestaltung hier nur eine untergeordnete Rolle spielt. Man vermuthet, daß ähnliche Bahnen bald in größerer Zahl eingerichtet werden; unter anderem sind solche Anlagen geplant über den Rhein bei Düsseldorf und über die Aare bei Bern.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 609. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_609.jpg&oldid=- (Version vom 30.12.2022)