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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

im wilden Schächenbach untergehen lassen. Uhland hat diesem Zuge der Sage Worte geliehen in der schönen Romanze „Tells Tod“.

„Doch als nun ausgestoßen
Die Fluth den toten Leib,
Da stehn um ihn, ergossen
In Jammer, Mann und Weib;

Als kracht in seinem Grunde
Des Rothstocks Felsgestell,
Erschallt's aus einem Munde:
„Der Tell ist tot, der Tell!“

H. a. Rh. 

Die Kriegergräber bei Metz. Jetzt, da die Tage der großen Schlachten um Metz wieder sich gejährt haben, möge auch wieder auf die verdienstvolle „Vereinigung zur Schmückung und fortdauernden Erhaltung der Kriegergräber und Denkmäler bei Metz“ das Augenmerk gelenkt werden! Wie wir bereits früher mitgetheilt, hat sie neben der in ihrem Namen ausgedrückten Aufgabe auch die Pflicht übernommen, alle auf die Kämpfe um Metz bezüglichen Erinnerungen, welche zur Bereicherung der Kriegsgeschichte dienen können, zu sammeln und aufzuzeichnen, sowie darauf hinzuwirken, daß alle über jene entscheidenden Ereignisse um die lothringische Feste erschienenen und noch erscheinenden Werke, Abhandlungen etc. der Stadtbibliothek Metz einverleibt und daß Fundsachen und sonstige Erinnerungszeichen aus dem Kriege dem städtischen Museum Metz zugewendet werden.

Insbesondere soll zunächst die Sammlung der über die Kämpfe um Metz erschienenen Werke in Angriff genommen werden, und es ergeht deshalb an alle, die hierzu in der Lage sind, namentlich an Verfasser, Herausgeber und Verleger seitens des Vorstandes der obengenannten Vereinigung die Bitte, ihn bei diesem Vorhaben mit Rath und That unterstützen zu wollen.

Die dem Andenken an die großen Kriegsereignisse gewidmete Litteratur, an historischer Stätte zu einem Ganzen vereinigt, soll auf diese Weise als dauerndes Denkmal der Nachwelt überliefert werden.

Erdbebenschrift. Japan zählt zu den Ländern, in denen Erdbeben häufig vorkommen. Seitdem die alte „Goldinsel“ der europäischen Kultur Thür und Thor geöffnet hat, zählt sie auch zu den Gebieten, in welchen das furchtbare Naturereigniß von europäischen und einheimischen Forschern mit Hilfe sinnreicher Apparate ständig beobachtet wird. So geschah es auch, daß Japan das erste Land war, welches einige auf Papier gezeichnete Striche vorlegen konnte, die von des Erdbebens eigener Hand niedergeschrieben worden waren!

In Tokio wurde nämlich vor einem Dutzend Jahre ein Wagnerscher Erdbebenmesser aufgestellt. Derselbe zeichnet sich vor anderen dadurch aus, daß er nicht nur die Zeit und die Richtung des Stoßes selbstthätig mit einem Stifte auf Papier niederschreibt, sondern auch in etwas vergrößertem Maßstabe die Größe der Bewegung angiebt, welche die Erdoberfläche erleidet.

Die erste Erdbebenschrift, welche auf diesem Wege am 25. Juli 1880 in Tokio erhalten wurde, stellt obenstebendes Autograph dar. – Melchior Neumayr erklärt diese Schriftzüge in seiner trefflichen „Erdgeschichte“ mit folgenden Worten:

„Wir sehen um 2 Uhr 31/10 Minuten die Erschütterung mit einigen leisen Zuckungen beginnen und einen etwas stärkeren Stoß folgen, bei dem die Horizontalbewegung der Erdoberfläche 1/2 mm betrug. Nach wenigen leichten Schwingungen folgte wieder ein merklicher Stoß mit 1 mm Erdbewegung, der 1/2 Minute nach Beginn der Erschütterung eintrat, dann 48 Sekunden hindurch nur leichte Schwingungen, auf welche der stärkste Stoß mit 1,67 mm Bodenbewegung erfolgte. Ihm schlossen sich wieder lebhafte Vibrationen an, mit deren Einschlusse das ganze Erdbeben gerade 2 Minuten dauerte, wie es obenstehend von des Erdbebens eigener Hand geschrieben zu sehen ist.“ *      

Ein Knabe als Erfinder. Es ist eine durch mannigfache Beispiele belegte Thatsache, daß große Erfindungen sehr häufig nicht das Ergebniß sorgfältiger, von Stufe zu Stufe fortschreitender Forschung waren, sondern der Welt durch einen Zufall gleichsam in den Schoß geworfen wurden. Man kennt die Geschichte von den zuckenden Froschschenkeln an den Drahthaken Luigi Galvanis, welche zur Entdeckung des galvanischen Stromes führten. Daß aber ein Knabe infolge natürlicher Unlust an mechanischer Beschäftigung und ebenso natürlicher Lust an kindlichem Spiel eine weltbewegende Erfindung macht, das dürfte in der Geschichte der Entdeckungen doch einzig dastehen. Der Knabe, dem dies gelang, hieß Humphrey Potter.

Zu Anfang des vorigen Jahrhunderts waren in den Bergwerken von Cornwallis in England bereits Dampfmaschinen zum Heben von Wasser in Gebrauch. Es waren dies die Newcomenschen atmosphärischen Motoren. Der Dampf trat durch Oeffnen eines Hahnes von unten her in einen senkrecht stehenden, oben offenen Cylinder und hob den darin befindlichen Kolben. Dieser stand durch eine Kette in Verbindung mit dem einen Ende eines Wagebalkens, an dessen anderem Ende das schwere Pumpengestänge hing. Beim Steigen des Kolbens sank das Gestänge in den Schacht herab, und das Wasser trat schließlich über die Klappen des Pumpenstiefels. Nun wurde aus einem Behälter durch Oeffnen eines zweiten Hahnes kaltes Wasser in den Cylinder eingelassen, infolge dessen hier eine Verdichtung des Dampfes zu Wasser eintrat und die Atmosphäre den Kolben in den luftleeren Cylinder hineindrückte, während auf der andern Seite das Gestänge mit dem über der Pumpe befindlichen Wasser emporgehoben wurde. Sobald der Kolben am untersten Ende des Cylinders anlangte, wurde ein dritter Hahn geöffnet zum Ablassen des im Cylinder angesammelten Wassers, wonach wieder das Oeffnen des Dampfhahnes erfolgte und das Spiel von neuem begann. Für das rechtzeitige Oeffnen und Schließen der drei Hähne war ein Wärter angestellt, welcher vermittelst eines Hebelwerks diese Aufgabe mit großer Sorgfalt und Aufmerksamkeit zu besorgen hatte.

Auch der kleine Potter war gegen einen bescheidenen Tageslohn als Hahndreher an einer Newcomenschen Dampfmaschine angestellt, indessen wurde ihm bald die geisttötende Beschäftigung zum Ueberdruß, und es erwachte in ihm der Wunsch, die Maschine sich selbst bedienen zu lassen, um inzwischen ohne Pflichtverletzung den Spielen seiner Kameraden nachgehen zu können. Sein aufgeweckter Geist ließ ihn bald ein Mittel ausfindig machen, den angestrebten Zweck zu erreichen. Eines Tages versah er sich mit einer Anzahl starker Stricke, und während er einen Freund für kurze Zeit das Drehen der Hähne besorgen ließ, kletterte er zum Wagebalken hinauf, befestigte an angemessenen Stellen der beiden Balkenhälften die Stricke und umschlang dann mit deren unteren Enden die Hebel, mittels deren die drei Hähne, jeder zu seiner Zeit, in Bewegung gesetzt wurden. Und siehe da, die Maschine arbeitete mit früher nie erreichter Regelmäßigkeit, und Humphrey Potter konnte sich nun mit viel angenehmeren Dingen, vornehmlich mit Murmelspielen, beschäftigen.

Die Ingenieure, welche bald darauf die neue selbstthätige Vorrichtung in Augenschein nahmen, waren über die geniale Anordnung aufs höchste erstaunt; sie ersetzten alsbald die verschiedenen Stricke durch metallene Zugstangen, und der wichtigste Schritt in der Vervollkommnung der Dampfmaschinen, die selbstthätige Steuerung, war gelungen. Die später von James Watt ersonnenen Vorrichtungen für die Dampfvertheilung, sowie die neueren Expansionssteuerungen sind nur Weiterbildungen der Idee, welche im Jahre 1718 dem Kopfe eines Knaben entsprang. M. P.     

Kasperletheater. (Zu dem Bilde S. 601.) Draußen auf den Wiesen vor dem Thore des alten Städtchens ist heute fröhliches Kinderfest, und in hellen Scharen tummelt sich die Jugend beiderlei Geschlechts. Mancherlei zieht sie an, Wettspiele mit Preisvertheilung, Kunstreiter und Karussell, Musik und fliegende Luftballons in allen Größen. Am meisten aber doch immer wieder das schmale bescheidene Zelt mit seinem Orgelwagen und dem grinsenden Affen davor. Es ist das Kasperletheater. In athemlosem Entzücken lauschen sie den bombastischen Reden des bösen Ritters Bodo, der die schöne Prinzessin Iselgunde rauben wollte, es aber nicht fertig brachte, weil Kasperle, der Treue, im richtigen Augenblick noch mit seinem Prügel und seinen Späßen dazwischen fuhr. Das Spiel ist so fesselnd und belustigend, daß auch manches der Herren Eltern nicht ungern vor der Bude des Kasperle ausharrt und in selbstvergessener Aufmerksamkeit mit dem eigenen Sprößling wetteifert.

Von der Geburtsstätte des Champagners. Die 500000 Teufel, von denen Oettinger in seinem bekannten Champagnerlied singt, werden nicht durch einen leichten und bequemen Zauberspruch in die Flaschen gebannt: es bedarf dazu sehr vieler Mühe und Arbeit in den unterirdischen Räumen, die gleichsam die Geburtsstätte des weltberühmten Weines sind.

Der Most der rothen und weißen Trauben wird, nach der Ausquetschung durch eiserne Pressen, in Fässer gefüllt, wobei seine Gährung sorgsam überwacht wird. Dann bleiben die geschlossenen Fässer bis zum Sommer liegen, worauf die eigentliche Bereitung des Champagners beginnt.

In den Kreidehügeln von Châlons, Epernay, Rheims ziehen sich meilenweit die Kellereien hin, oft in drei unterirdischen Stockwerken übereinander mit verschiedenen Temperaturgraden; Treppen, Fahrstühle, Aufzüge, schiefe Ebenen verbinden diese fast durchweg mit elektrischem Lichte beleuchteten Stockwerke. In diesen Kellern beginnt das Verstechen und Verschneiden, die Vermischung verschiedener Lagen und Rebensorten. Davon hängt besonders die Güte des Champagners und der Unterschied der verschiedenen Marken ab. Diese Mischungen sind ein streng bewahrtes Geschäftsgeheimniß. Dann werden sie mittels Hausenblase geklärt; der geklärte Wein wird in frische Fässer geschüttet und im April oder Mai auf Flaschen gezogen mit einem kleinen Zuckerzusatz.

Nun beginnen die Teufelchen erst ihr Höllenwerk! Die Gährung ist im Fasse nicht vollendet, sie vollendet sich erst in den Flaschen; doch so sorgfältig diese auf ihre Stärke geprüft werden: der gährende Wein zersprengt acht bis sechzehn Prozent der Flaschen, die wagerecht nebeneinander gelagert sind. In schlechten Kellereien sind die Geister des Weins noch ungebärdiger und es zerplatzt oft die Hälfte aller Flaschen. Aber der ausfließende Wein wird durch wasserdichte schiefe Rinnen in ein großes Faß geleitet, aus dessen Inhalt ein ausgezeichneter Weinessig fabriziert wird, wenn man ihn nicht zur Auffüllung geringerer Champagnersorten benutzt.

Die Flaschen selbst, die auf einer Art von Pult mit dem Kopfe nach unten aufgestellt werden, schüttelt ein von Gestell zu Gestell gehender Arbeiter zweimal jeden Tag, wobei sich Hefe und Unreinigkeiten auf dem Pfropfen ablagern.

Nach zehn bis zwölf Monaten werden die Flaschen entkorkt, wobei die Kohlensäure alle Unreinigkeiten mit sich fortnimmt, dann rasch wieder geschlossen, noch einmal geöffnet, damit ein Likör eingefüllt werden kann, der dem Weine seine Süßigkeit, Schwere und Färbung giebt und dessen Beschaffenheit zu den Geheimnissen der einzelnen Firmen gehört – meistens besteht er aus einer Zuckerauflösung mit Cognak und altem Weine – dann erst wird mit der Stöpselmaschine ein neuer dichter, mit dem Brandzeichen der Firma versehener Kork in die Flasche eingetrieben und mit Bindfaden und geglühtem Eisendraht verschnürt, worauf Kopf und Hals mit Stanniol überzogen und die Etiketten aufgeklebt werden. Jetzt erst sind die Teufelchen des Champagners fest eingekerkert, bis man ihnen erlaubt, den Pfropfen zu sprengen, lustig schäumend die Gläser zu füllen und mit ihrem Sprühfeuer die Geister anzuregen.  

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 611. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_611.jpg&oldid=- (Version vom 10.4.2024)