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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

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Sprechendes Wachs und lebendes Papier.

Edisons neueste Erfindungen.
Von Dr. M. Wilhelm Meyer.

Als ich im vorigen Winter nach New-York berufen wurde, um die beiden ersten unserer dekorativ ausgestatteten Vorträge der „Urania“ in der dortigen sogenannten „Music-Hall“ einrichten zu helfen, erachtete ich es zunächst nur als eine Pflicht der Form gegenüber Edison, welcher eines der drei einzigen Ehrenmitglieder der „Urania“ ist, ihm meine Ankunft auf amerikanischem Boden anzuzeigen und meine Bereitwilligkeit mitzutheilen, ihm den unserer Anstalt seiner Zeit gemachten Besuch zu erwidern.

Ich glaubte kaum, daß ich in Wirklichkeit Gelegenheit haben würde, den berühmten Erfinder in seinem Laboratorium in Orange begrüßen zu können, da es bekannt ist, wie sehr derselbe geschäftlich in Anspruch genommen ist und Besuche scheut, die in den meisten Fällen nur einer Befriedigung der Neugierde dienen sollen.

In der That liefen, obgleich Edison sofort bereitwillig darauf einging, mich in seinem Laboratorium zu empfangen, nicht weniger als sechs Wochen lang fast täglich Briefe, Telegramme oder telephonische Mittheilungen zwischen Orange und New-York hin und her, ehe der rechte Augenblick zu der Zusammenkunft gefunden war.

Ich hoffe, daß es die Leser der „Gartenlaube“ wohl interessieren wird, wenn ich einiges von den Eindrücken erzähle, welche ich von dem volksthümlichsten Erfinder der Gegenwart empfing, und ganz besonders auch wird es erwünscht sein, etwas Bestimmteres über die neueste Erfindung Edisons, den sogenannten „Kinetographen“, zu hören, über welchen vor einiger Zeit sehr dürftige, meistens entstellte und deshalb mit Recht vielfach verdächtigte Mittheilungen durch die Zeitungen gingen.

Das Wort „Kinetograph“ bedeutet einen die Bewegungen darstellenden Apparat, und seine Aufgabe ist es, nachdem der „Phonograph“ die Sprache und die musikalischen Töne lebendig wiedergegeben hat, nun auch die Bewegungen des Lebens, die sprechende, singende, musizierende Person zugleich dem Auge in allen ihren Bewegungen naturgetreu vorzuführen. Man erlaube mir jedoch, ehe ich im besonderen hierauf eingehe, von dem Erfinder selbst etwas zu erzählen.

Schon als er uns im September 1889 in der „Urania“ besuchte, machte sein ungemein bescheidenes, stilles, einfaches Wesen einen durchaus anderen Eindruck, als man ihn sich wohl aus manchen ungeheuerlichen Reklamen zu bilden geneigt ist, die den Namen Edisons unaufhörlich durch alle Welt posaunen. Es ist nämlich im Publikum wenig oder gar nicht bekannt, daß Edison mit den Hunderten von industriellen Gesellschaften, welche, in der ganzen Welt verbreitet, seinen Namen tragen, persönlich, geschäftlich fast nie irgend etwas zu thun gehabt hat. Edison ist von Finanzkorporationen, in deren Leitung der bekannte Eisenbahnkönig Villard in den letzten Jahren eine hervorragende Rolle spielte, geschäftlich vertreten, das heißt, er verkauft an diese Gesellschaften seine Erfindungen mit der Verpflichtung, alle Verbesserungen und Neuerungen denselben zuerst anzubieten, welche sie eventuell geschäftlich ausbeuten; dafür zahlen sie ihm außer einem bestimmten festen Satze Prozente an Aktien und Bonds. Auf das geschäftliche Verfahren dieser Gesellschaften hat Edison durchaus keinen größeren Einfluß als irgend ein anderer Aktionär. In mehreren Gesellschaften war er ab und zu Vicepräsident oder Direktor (honoris causa). Er hat niemals zu irgend welchen ungeheuerlichen Reklamen die Hand geboten, würde sie aber auch andererseits niemals verhindern können, da die Herren Zeitungsberichterstatter in Amerika Edisons Name gern dazu benutzen, um auf dem Gebiet der Erfindungen aus einer Fliege einen Elefanten zu machen. Edison selbst erfährt es kaum, was über ihn veröffentlicht wird, und wundert sich darüber, wenn man über seine Pläne und Entdeckungen besser als er selbst Bescheid weiß. Eine ergötzliche Geschichte, die sich während seines Besuches in der „Urania“ abspielte, mag dies näher erläutern.

Der Phonograph war aus Tausenden von Zeitungsartikeln bereits weltbekannt, während sich nur wenige Exemplare davon in Europa befanden, da die Edisonkompagnie dieselben noch nicht verkaufte. Oeffentlich waren die Wunderleistungen des zauberhaften Instrumentes damals nur auf der Pariser Ausstellung zu vernehmen und erregten dort begreiflicherweise das allgemeinste Staunen.

In der That giebt es wohl kein anderes von der Hand des Menschen gefertigtes Werk, welches so unmittelbar auf Gemüth und Seele wirkt wie eben der Phonograph. In unserer Sprache, in unserem Gesang liegt ja unsere ganze Seele, und nirgends kommen unsere inneren Bewegungen reiner, unmittelbarer zum Ausdruck als in der Musik, die der neue Phonograph in allen Klangfarben so wunderbar getreu wiedergiebt. Nicht selten habe ich deshalb am Phonographen, wenn ich beispielsweise Gelegenheit hatte, die Stimme fern weilender Angehöriger mit ihrer ganzen unmittelbaren Lebendigkeit wirken zu lassen, Männer mit ihrer Rührung kämpfen sehen, und nun gar Frauenthränen benetzen den Phonographen alltäglich. Es ist etwas Entzückendes und zugleich unheimlich Menschliches in dem Phonographen. Man muß sich zurückhalten, um nicht auf Fragen, die einem von bekannter Stimme aus ihm entgegentönen, sofort zu antworten. Und als ich im letzten Winter eine von mir besprochene phonographische Walze als Brief für meine Frau und meinen fünfjährigen Knaben nach Europa herüberschickte – einen Brief für einen Knaben, der nicht lesen kann, aber ihn doch besser als der Erwachsene alles Geschriebene verstand – da suchte derselbe überall im Zimmer herum und wollte es sich durchaus nicht nehmen lassen, zu glauben, daß der Papa zurückgekehrt sei und sich im Zimmer versteckt habe.

Man entschuldige diese kleine persönliche Abschweifung; ich komme auf den Besuch Edisons in der „Urania“ zurück. In Paris hatte ich wohl die ersten Exemplare des neuen Phonographen kennengelernt, es war aber unter keinen Umständen möglich gewesen, eines davon zu erwerben. Als nun Werner von Siemens, dessen Gast Edison in Berlin war, den Besuch des letzteren uns ankündigte, ließ ich in unserer physikalischen Sammlung recht sichtbar ein damals noch bei uns befindliches Exemplar des alten Phonographen aufstellen, bei welchem bekanntlich die Schwingungen der tonempfindlichen Membran ihre Eindrücke auf Staniol zurücklassen. Dieses Instrument arbeitete noch sehr undeutlich und musikalisch höchst unschön, nur die unverwüstlichen Trompetenklänge, welche hineingeblasen wurden, kamen mit einiger Naturtreue wieder zurück. Die menschliche Sprache war näselnd und unverständlich und machte einen komischen, wenn nicht peinlichen Eindruck.

Als Edison unseren Physiksaal durchwanderte, fiel denn auch sein Auge sehr bald auf dieses veraltete Instrument. Ein halb wehmüthiges, halb verschämtes Lächeln umspielte dabei seine Lippen.

Ich erlaubte mir, ihn ganz naiv zu fragen, ob er das Instrument wohl kenne. Er erwiderte recht kleinlaut, daß er nicht leugnen könne, es selbst konstruiert zu haben.

„Aber,“ setzte er sehr erfreut hinzu, indem er meinte, etwas ganz Neues mitzutheilen, „ich habe jetzt einen besseren Phonographen gemacht,“ und begann nun ganz ausführlich dessen Vorzüge zu erklären, daß nämlich bei dem neuen Phonographen das Staniolblatt durch eine Walze aus einer besonders zubereiteten, ziemlich harten Wachsmasse ersetzt sei, und daß die Eindrücke auf diese nicht mit einem spitzen Stifte, sondern mit einem fast mikroskopisch kleinen, äußerst scharfen, runden Messer eingegraben würden, und daß endlich die Walze statt durch die stets unsichere Hand durch einen eigens dazu hergestellten, sich selbst regulierenden Elektromotor gedreht würde.

Ich unterbrach ihn in diesen Erklärungen mit der seufzend hervorgebrachten Versicherung, das neue Instrument von Paris her wohl zu kennen. Leider hätte ich aber keinen Weg finden können, ein Exemplar desselben für unsere Gesellschaft käuflich zu erwerben.

Diese Erklärung hatte einen unvermutheten Erfolg. Wir hatten ja selbstverständlich nichts anderes erwartet, als daß Edison unsere Bestellung auf einen Phonographen neuester Konstruktion begünstigen werde. Das geschah nicht; dagegen erhielten wir etwa einen Monat später zwei Exemplare als persönliches Geschenk von ihm. Diese selben Exemplare sind noch heute in unausgesetzter Thätigkeit und haben bereits Hunderttausende in unserer Anstalt erfreut.

In New-York erfuhr ich inzwischen, daß der Phonograph

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 624. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_624.jpg&oldid=- (Version vom 11.4.2024)