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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)


von Ausgräbern planlos durchwühlt worden war. Ein Engländer, Mr. Flinders Petrie, bekannt durch seine überaus glücklichen Funde auf ägyptischem Boden, war der letzte gewesen, welcher vor zwei Jahren die ausgedehnte Gräberstadt nicht ohne gute Erfolge durchsucht hatte. Unter solchen Umständen blieb es das Gerathenste, auf gut Glück hin die Ausgrabungen auf den freien Plätzen zwischen den Hügeln zu beginnen und die Erfolge abzuwarten.

Ich konnte mich vom ersten Tage meiner Versuche an nicht beklagen, denn die unerwartetsten Funde traten zu Tage, und die Erde öffnete ihren Schoß, um mir Mumien mit buntbemalten oder vergoldeten Masken, vor allem aber solche mit Porträtbildern zu überliefern. Meine freudige Ueberraschung steigerte sich aber gleichzeitig, als sich unter den Bildnissen nicht nur solche zeigten, welche in enkaustischer Manier auf Holz gemalt waren, sondern auch mehrere, welche die unbekannten Künstler mit Hilfe von Temperafarben auf Leinwand hingeworfen hatten, darunter Frauenköpfe von auffallender Frische und Schönheit, die Augen groß, das Haar reich frisiert und die Wangen von lieblicher Röthe. Das waren nicht die Abbilder von Leichengesichtern, die mich aus dem Sande anstarrten, sondern lebenswarme Züge, die mir aus ihrem zweitausendjährigen Versteck im Boden der Wüste entgegenzulächeln schienen. Jeder neue Fund führte zu einer neuen Aufregung, und die Spannung wuchs in dem Grade, als der Zufall sein loses Spiel trieb. Die vornehmeren Mumien waren größtentheils von Rosengewinden oder sonstigem Blumenschmuck umgeben, wenigstens fehlte niemals ein Rosenkranz, während die zu den ärmeren Klassen der Bevölkerung gehörenden masken- und bilderlosen Leichen nur in selteneren Fällen von den Kindern der Flora ihren gebührenden Antheil erhalten hatten. Aus dem Schatze dieser Funde von Hawara geben die beiden Bilder auf S. 629 eine Probe.

Die vorhin erwähnten Porträtbilder auf Leinwand liefern zum ersten Male Beispiele dieses Genres aus den Zeiten des Alterthums und können zugleich als Bestätigung für die von Plinius überlieferte Nachricht dienen, daß Kaiser Nero sich in ganzer Gestalt mit der kolossalen Höhe von 120 Fuß auf Leinwand habe malen lassen. Und namentlich findet diese Angabe, nur von der kolossalen Größe der Darstellung abgesehen, eine merkwürdige Bestätigung durch eine altägyptische Leinwand, die einst als äußere Mumienhülle diente und auf welcher die betreffende männliche Person in ganzer Figur und in der Tracht ihrer Zeit sich dem Beschauer zeigt. Das merkwürdige Bild, ein Unikum in seiner Art, ward bei einer Mumie in den Gräbern von Saqqarah, also auf dem Gebiet der ehemaligen Totenstadt von Memphis, aufgefunden und von mir für die Königlichen Sammlungen in Berlin in diesem Jahre an Ort und Stelle erworben. Daß es dereinst in der Geschichte der malenden Kunst eine hervorragende Rolle spielen wird, darf mit Recht schon jetzt vorausgesetzt werden. Vielleicht sind ähnliche Funde an denselben Oertlichkeiten der Zukunft noch vorbehalten.

Es ist nicht anzunehmen, daß die beschriebenen Bilder, Köpfe sowohl als in ganzer Gestalt ausgeführte Personen, ägyptischen Künstlern ihre Entstehung verdanken. Schon die Darstellungen in Vorderansicht sprechen dagegen, da die ägyptischen Meister, Bildhauer wie Maler, nur Profilbilder auf Grund gewisser Proportionen zu schaffen verstanden. Müssen wir auch die von Plinius bestrittene Angabe, daß die Anfänge der Malerei bei den Aegyptern zu suchen seien, ihrem vollen Umfang nach aufrecht erhalten, so steht es andererseits ebenso fest, daß sich der ägyptische Künstler niemals der idealen Freiheit in der Kunst bewußt war, sondern unter dem Zwange altherkömmlicher priesterlicher Vorschriften seine Arbeiten gleichsam handwerksmäßig fertigte. Daß von den Zeiten an, in welchen ihm griechische Vorbilder als Muster entgegentraten oder griechische Künstler und Lehrer seine Hand leiteten, eine Wandlung zum Besseren eingetreten sein könnte, läßt sich in keiner Weise vermuthen, vor allem nicht mit Bezug auf die Zeit des zweiten und dritten Jahrhunderts nach Christus, in welcher die Bildermumien plötzlich in den Vordergrund traten.

Hierzu tritt ein anderes schwerwiegendes Zeugniß. Beschriebene Steine nach Art unserer Leichensteine und mit Schrift bedeckte Papyrusstücke, welche gelegentlich in der unmittelbaren Umgebung der Bildermumien aufgefunden worden sind, lassen nur griechische Buchstaben und griechische Sprache bis zu den Eigennamen hin erkennen, so daß es sich der Hauptsache nach um griechische Einwohner aus dem Fayum handelt, welche nach ägyptischer Weise mumifiziert und bestattet wurden. Auch sonst liegen für diesen Brauch ganz bestimmte Beweise vor. Fast in allen europäischen Museen, in welchen ägyptische Alterthümer zur Schau ausgestellt sind, befinden sich Leichen von Griechen und Römern – die Sarginschriften lassen darüber auch nicht die leisesten Zweifel bestehen – die in einzelnen Städten Aegyptens gelebt hatten, oft in vornehmen Stellungen als höchste Beamte der Regierung, und nach ihrem Tode ganz nach ägyptischer Weise einbalsamiert und mumienhaft behandelt worden waren.

Trat der Aegypter in diesen Fällen als wohlgeübter Leichenbesorger ein, so war es im Gegensatz zu ihm der griechische Künstler, welcher die Bildnisse der Verstorbenen auf eine Holztafel oder ein Leinwandstück von entsprechender Größe malte, und zwar mit einer kunstgerechten Technik, wie sie dem Aegypter vollständig unbekannt war. Eine Sammlung derartiger Bilder, von denen noch Tausende im Boden der Erde verborgen liegen – eine von mir entdeckte Totenstadt ist überhaupt noch unberührt geblieben – dürfte eines der sehenswerthesten Museen für die griechische Porträtmalerei bilden, soweit sich die ältesten Spuren derselben überhaupt verfolgen lassen. Vielleicht daß in Deutschland die Mittel dazu aufgebracht werden, um eine Sammlung der beschriebenen Art ohne Zeitverlust ins Leben zu rufen, ehe uns andere Nationen mit dem Antritt eines so kostbaren Erbes der Vorzeit zuvorkommen.

Ich will zum Schlusse einen Punkt berühren, der mich während meiner Ausgrabungen aufs lebhafteste beschäftigt hat und jedem Leser dieser Zeilen in gleicher Weise nahetreten muß. Er betrifft die Frage, ob die namenlosen Maler ihre Aufträge erst nach dem Hinscheiden eines Familienmitgliedes ausführten, ob sie nach dem Leben gemalte Originale benutzten, oder ob diese Originalbilder nach dem Tode einer geliebten Person gleichsam von der Wand genommen und auf der Gesichtsstelle ihrer Mumien in der oben beschriebenen Weise angebracht wurden.

Die Bilder weisen mit aller Deutlichkeit auf die verschiedensten Lebensalter hin, vom jungen Manne an bis zum weißbehaarten Greise: darüber lassen Zeichnung, Kolorit und der allgemeine Gesichtsausdruck auch nicht die geringsten Zweifel übrig. Nur bei Kindern tritt ein auffallender Unterschied hervor. Ihre Bilder sind, wie man zu sagen pflegt, über einen und denselben Leisten geschlagen. Das kindliche Gesicht ist durchweg nach demselben Schema, und zwar in nichts weniger als sauberer Temperamanier durchgeführt, wie etwa ein flüchtiger Entwurf aus dem Gedächtniß und nach eigener Phantasie des Malers. Die Lebenswahrheit, wie sie sich in den Zügen der erwachsenen Personen ausprägt, tritt bei den Kindergesichtern vollständig in den Hintergrund. All mein Nachdenken reicht nicht aus, diesen Unterschied anders als in der folgenden Weise zu erklären.

Was Plinius in dem Abschnitt über die Malerei so sehr bedauert, daß zu seiner Zeit die Porträtierung ganz in Vergessenheit gerathen und die gute alte Sitte aufgegeben sei, in den Häusern die Bilder der lebenden Familienmitglieder aufzubewahren, das hatte in Aegypten im griechischen Familienleben bis in das dritte Jahrhundert hinein seinen Fortbestand, ja die alte Sitte wurde sogar eifrig gepflegt. Bei dem Tode einer erwachsenen Person wanderte das Bild auf die Mumie, um mit derselben vereinigt auf längere Zeit im Hause zu bleiben und schließlich nach der Totenstadt befördert zu werden. Die Kinder im Hause, deren Bedeutung für das Leben erst die spätere Zukunft bieten konnte, ließ man einfach unbeachtet und schloß ihre Bildnisse vorläufig aus. Bei ihrem frühen Tode standen dem Maler also keine Vorlagen zu Gebote, ihr Konterfei nach dem Leben auf Holz oder auf Leinwand in sauberer Ausführung zur Darstellung zu bringen. Er schuf deshalb mehr oder minder flüchtig gemalte Phantasiestücke, die sich beinahe wie ein Ei dem andern gleichen und in ihrer Art mit den ausdruckslosen Engelsköpfchen auf mittelmäßigen Bildern unserer älteren Malerschulen zusammengestellt werden können. Die Vorstellung, daß die Bilder von erwachsenen Personen erst nach dem Tode derselben gemalt worden seien, trägt die größte Unwahrscheinlichkeit in sich, denn wer die besseren Porträtbilder mit ihrer vollen Charakteristik gesehen hat, muß jeden Gedanken daran beiseite schieben. Unter solcher Annahme würden ähnliche Bildnisse wie bei den Kinderporträts entstanden

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 631. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_631.jpg&oldid=- (Version vom 12.4.2024)