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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

einnahm und in der Geschichte desselben für immer einnehmen wird.

Neben dieser leidenschaftlichen „Naturalistin“, wenn man diesen Ausdruck gebrauchen darf, neben dieser Darstellerin, bei der alles Eingebung des Genies war, ist Klara Ziegler als die stilvollste Heroine unseres deutschen Theaters zu betrachten. Alles, was sie schafft, ist in großen Linien ausgeführt, ihre mächtige Erscheinung, der Vollklang ihres Organs, ein gewisser majestätischer Faltenwurf ihres Spiels erinnern uns stets an das Bild der Melpomene selbst; es ist, als ob die Göttin der Tragödie in lebensvoller Gestalt vor uns hinträte. Klara Ziegler hat die großen Rollen in getragenem dichterischen Stile stets vor den Aufgaben, welchen etwas Zersetzendes, Auflösendes, geistig Zerklüftetes oder eigenartig Ungewöhnliches beigemischt ist, bevorzugt. So spielt sie bei ihren Gastspielen lieber die Brunhild Geibels als diejenige Hebbels, welche allerdings nicht das ganze Drama beherrscht wie Geibels Heldin; aber davon abgesehen hatte Hebbels absonderliche isländische Norne mit ihren geheimnißvollen Visionen wenig Anziehendes für eine Darstellerin, welche sich lieber der klargezeichneten Brunhild des Lübecker Dichters zuwandte. Nicht als ob Hebbels Muse ihr fremd geblieben wäre: die Judith war eine ihrer Glanzrollen, aber das Heldenmädchen von Bethulia ist in der Bühneneinrichtung des Dramas vorzugsweise eine thatkräftige Heldin, welche den Feind ihres Volkes dem Tode weiht, während in der Buchausgabe die Beleuchtung der großen Scene in sonderbaren Lichtern spielt und allerlei Halberklärtes, Räthselhaftes seine Schatten mit hereinwirft. Uebrigens hat, besonders bei ihrem Engagement in Leipzig 1868, Klara Ziegler auch die Brunhild Hebbels gespielt, und unser Blatt brachte damals ein Bild der Darstellerin in dieser Rolle (Jahrg. 1868, Nr. 32). Auch spielte Klara Ziegler in Kleists wild genialem Drama „Penthesilea“ am Münchener Hoftheater mit vielem Erfolg die Titelrolle. Bei Gelegenheit ihres fünftundzwanzigjährigen Jubiläums haben wir über den Lebensgang der Darstellerin eingehend berichtet (Jahrg. 1887, Halbh. 4). Neue Bahnen hat sie seitdem nicht eingeschlagen und konnte sie nicht einschlagen, denn durch ihre Naturanlage, ihre Erscheinung, ihren früheren Entwicklungsgang ist ihr der Weg ein für allemal fest vorgezeichnet, und wenn neuere Dichtung die modernen Seelengemälde mit roherem oder feinerem Farbenauftrag bevorzugt, so wird sie ihr dorthin nicht folgen wollen und nicht folgen können.

Die vielseitigste der Heldinnen unserer Bühne ist jedenfalls Pauline Ulrich, die ebensogut unter die ersten Liebhaberinnen, ja unter die Lustspieldarstellerinnen eingereiht werden könnte, die aber auch an einem hervorragenden deutschen Theater, dem Dresdener Hoftheater, seit Jahrzehnten die Rollen spielt, welche ins Fach der Heroinen schlagen. Auch diese Künstlerin ist den Lesern unseres Blattes nicht mehr fremd, bereits im Jahrgang 1875 (Nr. 3) brachten wir das anziehende Bild derselben. Pauline Ulrich, eine geborene Berlinerin, trat, nachdem sie als Schülerin der Krelinger in Berlin die fleißigsten Vorstudien gemacht hatte, 1859 in Dresden in den Rollenkreis, welchen Frau Bayer-Bürck damals verlassen hatte, aber sie erweiterte diesen bald nach allen Seiten hin. Ihre hohe Gestalt ist nicht in das feierliche Gewand der Tragödie gleichsam hineingewachsen: sie ist schlank, biegsam, anmuthig, sich auch dem leichten Spiele des Konversationsstückes anschmiegend. Pauline Ulrich spielt Goethes Iphigenie mit dichterischem Adel, aber sie ist auch eine vortreffliche Heldin der Scribe’schen geschichtlichen Lustspiele, und wenn sie überall am Platze ist, wo sie eine große Dame darzustellen hat, so weiß sie auch die Salonrollen des leichten Lustspiels mit feinem Humor zu geben; sie vereinigt markige dramatische Kraft mit einer geistvollen Beweglichkeit und bringt als Shakespeares Beatrice jeden launigen Einfall des großen Dichters zu wirksamer Geltung. Durch zahlreiche Gastspiele hat sie sich in ganz Deutschland und weiter hinaus einen Namen gemacht, doch blieb sie stets fest mit dem Dresdener Hoftheater verwachsen.

Wo aber Pauline Ulrich auftrat, war sie ein gern gesehener Gast: die Harmonie ihres Wesens, das geistvolle Leben, das ihrer Darstellungsweise eigen war, die Vielseitigkeit ihres Talentes übten eine bestechende Wirkung aus, und sie fesselte bei wiederholten Gastspielen das Publikum stets von neuem. –

Es war unter der Direktion Friedrich Haases in Leipzig, als eine junge stattliche blonde Dame zuerst versuchte, die tragischen Lorbeeren zu erringen. Es war eine Märkerin, eine echte Norddeutsche, und sie schien uns allen aus dem Holze zu sein, aus dem man Tragödinnen schnitzt. Leider strafte der erste Theaterabend die günstigen Vorhersagungen Lügen; die junge Kunstnovize trat als Gräfin Julia Imperiali im „Fiesko“ auf, allerdings eine der gefährlichsten Rollen und das Publikum lehnte diese Kunstleistung ab, die Kritik des Foyers äußerte sich nur kopfschüttelnd über die junge Darstellerin. Plumps, Anna Martha – da lag der Topf mit allen schönen Zukunftshoffnungen! Und in der That, Gräfin Julia Imperiali schien den Schleier genommen zu haben, denn sie war gänzlich von der Bühne verschwunden. Nach geraumer Zeit las man eines Tages den Namen der Debütantin wieder auf dem Zettel; sie hatte einen Prolog zu sprechen und sie sprach ihn mit einem so volltönenden Organ, mit solchem Verständniß und so nachdrucksvoll, daß ihr dafür rauschender Beifall zutheil wurde. So war sie wieder aus dem Dunkel hervorgetaucht; sie hatte die Pleißestadt nicht verlassen und in aller Stille Studien gemacht. Nicht lange darauf trat sie als Adelheid im „Götz“ auf und hatte einen durchschlagenden Erfolg; die große Scene mit dem Sendboten der heiligen Feme hatte sie mit hinreißender Kraft gespielt. An diesem Abend hatte die deutsche Bühne eine neue Heroine gewonnen. Anna Haverland wurde zunächst in Leipzig die Trägerin großer Rollen, dann vom Dresdener Hoftheater engagiert, später eine Zierde der Meininger Truppe. Alle Zwischenstationen ihrer künstlerischen Laufbahn, alle Gastspielreisen zu erwähnen, ist hier nicht der Ort; vergangenen Winter gastierte die Künstlerin in New-York, dem großen Wallfahrtsort der deutschen Berühmtheiten, und gegenwärtig ist sie am Berliner Theater Ludwig Barnays thätig. Sie hat ein schönes, klangvolles Organ, und melodisch fließen die Goetheschen Verse von ihren Lippen, wenn sie die Priesterin an Tauris’ Strand darstellt. Für solche getragene hoheitsvolle Aufgaben ist sie in erster Linie berufen, das unvergänglich schöne Dichterwort findet in ihr eine begabte Vermittlerin, die durch ihren Vortrag alle seine Schönheiten unverblaßt zur Geltung bringt. Wo es die Darstellung erregter Leidenschaft gilt, hat sie Kraft und Nachdruck, wenn auch das Verweilen in dämonischen Tiefen ihrem Talent ferner liegt; im ganzen sind ihre Gestalten mehr in ein helles Licht gerückt. Ihr Repertoire ist jetzt dasjenige der gefeierten Heroinen, während sie früher häufiger in den Rollen der ersten tragischen Liebhaberinnen auftrat.

Die Heldin des Stuttgarter Hoftheaters, Eleonore Wahlmann, hat, im Gegensatz zu Anna Haverland, nicht allzu häufig die Stätte ihres künstlerischen Wirkens verlassen, obschon sie an der Wiener „Hofburg“, in München und mehrmals auch an norddeutschen Bühnen gastiert und überall Anerkennung ihrer hervorragenden Begabung gefunden hat. Zu Klagenfurt in Kärnten geboren, ein echtes Theaterkind, da sie schon in Kinderrollen auftrat, einmal als Genius aus den Wolken flog, ein anderes Mal zu ihrer Freude als naturwüchsiger „Bub“ glänzen konnte, hatte sie sich schon mit der Welt der Prosceniumslampen vertraut gemacht, als sie von ihren Eltern in eine Wiener Erziehungsanstalt gebracht wurde, da diese selbst bei ihren wechselnden Engagements an verschiedenen Provinzbühnen ihr keinen regelmäßigen Unterricht zuheil werden lassen konnten. Aus der Anstalt entlassen, trat sie bei kleinen Bühnen auf, bis eine Heirath sie drei Jahre lang der dramatischen Kunst entfremdete. Doch sie kehrte wieder zur Bühne zurück, als Emil Devrient bei einem Gastspiel in Amsterdam sie bewogen hatte, die Rolle der erkrankten Liebhaberin zu übernehmen. Seitdem ist sie der Kunst treu geblieben; kurze Zeit nach ihrem Wiederauftreten löste der Tod ihre Ehe. Sie war dann zwei Jahre lang in Graz engagiert; seit dem Jahre 1866 ist sie Mitglied des Stuttgarter Hoftheaters, und obwohl sie es im allgemeinen nicht liebte, durch große Gastspielreisen in die Ferne zu wirken, ist ihr Ruhm doch in die weitesten Kreise gedrungen. Sie ist eine Meisterin edeln und gediegenen Vortrags, das hat sie nicht nur als Iphigenie in den Goethe-Aufführungen des Hoftheaters, sondern auch als Vorleserin der Sophokleischen „Antigone“ in Stuttgart und Tübingen bewiesen. Auch Schillers große Rollen, eine Maria Stuart, eine Jungfrau von Orleans, führt sie mit meisterlicher Beherrschung des dichterischen Wortes durch; doch erst in schärfer gezeichneten Charakteren bewährt sie ihre ganze Gestaltungsgabe; eine Lady Milford, eine Gräfin Orsina, eine

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 634. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_634.jpg&oldid=- (Version vom 2.1.2023)