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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

Hans griff in die Tasche und warf das Geld auf den Tisch.

„Stimmt!“ sagte Holzmann schmunzelnd. „Auf Wiedersehen im ‚Schwarzen Rößl‘ genau auf Tag und Stunde, wie wir’s besprochen haben. Ich liebe die Pünktlichkeit! Und nun – nichts für ungut, Herr Davis!“ Mit diesen Worten erhob er sich, drückte seinen Hut tief ins Gesicht und verließ das Lokal.

Hans blieb betäubt zurück. Das Fürchterlichste war eingetroffen – wohin mochte ihn die Gemeinschaft mit diesem Verbrecher noch führen! Da schlug es acht Uhr, um diese Zeit sollte er bereits im Salon bei Berrys sein. Er schauerte zusammen bei dem Gedanken. Was sollte er sagen, wenn man ihn fragte, wo er so lange geblieben sei, wenn Claire ihn fragte mit dem stummen Vorwurf im Blicke, der ihm jedesmal das Herz zerriß? Sollte er ihr alles bekennen, ihr zurufen: „Ich bin der Sohn eines Verbrechers, der Sklave eines Schurken – aber ich liebe Dich mehr als das Leben, und wenn auch Du mich liebst – Liebe kann alles vergessen, verzeihen!“ Aber wie würde sie da entsetzt, voll Ekel, aufspringen, die schöne verwöhnte Claire, wie würde sie ihn verachten, hassen, daß er, der Geschändete, Ehrlose, sich in ihr Herz geschlichen! Es gab nur eines, wenn er ein Mann war: das Haus verlassen, in dem sein ganzes Glück beschlossen lag.

Die Wirthin hatte das seltsame Paar scharf beobachtet, auch die Zahlung an Holzmann war ihr nicht entgangen. Sie hatte doch dem jungen Menschen unrecht gethan, es war keiner von der Polizei. Als sie das Geld für die Zeche nahm, nickte sie ihm daher freundschaftlich zu.

Luftiger Platz.
Aus dem Werke „Spiegelbilder aus dem Leben“ von René Reinicke. (F. A. Ackermanns Kunstverlag in München.)
Für die „Gartenlaube“ in Holz geschnitten.

„Nehmen Sie sich in acht vor dem!“ sagte sie. „Es wär’ schad’ um so einen schönen jungen Herrn.“

Hans erwiderte nichts; ohne sich umzusehen, eilte er aus dem Lokal.

*  *  *

Der Salon Berrys war heute stark besucht; alle Kreise der Hauptstadt waren vertreten. Eine herrliche Sopranstimme, von den Tönen eines Klaviers begleitet, versammelte die vorher in den Räumen des ersten Stockwerks zerstreuten Gäste im Salon. Die gefeierte Primadonna der Hofbühne gab ein Lied zum besten, da mußte man wohl oder übel das heimliche Geplauder unterbrechen, die reich besetzten Büffetts verlassen und sich dazu noch sehr erfreut zeigen über diesen Kunstgenuß. So gut es gehen wollte, entschädigte man sich durch heimliches Geflüster in rosige niedliche Oehrchen, durch koketten Fächerschlag und neckisches Augenspiel. Nur einige wenige Kunstenthusiasten lauschten mit ernsten tiefsinnigen Gesichtern dem Gesang, nicht ohne hie und da verweisende Blicke auf das junge unaufmerksame Volk zu werfen.

Besonders Graf Maltiz schien den Vortrag für seine besonderen Zwecke auszunutzen. Er saß dicht hinter Claire, sein dunkles Antlitz mit dem mächtigen schwarzen Schnurrbart berührte fast die feinen blonden Löckchen, die sich um Claires Hals ringelten. Seine Flüsterworte brachten sichtlich eine starke Bewegung bei der Dame hervor. Sie wechselte wiederholt die Farbe, erwiderte hastig etwas hinter dem aufgespannten Fächer und kühlte sich fortwährend mit dem Spitzentuch die heiße Stirn, die glühenden Wangen.

Die Sängerin endete unter stürmischem Beifall. Mit einer Verbeugung bot Maltiz Claire den Arm und das Paar bog in eines der lauschigen Nebengemächer ein, verfolgt von spitzen Worten und Blicken.

„Sprechen Sie, Fräulein Claire, ich beschwöre Sie,“ begann erregt der Graf, als sie allein waren. „Was beängstigt Sie? Was drängt sich stets zwischen uns?“

„Zwischen uns, Herr Graf?“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 637. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_637.jpg&oldid=- (Version vom 10.8.2022)