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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

hatte man also noch bei dem langweiligen Maschinenmenschen weiter zu suchen! Die Beute war erjagt, und es war verlorene Liebesmühe, sich noch weiter um sie zu bemühen. Die jungen Löwen zogen sich knurrend zurück, eine andere Fährte zu suchen, ihnen folgten bald die Künstler und sonstigen Koryphäen der Hauptstadt. Herr Berry verstand es nicht, sie zu halten, es wurde langweilig in dem Salon; Graf Maltiz allein blieb auf dem Platze.

Er war der intimste Freund Ottos, mit dem zusammen er einen Rennstall hielt, und auch Claire behandelte ihn durchaus kameradschaftlich. Der Scene an jenem Abend, bei der Hans sie überrascht hatte, geschah nie mehr Erwähnung, und Claire schien dem Grafen gerade durch den freien Umgang jede Gelegenheit entziehen zu wollen, sie zu wiederholen.

Nichts ist schmerzlicher für einen Liebhaber, denn als Freund behandelt zu werden, mit all der nüchternen Offenheit, welche diesem zukommt. Jedes zärtliche Wort, jedes süße Geheimniß stockt ihm da auf der Zunge und scheint ihm lächerlich. Maltiz war unglücklich, er verstand Claire nicht. Warum entzog sie ihm nicht ihren Umgang, wenn sie seine Werbung ein für allemal abgewiesen haben wollte? Wenn sie ihm aber doch ein tieferes Gefühl entgegenbrachte, warum dann diese Kälte, die erkältend auch auf ihn zurückwirken mußte? Die kostbare Zeit verstrich – wenn nicht wenigstens die Verlobung bald stattfand, so ließen sich seine Gläubiger nicht länger beschwichtigen . . .

Otto kannte die Verhältnisse seines Freundes sehr wohl, er stak selbst tief in Schulden und konnte deshalb die Eile, aus der Maltiz ihm gegenüber gar kein Hehl machte, recht gut begreifen. Ja, der Graf ging so weit, Otto aus Erkenntlichkeit für seine Mithilfe die Uebernahme seiner zahlreichen Verpflichtungen zu versprechen. sei er einmal verheirathet, so gehe das bei dem Alten in einem hin. Otto, weit entfernt, darin eine Taktlosigkeit zu erblicken, faßte das als ritterliche Großmuth von seinem vornehmen Freunde auf und machte die größten Anstrengungen, um Claire zur Entscheidung zu bringen. Doch mußte er die Sache mit aller Vorsicht angreifen, um nicht ihr Mißtrauen zu erregen.

Das Benehmen der Schwester war ihm selbst unbegreiflich, es war fast, als wartete sie auf etwas; oft traf er sie mit verweinten Augen. Sollte eine heimliche Liebe daran schuld sein? Seit ihrer Rückkehr aus Paris war sie doch nur dem Grafen nahe getreten, und um den brauchte sie doch nicht zu weinen! Wiederholt ließ er alle, die seitdem im Hause verkehrt hatten, an sich vorüberziehen, sogar Hans Davis. Und obwohl ihm der Gedanke zuerst lächerlich erschienen war, er drängte sich ihm immer wieder auf. Wie oft hatte er die beiden in lebhaftem Gespräch getroffen! Die unverzeihliche Vertraulichkeit der Jugendjahre wirkte wohl noch immer nach, zudem bevorzugte Papa den jungen Mann immer mehr und zog ihn mit Gewalt in seine Kreise; so unmöglich war also die Sache nicht, und er wurde den Verdacht nicht mehr los. Gerade jetzt entdeckte er auch durch einen Zufall, daß Claire Krankenbesuche im Arbeiterviertel machte. Das war trotz ihrer Gutmüthigkeit ganz gegen ihre sonstige Art, sie liebte das schmutzige Getriebe nicht und betrat nur äußerst selten die Fabrik. Sollte sie aus Interesse für Davis um das „Pack“ sich kümmern, dem auch dieser entstammte?

Der Gedanke, daß er auf der richtigen Spur sei, empörte ihn – das wäre ja eine öffentliche Blamage, ganz abgesehen davon, daß dann alle seine Hoffnungen auf die Hilfe des Grafen in nichts zerfielen! So beschloß er einen entscheidenden Schritt. War etwas an seinem Verdacht, wie er allmählich fest überzeugt war, so wuchs die Gefahr mit jedem Tage, den er verstreichen ließ, ohne zu handeln.

Eines Tages trat er geradezu als Freiwerber für seinen Freund bei Claire auf. Ihr Benehmen gegen Maltiz sei so unklar, daß dieser, eine Abweisung befürchtend, ihn gebeten habe, seine Schwester um eine Entscheidung zu bitten. So stelle er ihr offen und ohne Umschweife die Frage, die sie unzweideutig zu beantworten habe, da ein längerer derartiger Verkehr des Grafen mit ihr unmöglich sei, ohne daß beider Ehre und gesellschaftliche Stellung gefährdet sei. Ein rascher Entschluß sei also unbedingt nöthig. Jeder Anpreisung seines Freundes enthielt er sich absichtlich.

Claire ließ sich zugänglicher finden, als er erwartet hatte; sie spottete nur über den schwachen Muth des sonst als so schneidig gerühmten Grafen, sie habe diese Werbung schon längst vorausgesehen und habe sich bereits damit „ausgesöhnt“, wie sie sich ausdrückte. Sie sehne sich hinaus aus diesem einförmigen Leben, und wenn sie auch nicht gerade eine innige Liebe zu dem Grafen fühle, so könne sie sich doch als seine Gattin denken, und mehr könne man ja auch nicht verlangen, wenn man das Unglück habe, eine reiche Erbin zu sein. Uebrigens habe Papa das letzte Wort zu sprechen.

Otto hörte aus diesen Worten nur die Erfüllung seiner Hoffuungen, nicht den Verzicht eines unglücklichen Herzens, das in verhängnißvollem Irrthum Heilung und Vergessen suchte im Strudel des Weltgetriebes.

Herr Berry betrachtete die Werbung des Grafen als unabwendbares Schicksal. Seine stillen Hoffnungen auf Davis hatte ihn betrogen; Hans war wirklich kein Mann für Claire, es fehlte ihm der persönliche Muth, das Selbstbewußtsein, das allein Großes schafft und auch über die niedrigste Geburt erhebt; er hatte offenbar keine „Rasse“. In der letzten Zeit ließ auch sein Eifer im Geschäft bedeutend nach; seine Schwungkraft war sichtlich erschöpft, die glückliche Idee von damals vielleicht nur ein Zufall.

Er bewegte sich jetzt nur noch in den gewöhnlichen Geleisen der Arbeit. Woher sollte ihm da die Kraft kommen, als sein künftiger Erbe die Fabrik zu leiten? Freilich, Graf Maltiz war ihm auch nicht erwünscht als Schwiegersohn – aber war es dieser nicht, der Claire gewann, so war es ein anderer, der seinen Wünschen noch weniger entsprechen mochte. Daß seine Tochter dem Grafen geneigt war, daran glaubte er nicht mehr zweifeln zu können, wenn sie sich auch immer wieder merkwürdig scheu in sich zurückzog. Der Graf bot ihr einen glänzenden Namen, er war schön, nicht ohne Geist, wohl geeignet, auf ein Mädchenherz Eindruck zu machen. Nur hätte er seine Tochter für tiefer angelegt gehalten, er hätte ihr zugetraut, daß sie noch etwas mehr von ihrem künftigen Gatten verlange. Aber nun war es einmal ihr Wille so – auch gut!

So wurde die Verlobung des Grafen Maltiz mit Fräulein Claire Berry bekannt gemacht; sie überraschte niemand mehr. Otto und der Bräutigam drückten sich verständnißvoll die Hände und machten sofort neue Ankäufe für den Rennstall.

Hans Davis hatte geglaubt, für diese Verlobung gerüstet zu sein, es mußte ja so kommen. Doch als nun das Ereigniß wirklich eintrat, da drohte der Schmerz darüber ihn beinahe zu erdrücken. So lange als möglich schob er die Gratulation hinaus, die er wohl nicht anders als persönlich darbringen konnte. Endlich raffte er alle Kraft zusammen und begab sich zur Villa; man sollte in ihm nur den Bediensteten erblicken, der die leere Form erfüllte. Doch als Claire ihm dann bleich, die Züge matt und schlaff, entgegentrat, da zuckte es in ihm auf wie Freude, und unwillkürlich fiel er aus der selbstgewollten Zurückhaltung heraus. Vergebens nahm Claire eine herablassende Miene an, vermied selbst den herzlichen Ton der Freundin, als sie ihm für seinen Glückwunsch dankte. Er sah unter die Maske, – sie litt mit ihm, vielleicht mehr, weil sie den Grund für sein Verhalten nicht kannte und an Stelle des düsteren Verhängnisses, dem er sich beugte, Feigheit und Mangel an Liebe vermuthen mußte.

„Ich verzichte von heute an auf mein Eigenthumsrecht, Sie sind frei, Herr Davis,“ sagte Claire, in der deutlichen Absicht, dem peinlichen Zusammensein ein Ende zu machen. Hans küßte die kleine Hand; zu spät erhob er das Haupt, eine Thräne war auf die Hand gefallen.

Claire zog sie erschrocken zurück. „Wie – eine Thräne? Bei Ihnen, dem Manne von Stahl und Eisen?“ sagte sie langsam. „Da darf ich mir ja etwas einbilden. Sie erinnert mich an einen Weihnachtsabend, wo die kleine Claire die Thränen, die Sie vergossen, noch trocknen konnte – –“

„Und wo Ihnen der fremde Junge zum Spielzeug geschenkt wurde –“

„Ja – und er wurde mein liebstes Spielzeug, und als er zum Spielzeug zu groß geworden, ward er mein liebster Freund,“ fuhr Claire leise fort. Ihr großes Auge, das erst so kalt geblickt hatte, ruhte jetzt voll innigen Ausdruckes auf Hans, der alle seine Vorsätze darüber vergaß.

„Und als er zum liebsten Freunde zu groß wurde, da trennte man die beiden –“ rief er mit mühsam verdeckter Leidenschaft.

„Ja, da trennte man sie . . . Doch genug dieser Rückblicke auf die Vergangenheit!“ Ihre Stimme klang wieder kühl. „Es beginnt jetzt für mich ein neues Kapitel, und wenn ich Ihrer Prophezeihung Glauben schenken darf – Sie erinnern sich ja noch

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 639. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_639.jpg&oldid=- (Version vom 11.8.2022)