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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

an jenen Abend in unserem Hause, wo Sie über meinen jetzigen Bräutigam schwärmten – so wird es für mich ein glückliches sein. Ich danke Ihnen nochmals, Herr Davis, für Ihre freundlichen Glückwünsche. Apropos, was macht denn ‚Claire‘ Nummer zwei?"

„Sie macht Ihnen alle Ehre, sie befährt den Mont Cenis und ist die beste Bergmaschine.

„Das freut mich, vielleicht fahre ich mit ihr auf meiner Hochzeitsreise – das wäre reizend – nach dem ‚System Davis‘!“ Sie lachte hart auf. „Auf Wiedersehen, Herr Davis!“ Mit einer leichten Verbeugung ging sie aus dem Zimmer.

Hans stand noch lange, als hätte er ihren Abgang gar nicht bemerkt. Er hielt die geballten Hände gekreuzt, als trüge er wirklich Fesseln. Dann fuhr er plötzlich auf. „Dem ‚System Davis‘, dem System der Feigheit, der fortgesetzten Lüge,“ sprach er vor sich hin, „ich will ihm ein Ende machen!“ Er eilte hinaus, die Treppe hinab; vor dem Arbeitszimmer Berrys hielt er einen Augenblick an. Das Geräusch von Schritten drang heraus; seine Hand lag auf dem Drücker – dem Kommerzienrath alles zu gestehen und um seine Entlassung zu bitten, das war sein Entschluß.

Deutschlands merkwürdige Bäume: Die Schmorsdorfer Linde.
Nach einer Photographie von Th. Kirsten in Dresden.

Da sprengten Maltiz und Otto über den Hof; der Graf grüßte lächelnd hinauf zu Claire.

Bei diesem Anblick fühlte Hans in seinem Innern eine Woge des Hasses aufrauschen gegen diesen Mann. Maltiz war ein Freund Ottos – wenn er von demselben Stoffe war wie dieser, wenn er Claire am Ende nur ihres Reichthums wegen heirathete, und sie, die offenbar litt, unglücklich wurde! Dann war er schuld! Nein, er durfte nicht gehen, sein Platz war an ihrer Seite, wie sehr er auch darunter leiden mochte.

Still ging er an Berrys Thür vorüber.

*  *  *

Graf Maltiz war nahe daran gewesen, seinen Rennstall aufgeben und sich aus den Sportskreisen, in denen er die erste Rolle spielte, zurückziehen zu müssen. Das wäre aber in seinen Augen der gesellschaftliche Tod gewesen, dem er wahrscheinlich den wirklichen vorgezogen hätte. Der Papa auf Schloß Kossan war selbst noch trotz seiner alten Tage ein Durchgänger und konnte dem Sohne mit dem besten Willen nicht mehr aus der Noth helfen. Der Ertrag der Hüttenwerke hatte sich von Jahr zu Jahr verschlechtert, und die Herrschaft selbst war Fideikommiß und nicht mit Schulden belastbar.

Gerade in der letzten Zeit hatte besonderes Unglück auf dem Rennplatz die Lage für Maltiz verschlimmert; nicht nur seine Stellung in der Gesellschaft, auch die Uniform stand auf dem Spiele. Es gab nur noch zwei Wege für ihn: Claire, die Tochter des Millionärs, oder eine Kugel vor den Kopf! Der Wille zum Leben hatte ihn zu den Füßen Claires getrieben und ihm im Verein mit ihrer bezaubernben Erscheinung die Gluth wahrer Leidenschaft verliehen.

Es war nach alledem wohl begreiflich, daß die Freude des Grafen, als er sich jetzt am Ziele seiner Wünsche sah, keine Grenzen kannte. und sein neuer Schwager theilte dieses Gefühl nach Kräften.

Ottos pekuniäre Angelegenheiten waren nicht weniger zerfahren als die des Grafen, aber als der Verlobte der reichen Berry hatte Maltiz wieder einen unbeschränkten Kredit, den Otto in vollen Zügen mitgenoß. Die beiden Freunde trugen sich mit großen Plänen für die nächsten großen Herbstrennen, die alle früheren Verluste reichlich hereinbringen sollten.

Otto that sich etwas zu gute auf seinen spekulativen Sinn, den er vom Vater geerbt haben wollte. Nur nicht kleinlich sein und sich durch Mißgeschick im Anfang verblüffen lassen! Das war seine Losung. „Helios“ der Sieger im letzten Derbyrennen, war im Stalle des Fürsten R. kurz nach seinem Siege an einer Sehnenentzündung erkrankt. Die Ansichten über seine Herstellung gingen unter den Sachverständigen weit auseinander. Otto beredete nun den Grafen, den Renner um den billigen Preis von zwanzigtausend Mark zu erwerben – kurz nach dem Siege waren dem Fürsteu hunderttausend geboten worden. Auch der Graf war bald gleich seinem Schwager von der Möglichkeit überzeugt, das Pferd wieder völlig herzustellen, und beglückwünschte sich schon im voraus zu dem ungeheuren Gewinn, wenn „Helios“ unter seiner eigenen Führung den ersten Preis davontragen würde. Es war kein Pferd auf dem Turf, das sich mit „Helios“ nur annähernd messen konnte, wenn dieser wieder bei vollen Kräften war.

Maltiz ließ den kostbaren Besitz keinen Tag aus den Augen und überwachte seine Pflege mit gewissenhafter Sorgfalt.

Das Rennen um den großen Preis fand kurz vor dem Tage statt, auf welchen die Hochzeit festgesetzt war. Erfüllte sich des Grafen Hoffnung so konnte er seine Verhältnisse wenigstens so weit ordnen, daß er nicht sofort die Hilfe seines Schwiegervaters in Anspruch nehmen mußte. Und warum sollte diese Hoffnung trügen, die auf so sicherer Berechnung aufgebaut war!

In diesen frohen Erwartungen, in denen Maltiz sich wiegte, war er doppelt aufmerksam gegen seine schöne Braut, und auch seinem Schwiegervater gegenüber bot er seine ganze Liebenswürdigkeit auf. Sein Interesse für die Fabrik schien stetig zuzunehmen, ja er spielte wiederholt darauf an, daß er sich wohl entschließen könnte, seine militärische Laufbahn aufzugeben und sich ganz dem Berryschen Besitz zu widmen, falls Otto wirklich keine Lust dazu habe. Und über dieser verlockend wiederauftauchenden Zukunft, die er gänzlich aufgegeben hatte, war Berry nur zu geneigt, den Rennstall sammt „Helios“ und all den verschiedenen Gerüchten über den Grafen, die ihm zu Ohren kamen, zu vergessen.

Auch Claire konnte sich dem Eindruck des ritterlichen, mit allem Blendwerk eleganter weltmännischer Sicherheit ausgestatteten Wesens ihres Verlobten nicht entziehen. Und glücklich darüber, auch ihr Herz, das bisher ihm gegenüber nicht zu Wort gekommen war, ein wenig sprechen lassen zu können, gab sie sich dieser Regung willig hin, sich gewaltsam über die innere Leere hinwegtäuschend.

Schwerer als Claire trug Hans die neue Last. Er suchte sich im Lärme der Arbeit, beim dröhnenden Getöse der Hämmer

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 640. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_640.jpg&oldid=- (Version vom 10.8.2022)