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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)


BLÄTTER UND BLÜTHEN.

Gemüthsruhe als Schutzmittel gegen Ansteckung. Wenn die schwere Prüfung einer Epidemie über die Völker hereinbricht, dann wird jedesmal vor Furcht und Aufregung gewarnt und Gemüthsruhe als ein treffliches Schutzmittel gegen die Gefahren der Seuche empfohlen. Dieser gute Rath wird leider von einem großen Theile der Bevölkerung sehr falsch verstanden. Die Leute meinen, die Regierung und die Aerzte beruhigten auf diese Weise die öffentliche Meinung, um den Ausbruch einer Panik und deren traurige Folgen zu verhüten. Aber die Leute irren, darum allein handelt es sich nicht; Furcht und Aufregung sind auch in unmittelbarster Beziehung die kräftigen Bundesgenossen ansteckender Krankheiten, indem sie den kleinsten Lebewesen, die diese Leiden erregen, Thür und Thor in unserem Körper öffnen.

Zu allen Zeiten hat man die Erfahrung gemacht, daß ängstliche Leute von epidemischen Krankheiten leichter ergriffen werden als diejenigen, die, starken Geistes, mit Ruhe der Gefahr entgegentreten. Beweisen konnte man früher diese Thatsache nicht, da man die Ursachen der Ansteckung nicht kannte. Seitdem aber diese durch die Bakteriologie sichtbar gemacht wurden, ist es auch gelungen, durch Versuche festzustellen, daß Gemüthsruhe in der That ein kräftiges Schutzmittel gegen die Ansteckung bildet. Der berühmte französische Arzt Féré stellte diese Versuche an: er erschreckte Tauben, Kaninchen und weiße Mäuse und untersuchte dann ihr Verhalten gegen verschiedene Krankheitserreger.

Wir kennen bereits eine ganze Reihe von Schutzwehren, mit welchen der Organismus höherer Thiere gegen Ansteckung ausgerüstet ist. Das Blut besitzt keimtötende Eigenschaften. Frisches Blut ist imstande, eine gewisse Menge von Bakterien zu töten; dieses Vermögen schützt den Körper in vielen Fällen, wenn die Zahl der ansteckenden Keime, die in den Körper gelangen, nicht zu groß ist. Wie verhält sich nun das Blut erschreckter Thiere gegen diese Keime?

In den betreffenden Versuchen wurden zwei gleiche Mengen Bluts, die man einerseits in Ruhe gelassenen, andererseits geängstigten Thieren entnommen hatte, mit verschiedenen Krankheitserregern vermengt. Das Blut der ersteren tötete die Bakterien; das Blut der geängstigten Versuchsthiere hatte dagegen in der Hälfte der Fälle seine keimtötenden Eigenschaften eingebüßt.

Die Empfänglichkeit für gewisse ansteckende Krankheiten ist nicht gleichmäßig bei verschiedenen Thierarten, die einen erliegen z. B. der Hühnercholera oder dem Bacillus des Mäusetyphus, die anderen sind für diese Krankheiten wenig oder gar nicht empfänglich.

Indem man also erschreckte und in Ruhe gelassene Thiere derselben Art mit verschiedenen Krankheitserregern impfte, gelangte man zu folgenden Ergebnissen. Bei Anwendung tödlicher Gaben starben die Erschreckten früher, als die anderen. Impfte man die Thiere mit abgeschwächten Kulturen, so blieben die in Ruhe gelassenen Tauben, Kaninchen und Mäuse gesund, während die erschreckten krank wurden oder starben. Schließlich wurden wenig empfängliche Thiere durch voraufgegangenen Schreck gegen bestimmte Krankheiten in so hohem Grade empfänglich, daß sie denselben erlagen.

Wir ersehen aus diesen Versuchen, daß die Furcht die Zusammensetzung des Blutes ungünstig verändert und die Immunität gegen ansteckende Krankheiten abzuschwächen vermag.

Der thierische Organismus besitzt, wie gesagt, im Blute ein Schutzmittel gegen die Bakterien. In dem Blute eines Erwachsenen befinden sich etwa 1000 Millionen weißer Blutkorperchen, winziger Zellen, die als selbständige Individuen, mit Eigenbewegung ausgestattet, in uns leben. Diese weißen Blutzellen sind Feinde der Bakterien; sie werden durch dieselben angezogen, und wo in den thierischen oder menschlichen Körper Bakterien eindringen, dort pflegen die weißen Blutzellen die Blutgefäße zu verlassen, dort rücken sie gegen die Bakterien vor, die sie in ihren Leib aufnehmen und vernichten, buchstäblich auffressen. Man hat diese Gebilde darum „Phagocyten“, d. h. Freßzellen, genannt. Füllt man ein kleines zu einer haarfeinen Spitze ausgezogenes Röhrchen mit einer Bakterienkultur und führt die Spitze unter die Haut eines Kaninchenohres ein, so pflegt man bei normalen Thieren wahrzunehmen, daß die Phagocyten den Körper verlassen und in das Glasröhrchen eindringen, um die Bakterien, die den Körper bedrohen, zu vernichten. Das erkennt man schon mit dem bloßen Auge an einem weißlichen Pfropfen, der sich in dem Glasröhrchen an der dem Körper zugekehrten Seite bildet. Als nun Féré mit erschreckten Thieren denselben Versuch machte, blieb die Flüssigkeit in dem Glasröhrchen klar; die Phagocyten rückten nicht vor zum Kampf gegen die Bakterien; die Furcht hatte auch das Heer der weißen Blutzellen gelähmt.

Diese Beispiele mögen genügen; sie lehren uns, daß niederdrückende seelische Erregungen thatsächlich der Ansteckung Vorschub leisten. Natürlich kann dieselbe nur dann erfolgen, wenn Krankheitskeime sich in der unmittelbaren Umgebung des Menschen befinden und von diesem unmittelbar nach einem Schrecken oder im Laufe einer länger dauernden niedergedrückten seelischen Stimmung aufgenommen werden.

Herrscht nun in einem Orte eine epidemische Krankheit, wie z. B. die Cholera, so sind die Ansteckungskeime in demselben bald in größerer, bald in geringerer Menge verbreitet; die Möglichkeit, dieselben aufzunehmen, ist groß, und die Furchtsamen sind darum der Gefahr der Ansteckung besonders ausgesetzt, da sie die Schutzwehren, mit welchen die Natur den Körper ausgestattet hat, durch ihre Aengstlichkeit niederreißen.

Außerdem können diejenigen, die ihre Gemüthsruhe verlieren und in der ewigen Angst schweben, von einer bestimmten Krankheit ergriffen zu werden, noch in einer anderen Weise wirklich krank werden. Es ist bekannt, wie groß die Macht der Einbildung ist. Leute, die von gesunden Hunden gebissen wurden, erkrankten wiederholt unter Erscheinungen der Tollwuth, weil sie fürchteten, der betreffende Hund sei toll gewesen. Es handelte sich dabei aber nicht um die echte Hundswuth. Die armen Geängstigten litten nur an denjenigen Symptomen der furchtbaren Krankheit, die ihnen bekannt waren, und konnten durch beruhigende Mittel geheilt werden. Nervöse Menschen, die sich einreden oder suggerieren, daß sie Fieber bekommen werden, werden wirklich von einer Temperaturerhöhung befallen. Solche nervös erregte und ängstliche Naturen können auch wohl zu Zeiten der Cholera von Erbrechen und Durchfällen befallen werden.

Sie können sich aber sehr leicht auch die echte Cholera zuziehen. Ein gesunder Magen ist bekanntlich eine mächtige Schutzwehr, welche die Cholerabacillen nicht so leicht überwinden können; wir wissen ja aber, wie sehr durch seelische Verstimmungen gerade die Verdauung beeinträchtigt, wie leicht durch sie der Magen krank gemacht wird.

Wer also jetzt Muth und Ruhe predigt, der will die Menschen nicht nur scheinbar trösten, im Gegentheil, er hält kräftige Schutzwehren gegen die Ansteckung aufrecht. Und wer seine Gemüthsruhe bewahrt und mit kluger Ueberlegung die Rathschläge der Behörden und Aerzte befolgt, der ist gegen die Gefahr doppelt gewappnet. Diejenigen aber, die in unüberlegter Weise übertriebene Nachrichten, Schauermärchen u. dergl. verbreiten, mögen im Angesicht dieser Thatsachen bedenken, welche Verantwortung sie auf sich laden. In dem Feldzug, den uns die finstere asiatische Macht auf deutschem Boden aufgedrungen hat, sind Carbol und Chlorkalk unentbehrlich wie Pulver und Blei in gewöhnlichen Kriegen, aber zum siegreichen Kampf ist auch hier eins unbedingt nöthig: Ruhe und Muth.

Erfinder-Lose. Bei der Erfindung des Holzschliffpapiers, welche wir Friedrich Gottlob Keller verdanken, spielte, wie sich unsere Leser aus seiner Lebensbeschreibung in Halbheft 14 dieses Jahrgangs erinnern, ein Wespennest eine große Rolle. Der Erfinder hat dieses Wespennest sowie die ersten Papierproben, welche aus seiner Hand hervorgingen, seither sorgsam aufbewahrt. Jetzt aber sieht er sich durch seine sehr beschränkten Umstände, in die er vollständig unverschuldet gerieth, veranlaßt, diese theuren Andenken dem Verkauf auszusetzen.

Als wir diese Nachricht erhielten, da waren wir sofort entschlossen, ihr an dieser Stelle Verbreitung zu geben. Aber nicht mit der Absicht, Keller Angebote auf seine Erinnerungen zu verschaffen – nein! Sie sollen ihm gerade erhalten werden! Wir meinen, es sei Ehrensache derjenigen, welche aus Kellers Erfindung Nutzen ziehen, hier helfend einzugreifen; es sei Pflicht des ganzen deutschen Volkes, nicht zu dulden, daß ein solcher Mann wie Keller am Abend seines Lebens aus bitterer Noth sich von seinen liebsten Schätzen, von den Symbolen seiner That trennen muß. Wie oft haben wir es schon gesehen, daß man Tausende zusammenschoß, um einem hervorragenden Geiste nach seinem Tode ein steinern oder ehern Denkmal zu errichten. Wie oft hat man uns schon nachgesagt, daß wir unsere verdienten Männer erst dann ehren, wenn sie nicht mehr sind! Entkräften wir diesen Vorwurf! Ehren wir den Lebenden, indem wir Noth und Sorge von ihm nehmen!

Verwaltungsgrundsätze der Behörden machen es uns unmöglich, wo es sich wie hier um eine Sammlung zu gunsten einer einzelnen Person handelt, uns selbst als Sammelstelle anzubieten und Gaben zu einer Nationalstiftung für Keller in Empfang zu nehmen, wie wir es gern thun würden. Wem aber unsere Bitte im Herzen gezündet hat, der gehe hin und schicke sein Scherflein an den Mechaniker Friedrich Gottlob Keller in Krippen bei Schandau a. d. Elbe. Und möge mit diesen Gaben ein sonniger Lebensabend bei dem Manne seinen Einzug halten, aus dessen Hütte ein so mächtiger Kulturfortschritt emporwuchs!

Am Vorabend der Hinrichtung. (Zu dem Bilde S. 616 u. 617.) Es ist ein Vorgang aus der traurigen Zeit der deutschen Soldläuferei, den unser Bild darstellt, aus der Zeit, da in allen Kriegsheeren deutsche Landeskinder anzutreffen waren, die um ein Geringes ihre Haut für fremde Herren zu Markte trugen.

Der Graf Lodron, welcher in den Kämpfen König Philipps gegen die wider ihren Zwingherrn sich erhebenden Niederländer auf spanischer Seite Dienste that, hatte auch eine Schar deutscher Söldner in seinem Heerhaufen. Als er ihnen nun einmal den ausbedungenen Sold nicht zahlte, da meuterten sie und hielten ihren vertragsbrüchigen Herrn zwei Monate lang in Valenciennes gefangen. Das vergaß ihnen der Graf nicht. Mit allerlei listigen Versicherungen gelang es ihm, einen Theil der Deutschen zum Wiedereintritt in die spanischen Dienste zu bewegen. Als sie nun aber in Borgerhout bei Antwerpen eintrafen, da ließ sie der Graf plötzlich durch spanische Reiter und Fußsoldaten umzingeln, und zur Rache für Valenciennes ward eine bestimmte Anzahl von ihnen zum Tode durch Henkershand verurtheilt. Vergeblich flehten die Weiber der Betroffenen um Gnade. Der schwer gereizte Graf wies sie ab, und so zogen sie in höchstem Schmerze vor das Gefängniß zu Antwerpen, in dem die Verurtheilten ihrem Ende entgegenharrten. Da spielte sich denn jene herzzerreißende Abschiedsscene ab, die unserem Künstler den Stoff zu seinem Bilde gegeben hat. Verzweiflungsvoll reichen sich die Gatten zum letzten Male die Hand – ein Vater preßt sein Gesicht zwischen den Stäben des Kerkergitters durch, seinem Kinde den letzten Kuß aufs Mündchen zu drücken, andere werfen ihre letzten Habseligkeiten, das Geld, um das sie ihr Leben verkauft, heraus durch die eisernen Maschen.

Hart und fühllos bleiben die spanischen Schildwachen, der finstere Kerkermeister – in den vorübergehenden Bürgern von Antwerpen aber

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 642. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_642.jpg&oldid=- (Version vom 2.1.2023)