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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

regt sich ein tiefes Mitleid mit den armen Opfern einer grausamen Justiz. Etwas eint sie mit den Fremdlingen; wohl standen sie eben noch im Solde des verhaßten Spaniers – jetzt aber haben sie einen Unterdrücker.

Strickunterricht. (Zu dem Bilde S. 625.) In unserem deutschen Vaterland sind es der Gegenden, in denen sich eine althergebrachte Tracht bis in die heutige Zeit herein erhalten hat, nicht mehr allzuviele. Umsomehr bilden die wenigen, wo dies der Fall ist, den Zielpunkt der Kulturforscher und der Maler. Einen dieser Landstriche hat sich auch der unseren Lesern wohlbekannte Künstler L. Blume-Siebert als sein vornehmstes Arbeitsfeld erkoren. Von seiner Heimath, dem Waldeckischen, aus erreicht man in kurzer Wanderung das im alten Kurhessen gelegene Schwalmthal. Seine biederen Bewohner, die „Schwälmer“, hat er von Jugend auf in ihren eigenthümlichen Kostümen beobachten können, aus ihrer Mitte stammt auch das hübsche Pärchen, das er auf seinem launigen Bilde „Der Strickunterricht“ verewigt hat. Und wenn die Schwälmer Burschen nicht vorher schon stricken können, bei solchen Lehrerinnen werden sie es wohl nie gründlich lernen. Denn was würde aus dem fröhlichen Lachen von Anna Kathrinchen, wenn der Hansfrieder sich nicht so recht ungeschickt anstellte?

Blutvergiftung durch Farben. Immerfort liest man in Zeitungen Berichte über Blutvergiftungen, die durch kleine Wunden entstanden sind, und fast immer wird dabei die Ursache des schlimmen Leidens falsch erklärt. So heißt es z.B.: eine Frau hatte eine kleine Wunde am Fingernagel; sie bläute Wäsche; von der Farbe drang ein wenig in die Wunde ein und es trat infolgedessen eine so schwere Blutvergiftung ein, daß es nur mit Mühe gelang, die Frau am Leben zu erhalten. Ebenso sollen in anderen ähnlichen Fällen mit Anilinfarben gefärbte Strümpfe oder bei Stahlfederstichen verschiedene Tintensorten die Blutvergiftung hervorgerufen haben. Dem gegenüber ist zu betonen, daß selbst in Fällen, wo die beschuldigten Farben wirklich Giftstoffe wie z. B. Arsen enthalten, die Menge, welche in das Blut eingedrungen sein kann, zu gering ist, um derartige schwere Zufälle hervorzurufen. Die schlimmen Wunden und die als Folge derselben auftretende Blutvergiftung sind das Werk unserer unsichtbaren Feinde, gewisser Bakterienarten. Darum sehen wir auch, daß kleine Verletzungen durch Nadelstiche, Splitter u. dgl., bei denen keine Farben mit in Frage kommen, ebenfalls so schlimm verlaufen können. Das beste Mittel zur Verhütung dieser Unfälle ist die Reinhaltung der kleinen Wunden. Wenn wir aber bedenken, wie oft noch Spinngewebe aus staubigen Ecken, gekautes Brot, allerlei Schmierpflaster u. dgl. auf solche Wunden gelegt werden, so können wir uns nicht wundern, daß sie so oft sich verschlimmern, zum Verlust von Fingern und selbst zum Tode führen. Ist etwas derartiges geschehen, dann wird die „Farbe“ als der Sündenbock ausgegeben, während die eigentliche Schuld, die Verunreinigung der Wunde, verschwiegen wird. Man lasse darum solche kleine Verletzungen ausbluten, wasche sie mit reinem, am besten mit abgekochtem Wasser ab und verklebe sie mit Kollodium oder mit einem antiseptischen Heftpflaster, wie z. B. mit dem Salicylsäure-Heftplaster, das in jeder Apotheke vorräthig ist. Dadurch wird die „Blutvergiftung“ sicher verhütet.*     

Deutschlands merkwürdige Bäume: Die Schmorsdorfer Linde. (Mit Abbildung S. 640.) Es ist ein Gefühl halb der Ehrfurcht, halb der Wehmuth, das uns beim Anblick dessen bewegt, was ungebrochen die Jahrhunderte überdauert hat. Was einst von fleißigen Händen gebaut und gepflanzt wurde, Haus und Baum und Wald, es steht wohl noch immer, indes von jenen, die es angelegt haben, längst die letzte Spur verweht ist. Und wir, die wir den ehrenfesten Bau eines alten Bürgerhauses, den stolzen Wuchs sagenumsponnener Eichen und Linden betrachten, schauen zurück auf die Zeiten, welche an ihnen vorübergerauscht sind, auf den milden Schein des Friedens und die düstere Fackel des Kriegs, die segenspendend oder Vernichtung drohend darüber geleuchtet haben; und wie wir dabei die Reihe der Geschlechter überdenken, die vor uns in Freud und Leid das alles pflegten und hüteten und flüchtig dahinsanken, mag uns das wehmüthige Wort Goethes durch den Sinn gehen:

„Uns hebt die Welle,
Verschlingt die Welle,
Und wir versinken.“

Eine altersgraue Linde ist es, welche diesmal unser Bild aus der Reihe von Deutschlands merkwürdigen Bäumen heraushebt. – Südlich vom Elbthal, zwischen Dresden und der Sächsischen Schweiz, liegen an der Grenze des Erzgebirges die Dörfer Schmorsdorf und Maxen, bekannt durch ein Gefecht im Siebenjährigen Krieg, in welchem der Oesterreicher Daun am 21. November 1759 den preußischen General Fink gefangen nahm. Eine Anhöhe zwischen beiden Dörfern heißt noch heute der „Finkenfang“. Es ist überhaupt ein geschichtlich denkwürdiger Boden, den wir da vor uns haben; er hat bis heute noch Reste der einstigen wendischen Besiedelung durch die „Sorbenwenden“ aufzuweisen. Den Namen Schmorsdorf selbst leiten manche Sprachforscher ab von dem wendischen Wort „smorden“ in der Bedeutung „Dreschfröner“. Bei Schmorsdorf also steht die Linde, die durch ihre eigenartige Form auffällt. Ihr Alter läßt sich nicht genau bestimmen, es reicht jedenfalls in wendische Zeit hinauf.

Ihr Wuchs ist gewaltig, der Hauptstamm, an der schwächsten Stelle 9 Meter im Umfang messend, erhebt sich 5 Meter über die Erde und theilt sich dann in eine Reihe von Aesten, welche bis zu einer Höhe von 40 Metern in die Lüfte ragen. Im hohlen Innenraum des Stammes haben 12 bis 15 Personen Platz, und nach der Ueberlieferung sollen früher die Versammlungen des Gemeindegerichts darin stattgefunden haben. Leider hat die Linde im Jahre 1884 unter einem Schadenfeuer gelitten, welches das halbe Dorf zerstörte; und darauf hat ein Sturmwind von den sieben Kielen die drei am schwersten mitgenommenen abgerissen. Jedoch verjüngt sich der Baum durch Nachwuchs, der hoffentlich diesen Riesen aus vergangenen Jahrhunderten für die Bewunderung auch späterer Geschlechter aufrecht hält.

Ein Ueberfall. (Zu dem Bilde S. 641). Naturforscher und Jäger wissen viel von der blinden Leidenschaft zu erzählen, mit welcher der Hühnerhabicht auf seine Beute stößt. Nach dem Bericht der Brüder Müller stieß ein Hühnerhabicht selbst mitten in Fensterscheiben hinein, so daß die Scherben davonflogen und er bis ins Zimmer vordrang. Trotz der Heißblütigkeit, die der Räuber im ersten Angriff zeigt, versteht er sich doch zu beherrschen, und wenn der erste Stoß mißlungen ist, so nimmt er mit kluger Berechnung und vieler Ausdauer die Verfolgung seines Opfers auf, wobei er sich durch Geschicklichkeit und kühne scharfe Wendungen auszeichnet. So verfolgt er zur Winterszeit selbst das flinke Eichhörnchen von Ast zu Ast und läßt nicht ab, bis er es in seinen Krallen hält.

Der Hühnerhabicht stößt aber nicht nur von der Höhe herab, als ein echter Wegelagerer stürzt er auch aus einem niedrigem Versteck hervor und sucht in gedecktem Fluge tief an der Erde seine Beute zu erreichen. Einen derartigen Ueberfall stellt das stimmungsvolle Bild von F. Jimenez dar. Augenscheinlich hat es der Habicht auf den Führer des wehrlosen Hühnervolkes, den Hahn, abgesehen.

Der erste Stoß ist dem Räuber mißlungen, aber er wird ein leichtes Spiel haben; denn dem Hahne steht nur ein Rettungsmittel zu Gebote – die Flucht, und auch dieses wird auf dem freien Felde vergeblich sein. *     

Zerlegbare Holzhäuser in Deutschland. Amerika mit seiner leicht beweglichen, wenig seßhaften Bevölkerung hat zuerst das fertige Wohnhaus als Handelsware auf den Markt gebracht, und heute noch wird auf den Eisenbahnen in Dakota ein kleines zerlegbares Wohnhaus ebenso wie Vieh, Ackergeräthe, Sämereien u. dergl. zu den nothwendigsten Ausstattungsgegenständen eines Ansiedlers gerechnet, für welche derselbe besondere Frachtermäßigung genießt. Auch in Schweden hat sich diese Industrie eingebürgert.

In Deutschland erschienen zerlegbare Häuser zuerst zu militärischen Zwecken, namentlich als Kranken- und Mannschaftsbaracken. Für die beste zerlegbare Krankenbaracke wurde 1885 von der verstorbenen Kaiserin Augusta ein Preis ausgesetzt. Die Herstellung fertiger Holzhäuser für den bürgerlichen Gebrauch erfolgte bisher meist nur zur Ausfuhr nach den Kolonien oder nach anderen kulturarmen Gegenden. So fertigte eine Fabrik in Wolgast 14 Gebäude für einen argentinischen Badeort unweit Buenos Ayres, darunter ein stattliches Konzerthaus, 7 Villen, ein Maschinenhaus und mehrere Wirthschaftsgebäude im Einzelwerthe von 8- bis 40 000 Mark. Die Gebäude wurden aus amerikanischem Pitch-Pine-Holz, sowie aus Cypressen- und deutschem Kiefernholz in Wolgast abnahmefertig hergestellt, dann zerlegt, verpackt und mit der Bahn nach Hamburg zum Weiterversandt mittels Seeschiffes geschickt. Zum Schutze gegen die Einflüsse der Witterung und gegen Feuersgefahr wurden die Häuser zuvor mit einem besonderen Anstrich versehen. Neuerdings finden derartige Häuser bei uns auch Verwendung als Villen, Kurhäuser, Land- und Gartenhäuser. Die Wolgaster Fabrik baute seit Herbst 1890 4 Villen für das Seebad Heringsdorf auf Usedom, 2 Villen für das Seebad Binz, andere endlich, welche in der Umgebung Berlins, in Königswusterhausen, am Wannsee, am Griebnitzsee Aufstellung fanden. Ohne Zweifel läßt sich bei größerer Ausgestaltung dieses Industriezweiges auch für weitere Kreise Nützliches schaffen.

Die Urgeschichte des Postwesens ist durch werthvolle Funde, welche im Archiv der Fürsten von Thurn und Taxis gemacht wurden, näher aufgeklärt worden. Das Jahr 1516 wurde seither allgemein und so auch in unserem Artikel „Die Weltpost“ in Halbheft 14 des Jahrgangs 1889 als das Geburtsjahr der Taxisschen Posten betrachtet. Aber bereits zu Lebzeiten Kaiser Friedrichs III. wurden Posten im Heiligen Römischen Reiche eingerichtet, nur sind die hierfür mit Roger von Taxis wahrscheinlich 1451 abgeschlossenen Verträge nicht auf uns gekommen. Dann gab Kaiser Maximilian I. an Johann von Taxis 1496 und 1498 verschiedene Privilegien. Der erste urkundliche Beweis für das Vorhandensein einer Taxisschen Postanstalt stammt aus dem Jahre 1500, in welchem Philipp der Schöne, Maximilians I. Sohn, Franz von Taxis zu seinem Generalpostmeister ernannte. Als Hauptarbeitsfeld wurden ihm die Niederlande gegeben. Gerade hier, wo Handel und Wandel bereits zu einer hohen Blüthe gelangt waren, mußte eine derartige Neuerung doppelt willkommen geheißen werden. Denn wenn auch in den ersten Abmachungen nicht ausdrücklich hervorgehoben wird, daß die Post auch im Privatinteresse ihre Thätigkeit entfalten solle, so ist doch dieser Schluß mit ziemlicher Sicherheit zu ziehen, insofern die Summe, welche vertragsmäßig vom Staate allein bewilligt wurde, nicht ausreichte, um alles das, was verlangt wurde, zu leisten. Vornehmlich aber lag es im Interesse der weltlichen Macht, eine Anstalt zu fördern, die ihr selbst von größtem Nutzen war. Denn Philipp dem Schönen kam es gerade damals sehr darauf an, mit seinem Vater in Wien und seinem Schwiegervater in Spanien leicht verkehren zu können.

Die ersten Posten, welche eingerichtet wurden, waren reitende. Zu Pferde erfolgte auch die Personenbeförderung; erst später trat die Postkutsche auf. Die Anfangs- und Endpunkte der Linien waren nicht genau an bestimmte Plätze gebunden, sondern richteten sich nach dem jedesmaligen Aufenthaltsorte der Fürsten. So kann denn nicht als erster stehender Postkurs der zwischen Brüssel und Wien bezeichnet werden. Die Schnelligkeit, mit der die Entfernungen zurückgelegt wurden, verdient in Anbetracht der damals wenig gepflegten Wege alle Anerkennung. Von Brüssel bis Innsbruck wurden im Sommer 5½, im Winter 6½ Tage gerechnet, von Brüssel nach Paris 44 bez. 54 Stunden. Der Kurierzug legt dieselbe Entfernung heutzutage in 5 Stunden zurück.

Den für die Entwicklung des Postwesens grundlegenden Vertrag schloß Karl V., damals Herr der Niederlande, 1515 mit Johann und Franz von Taxis ab. Der Zweck desselben war, das gesammte Postwesen des weitausgebreiteten Reiches ganz den Taxis zu sichern. Die beiden Taxis wurden zu Generalpostmeistern ernannt und konnten in ihrem Verwaltungsgebiete frei schalten. Gegen Zahlung von 11 000 Golddukaten (nach unserem Gelde 400 000 Mark) mußten sie die Beförderung sämmtlicher königlicher Briefschaften übernehmen. Das war ein verhältnißmäßig

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 643. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_643.jpg&oldid=- (Version vom 11.4.2024)