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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

der unbekannten Dinge gehörten. Zum Strome hinunter führten Stufen, und vor diesen schaukelte der alte Nachen im Schatten der Nußbäume, die ihre Zweige hoch und üppig über die Gartenmauer reckten, als wollten sie durchaus ihr Spiegelbild sehen in der köstlichen, grünlich klaren Fluth.

Julia zog den Nachen heran, trat hinein, ließ sich den Korb mit der Wäsche reichen und stand dann, als die Alte verschwunden war, noch ein Weilchen müßig da und schaute über die breite glitzernde Wasserfläche nach der jenseits gelegenen großen Aue, über der ein zarter bläulicher Frühnebel hing. Wie wonnig war dieser Morgen! So feierlich rauschte der Strom, so lustig hüpften die Goldfunken der Sonne auf den tausend kleinen Wellen, so duftend kam der Wind – dem jungen Geschöpf ward das Herz weit und das Auge feucht, unwillkürlich falteten sich ihre Hände. „Wenn man nur nicht so allein wäre,“ flüsterte sie, und dann blitzten auch in ihren träumerischen Augen ein paar Goldfunken auf wie zwei selige Hoffnungssterne und sie lächelte, während sie im Buge des kleinen Nachens kniete und ein Tuch lässig in den Wellen schwenkte.

Dann hielt sie wieder inne und starrte wie in Gedanken verloren vor sich hin, einen trüben Zug um den Mund, sonderbar veränderte sich dabei das Gesicht; und nun schrie sie leicht auf – das Tuch war ihren Händen entglitten und schwamm eilig den Strom hinab.

„Großer Gott!“ sagte das erschrockene Kind, „und es ist die damastene Kaffeedecke mit den eingewebten Sprüchen!“

Sie bog sich vor, soweit es möglich war, und schlug mit einer Stange ins Wasser, als könne das helfen; dann stand sie wieder kerzengerade und blickte mit weit geöffneten Augen zu einem Nachen hinüber, den ein Schiffer am Ufer entlang stromaufwärts trieb, und auf die Gestalt eines Mannes, der mit dem Bootshaken soeben das Tuch auffischte.

„Hallo!“ rief eine tiefe Stimme, „es sollte mich doch wundern, wenn Mamsell Unnütz nicht das Heldenstück, ein armes, des Schutzes bedürftiges Gespinst sich selbst zu überlassen aufgeführt hätte. Natürlich! Ja, bist Du es denn wirklich, Unnütz?“

Der Nachen war jetzt ganz dicht herangekommen, ein großer breitschulteriger Mann stand darin. Er hielt den Hut grüßend über dem braunen Scheitel, während die andere Hand noch den Bootshaken mit dem nachschleppenden Tuch umfaßte. Seine Augen aber hingen mit unverhohlenem Erstaunen an dem Mädchen, das, die Blässe einer großen Erregung im Antlitz, wie ein fremdartiges reizendes Bild auf Goldgrund in dem leise schwankenden Nachen stand.

„Nun, grüß’ Gott!“ sagte er endlich, „ich muß es wohl glauben, daß Du es bist, Unnütz. Wer im ganzen Städtchen hätte wohl solch schwarzes Haar und solche Augen, und wer sonst könnte wohl so stolz und mit so klassischer Ruhe dastehen als die Julia Adami aus Rom? Wie? Und Wäsche spülst Du an Deinem achtzehnten Geburtstag? Aber auch das ist klassisch, Kind; in alten Zeiten war es, glaube ich, Lieblingsbeschäftigung der Fürstentöchter –“ und er schlug klatschend das Tuch auf den Bug des Nachens, in dem das Mädchen stand, und schwang sich selbst hinüber. „Grüß’ Gott, noch einmal, Julia, und frohen Geburtstagsgruß!“

Da gab sie ihm langsam eine kleine zitternde Hand, aber ihr Auge begegnete dem seinen nicht. Sie standen so noch, als der Mann, der den jungen Doktor Fritz Roettger hergerudert hatte, schon wieder stromabwärts fuhr; sie noch immer mit gesenkten Wimpern, er sie erstaunt betrachtend.

„Prinzeß Wilhelm.“   Einfahrt der „Savoia“ in den Hafen.   Beleuchtung von Stadt und Hafen.
Von den Kolumbusfeierlichkeiten in Genua.
Nach der Natur gezeichnet von Alexander Kirchner.

Aus ihrem stillen Versunkensein wurden sie erst emporgeschreckt, als jetzt drüben ein Dampfer vorbeirauschte und durch die heftige Bewegung des Wassers, die er verursachte, der Nachen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 648. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_648.jpg&oldid=- (Version vom 13.8.2022)