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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

und wußt’ nicht, was es auf sich hatte, als er vor andert halb Jahren nach Berlin kommandiert wurde. Nur soviel weiß ich, daß ich kaum genug für mich zum Sattessen behalte und daß ich Dich nicht mithungern lassen darf. Du verstehst ja einiges von der Wirthschaft, und wenn Du auch nicht fertig bist, so lernst Du noch dies und das; Du mußt eben anfänglich vorlieb nehmen mit wenig Gehalt. Ich will in die Zeitung ein Stellengesuch setzen lassen, zu Johanni wird sich wohl etwas finden. Ich muß dann sehen, wie ich durchkomme.“ Noch immer kein Laut. „Nun, Julia?“

Da lag das Mädchen plötzlich vor ihr auf den Knien. „Laß mich mithungern, Tante!“ klang es halb erstickt. „O, ich bitte Dich! Ich bitte Dich, so sehr ich kann, schicke mich nicht fort, nur jetzt nicht fort! Ich will arbeiten Tag und Nacht, ich kann ja auch hier Geld verdienen – Du glaubst es nicht? O ja, ich hab’ es schon gethan, ich wollte dafür – – O Tante, Tante, laß mich hier, ich kann nicht fort!^

„Du machst mir die Last schwer,“ murmelte das alte Fräulein.

„Tante, wir könnten hier oben Zimmer vermiethen – ich will arbeiten wie eine Magd, ich will auch nicht mit zu Bällen und Vergnügung, ich will ganz still im Garten sitzen, ach, laß mich nur hier!“ Und als die alte Dame sich nicht rührte, fuhr sie fort, um ihre karge liebeleere Heimath zu kämpfen, in der sie alle Jahre ihres jungen Lebens nur Zurücksetzung und Härte kennengelernt hatte; fuhr fort zu flehen, weil es sie schlimmer als der Tod dünkte, seine Nähe zu meiden, die für sie die Sonne ihres Lebens war seit jenem Abend, an dem sie gestoßen und gescholten, hungernd und allein in ihrem Stübchen saß, und er sie tröstete. „Tante, liebe Tante!" Die schönen flammenden Augen sahen mit hinreißend bittendem Ausdruck zu der Frau empor, die das Schicksal ihres Lebens in der Hand hielt.

„Wir wollen sehen – steh’ auf!“

Das war alles, was ihr als Trost gewährt wurde, aber es dünkte dem Mädchen schon unendlich viel. Sie sprang empor. „Ich danke Dir, Tante, Du sollst es nie bereuen!“

Dann war sie verschwunden wie der Mondstrahl, der vorhin noch silberweiß auf der Diele lag.

Die Einsame am Fenster sah die dunkle Wolke an, die vor den Mond getreten war, und wieder wandte sich ihr Herz von dem Kinde, in Erinnerung an seine Mutter. So hatte sie wohl auch flehen können? Welch ein Mangel an weiblichem Stolz! Wenn ihr, dem Riekchen Trautmann, einer gesagt hätte „Geh!“ – nicht ein Wort hätte sie verloren. Aber woher sollte Edelsinn kommen bei der Tochter der Frau, die sich dem Gatten angeboten! –

Julia aber flog den Gartenweg hinunter. Was sie eigentlich wollte, wußte sie selbst nicht; ihre zitternden Nerven suchten Beruhigung. Sie schlüpfte aus dem Pförtchen zum Strome hinunter, und dort stand sie, die Hände auf das klopfende Herz gedrückt. An ihren Augen zogen die dunklen Jahre der Kindheit vorüber, in denen seine Freundlichkeit der einzige leuchtende Stern gewesen. Und nun war dieser Stern zur Sonne geworden, zur strahlenden goldenen Sonne, und die Nacht hatte sich in Tag verwandelt, in welch glückseligen Tag!

„Guten Abend, Julchen!“ rief eine helle Stimme hinter ihr.

Sie schrak empor und wandte sich um.

„Was stehst Du da und schaust ins Wasser wie eine, die sich das Leben nehmen will?"

„Guten Abend, Thereschen!“ erwiderte das Mädchen mit einem leisen Seufzer, und an die Mauer des Nachbargartens tretend, reichte sie die Hand hinauf zu der lichten Frauengestalt, die sich im Mondschein zierlich und leicht wie eine Elfe aus dem rebenumwachsenen Rahmen bog.

„Wie geht’s Dir, Kleine?“ fragte Therese weiter; „ich gratulier’ Dir auch schön zum Geburtstag! Wär’ gern hinübergekommen, aber früh sah ich Dich an der Wäsche schaffen, und nachmittags kam Deine Tante auf Besuch mit dem Herrn Doktor, und Du weißt ja wie der Vater ist – allemal glückselig, wenn er eine verständnißvolle Seele findet, die er in den Keller schleppen kann. Sie sind bei uns geblieben zum Abendessen und eben erst wieder heimgegangen.“ Das zarte Gesicht, von goldflimmerndem Haar umgeben, lächelte schelmisch zu der jungen Nachbarin hinunter

„Hör’, Julchen, ich glaub’ Euer Doktor singt da – das macht Vaters Rauenthaler.“

Und wirklich scholl des Doktors tiefe Stimme durch den Garten:

„Nur am Rheine will ich leben,
Nur am Rhein geboren sein,
Wo die Berge tragen Reben
Und die Reben goldnen Wein!"

Die Mädchen lauschten mäuschenstill. Der Sänger jenseit der Mauer kam näher, nun war er aus dem Garten getreten, die Treppe zum Wasser hinabgestiegen und nun koppelte er den Nachen los und ruderte sich hinaus in den breiten Silberstreifen, der auf dem Wasser zitterte, wie er es als Knabe unzählige Male gethan hatte.

„Gute Nacht!“ sagte Julia leise zu der Freundin und schlüpfte in den Garten. Diese aber achtete nicht darauf; sie winkte mit einem Tuche zum Strome hinüber und rief: „Weiter singen, weiter singen, Herr Doktor! Aber nehmen Sie sich in acht vor den Nixen!“

Und als Julia sich umwandte, da schien ihr das Thereschen selbst eine Nixe zu sein in ihrem schimmernden Blondhaar und dem weißen duftigen Gewand; aus dem Nachen aber kam keine Antwort, und das Mädchen lächelte selig vor sich hin. und wenn alle blondhaarigen Nixen des ganzen Stromes kämen, sie fürchtete sie nicht, sie glaubte und liebte.

(Fortsetzung folgt.)

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Erfinder-Lose.

William Lee, der Erfinder des Wirkstuhles.


William Lee – wer kennt noch den Namen dieses Mannes, der wie so viele Wohlthäter der Menschheit zeitlebens nach Anerkennung rang und schließlich, des vergeblichen Kämpfens müde, in Armut und Dürftigkeit unterging und doch hat er der Welt einen der wichtigsten Industriezweige geschenkt. Im Jahre 1589 war es, als er den Handwebstuhl erfand und damit der Begründer einer der bedeutsamsten Erwerbsquellen wurde.

Seltsame Umstände waren es, die zur Erfindung des Wirkstuhles führten; die nächste Veranlassung hierzu war nicht das Bestreben, der mühsamen Handarbeit eine Erleichterung zu verschaffen, sondern einzig und allein die – Liebe. Und wunderbar! Der Mann, der dieses sinnreiche Geräth erdachte, zählte keineswegs zu der Zunft der Weber, trieb auch kein mit der Weberei verwandtes Handwerk; seine technische Bildung war überhaupt eine höchst mangelhafte; er gehörte dem gelehrten Stande an, hatte auf der Universität Cambridge Theologie studiert und war Kandidat des Predigtamtes.

Lee hatte sich – so lautet die Ueberlieferung – als Student in eine Bürgerstochter verliebt, die seine Bewerbung nicht ungünstig aufnahm. Aber sie war arm, und als ältestes Kind mußte sie nach dem Tode ihres Vaters der Mutter das tägliche Brot verdienen helfen; denn es galt, noch für eine ganze Reihe kleiner Geschwister zu sorgen. Mary war sehr geschickt in der Anfertigung von Strümpfen, welche zu jener Zeit noch einen Luxusartikel bildeten, den nur die Reichen zu erschwingen vermochten; trotzdem war der Verdienst der Strickerinnen kärglich, denn man kannte noch nicht die heute übliche leichte und einfache Art der Maschenbildung, welche die Herstellung von Strümpfen mit der Hand so wesentlich fördert. Von früh bis abends saß die Braut des Kandidaten über ihren Strickstruwpf gebeugt, emsig und mühsam die Fäden verschlingend, für den Geliebten aber hatte sie kaum einen flüchtigen Blick, die schwierige Arbeit erforderte ihre ganze Aufmerksamkeit.

Da kam dem jungen Theologen der Gedanke, ob es nicht möglich wäre, eine Arbeitsmaschine zu erfinden, welche der Dame seines Herzens gestatten würde, auch ihm einen Theil ihrer Zeit zu widmen. Wenn das Sprichwort sagt, die Noth mache erfinderisch, so läßt sich das Gleiche wohl auch von der Liebe behaupten; auf gut Glück betrat Lee das ihm bisher wenig vertraute Feld der Mechanik, und schon nach wenigen Monaten hatte er die Freude, seine Bemühungen von Erfolg gekrönt zu sehen: der erste Handwebstuhl, auf dem er mit wenig Mühe und Zeit Strickwaren herzustellen vermochte, war fertig. Das war im Jahre 1589.

Inzwischen erhielt der junge Geistliche das Pfarramt zu Calverton bei Nottingham, und überglücklich führte er seine Mary als Frau in sein neues Heim. Aber bald stellten sich neue Sorgen ein; die Pfründe war so kärglich ausgestattet, daß

der Mangel an die Thür des Pfarrherrn zu klopfen begann, Da

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 652. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_652.jpg&oldid=- (Version vom 11.4.2024)