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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

einwenden, nicht alle Brillenträger haben rothe oder geröthete Nasen! Das erklärt sich ohne Schwierigkeit; die Lage der Blutgefäße ist nicht bei jedem Menschen genau die gleiche und ebenso ist der Bau der Nase ein verschiedener. Oft liegen die Venen so günstig zwischen den Nasenbeinen, daß sie von dem Brillensteg nicht gedrückt werden. oder es sind in dem Venensystem der Nase Seitenkanäle vorhanden, durch welche das Blut trotz des Druckes auf die Quervene ungehemmt seinen Abfluß nach den Wangen nehmen kann. In der Regel jedoch sind brillentragende Menschen dem Uebelstande ausgesetzt, daß ihre Nase mit Blut überfüllt ist.

Diese Blutstauung allein kann schon eine Röthung der Nase verursachen und zu dauernder Erweiterung der Blutgefäße führen, die dann als rothe Adern durch die Haut schimmern. Außerdem aber muß man noch in Erwägung ziehen, daß eine solche Nase gegen äußere, namentlich gegen entzündliche Reize empfindlicher ist als die, welche durch keine Brille belästigt ist und einen ungehemmten Blutabfluß hat. Die Brille begünstigt ferner die Blutstauung besonders bei kaltem Wetter. Die Kälte wirkt auf die Blutgefäße zusammenziehend; tragen wir nun bei Frostwetter eine Brille, so kühlt sich der metallene Brillensteg am meisten ab und entzieht der nächsten Umgebung von ihrer Wärme. Die Kälte dringt auf solche Weise unter die Haut des Nasenrückens ein und wirkt auf die Quervene zusammenziehend, diese wird eng und der Blutabfluß aus der Nase noch mehr erschwert. Das wissen viele aus eigener Erfahrung, und es giebt Leute auf dem Lande, welche beim Frostwetter den metallenen Nasensteg der Brille mit Watte oder Zwirn, also mit schlechten Wärmeleitern, umwickeln.

Fig. 2.

Fig. 3.

Das sind einige der unangenehmen Wechselbeziehungen zwischen der Nase und der Brille. Um sie zu verhüten, hat Fritz Lueddeckens einen neuen Brillensteg hergestellt, der den Nasenrücken entlastet, den sogenannten „Normalsteg“. Seine Anordnung ist aus den beiden nachstehenden Abbildungen zu entnehmen, von denen Fig. 2 die Ansicht von vorn, Fig. 3 die von der Seite wiedergiebt. Um die Quervene zu schonen, ist die Stützfläche fast ganz vor die Ebene der Gläser gelegt, sie verläuft schräg nach vorn und unten und, wie Fig. 2 zeigt, zugleich etwas nach außen. Die Stützen endlich, welche die Gläserfassung tragen, stehen schräg nach oben, wodurch der Steg außerordentlich tragfähig wird.

„Die Befreiung des Nasenrückens von jeglichem Druck wird allein schon von vielen angenehm empfunden werden,“ meint Lueddeckens. „Außerdem wirken aber bei diesem Normalsteg die drückenden Flächen dadurch, daß sie vor die Gläser und seitlich gestellt sind, in den meisten Fällen auf die hier bestehenden Erhöhungen der Nasenbeine, eine Stelle, wo sich wegen der steten Reibung bei mimischen Bewegungen nur selten Gefäße und Nerven von einiger Bedeutung entwickeln dürften.“

In der That wird der Normalsteg gute Dienste leisten und hoffentlich die Zahl der rothen Nasen verringern. F.     


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Die Freude.

Skizze von Marie Bernhard.

Wohin? Nach dem Niederthor? Ja, natürlich, dahin fahren wir! Konnten Sie denn das nicht gleich sagen? Einsteigen! Donnerwetter, machen Sie ’n bißchen rasch, wir haben keine Zeit! So! Vorwärts!“

Mit diesen unwillig hervorgestoßenen Worten gab der Pferdebahnschaffner das Zeichen zum Weiterfahren und schob den soeben Eingestiegenen mit einem derben Ruck in den langen Wagen, der an jeder Seite zwölf Sitzplätze hatte.

„Links noch ein Platz frei! Bitte, zusammenrücken, meine Herrschaften!“

Unbehilflich blieb der neue Ankömmling stehen – als die Pferde anzogen, schwankte er bedenklich. Ein sehr alter Mann mit spärlichen weißen Haaren und einem braunen zusammengeschrumpften Gesicht, aus dem ein Paar kindlich ängstlicher Augen sahen. Sein aus „selbstgewebtem“ Stoff gemachter Anzug, die dicken Kniestiefel, der plumpe Stock und zwei große Bündel aus gewürfeltem Zeug, die zu seinen Füßen lagen, verriethen auf den ersten Blick den Landmann.

„O, du Gott!“ rief er jetzt erschrocken. Der Wagen bog um eine Straßenecke, es gab einen leichten Stoß und der Mann taumelte auf einen der Sitzenden, einen dicken Herrn, der ihn unwillig abwehrte.

„Aber so setzen Sie sich doch! Nicht hier! Drüben muß noch ein Platz für Sie sein!“

Ungern rückte man „drüben" um ein weniges zusammen.

Der Fremde kam zwischen einen jungen Herrn, der die Augen geschlossen hatte, und eine Dame zu sitzen, die mit einer beleidigten Gebärde ihr elegantes Kleid an sich zog, als die stark geschmierten Kniestiefel damit in Berührung kamen.

„Entschuldigen Sie man!“ wandte sich der Bauer jetzt an den dicken Herrn, gegen welchen er angeprallt war.

Dieser antwortete nicht.

Der Alte sah mit einem verschüchterten Lächeln nach rechts und links, nahm die Schirmmütze vom Kopf und wischte sich mit einem bunt karrierten Sacktuch die kahle Stirn.

„Ist das aber ’ne Hitz’ hier!“

Die Dame drehte empört das Gesicht fort und suchte mit der Fußspitze eines der schweren Bündel weiterzuschieben, das ihr im Wege lag.

„Das belästigt Ihnen wohl, was?“ fragte der Besitzer, bückte sich und wollte die beiden Ungeheuer näher zu sich ziehen. Dabei fiel ihm die Mütze und der Stock aus der Hand.

„O je! Bin ich aber auch – – Ja, ja, so die große Stadt – ja, ja!"

Allgemeines Schweigen.

Die scheuen Augen des alten Mannes gingen hilfesuchend rundum, zuletzt blieben sie an der hellbrennenden Petroleumlampe haften. Er seufzte beklommen. In einer Ecke führten ein paar junge Leute ein halblautes Gespräch; die grelle Glocke der Pferdebahn erscholl. Eine Haltestelle. Einige stiegen aus. Die elegante Dame beeilte sich, einen leergewordenen Platz auf der anderen Seite einzunehmen. Jeder der Ein- und Aussteigenden stieß an die beiden mächtigen Bündel, die am Boden lagen und die der alte Mann umsonst unter die Sitzbank zu zwängen bemüht war.

Laute und leise Scheltreden ertönten, der Bauer wischte immer häufiger Stirn und Hände an dem groben Sacktuch ab. Zwei, drei weitere Haltestellen. „Ist das noch weit – bis Niederthor?“ fragte er endlich bescheiden

Zuerst antwortete ihm wieder niemand. Endlich kam eine Stimme aus der Ecke neben der Thür. „Noch zwei Stationen. Ich werde Ihnen sagen, wann es Zeit ist!“

„Dank’ schön, lieber Herr!“ Der Bauer sah erfreut nach der Richtung, aus welcher die Stimme kam. Sie gehörte einem gut gekleideten Herrn mittleren Alters mit einem ruhigen, freundlichen Gesicht. Er nickte dem alten Landmann wohlwollend zu. Wie ihn dessen Erscheinung anheimelte und sogar die unschön breitgezogene Sprechweise! Die kannte er genau, die hatte er in seiner Kindheit täglich und stündlich gehört . . . es war seine Heimathsprache, und er mußte sie lieben, so wenig wohllautend sie klang! Sein Vater war ebenfalls ein Bauer gewesen, ein klein wenig ähnlich dem Mann, der dort drüben saß. Solch einen häßlichen, plumpen Stock hatte er auch gehabt und, wenn er einmal einen Ausflug unternahm, auch ein solch roth und weiß gewürfeltes Bündel. Der Fremde drückte die Augen ein und athmete tief. Im Geiste saß er jetzt in dem niedrigen Bauernstübchen mit dem säuerlichen herben Geruch – die Mutter webte – wie das kleine Schiffchen flog und wie der Webstuhl klapperte! Der Vater dampfte aus einer kurzen Pfeife, die Hauskatze lag spinnend im Sonnenschein, und die große Schwester brachte das frischgebackene Brot herein. Wie köstlich dies Landbrot duftete! Solches Brot hatte er nie wieder seither zu kosten bekommen!

„Niederthor!“

„Kommen Sie, guter Freund! Hier – halten Sie sich nur an den Lederriemen; das Fahren hat Sie schwindlig gemacht! Eins von den Bündeln nehm’ ich Ihnen ab. Ach, Unsinn – schämen? So! Wo soll denn jetzt die Reise hingehen?

„In die Akazienallee!“

„Sieh, sieh, da haben wir ja denselben Weg. Das trifft sich gut, denn sonst müßten Sie viel fragen, ’s ist noch ein hübsches Stück dorthin, und bis da hinaus giebt’s noch keine Pferdebahn, weil es eine neu angelegte Straße ist!“

Der Landmann schien immer noch vom Schwindel befallen zu sein. Er stand da und sah um sich mit erstaunten großen Augen, und halb unbewußt hielt er sich an einem stolzen Kandelaber fest, der seine vielen Flammen in die stille dunkle Nachtluft leuchten ließ. Es war ein sehr belebter Platz, die Haltestelle am Niederthor. Das Leben der Großstadt kam hier wie in einen Brennpunkt zusammen; von drüben strahlte elektrisches Licht, die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 666. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_666.jpg&oldid=- (Version vom 11.4.2024)