Seite:Die Gartenlaube (1892) 684.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1892)

lieb Herzchen! Aber das versteht Ihr nicht, weil Ihr allesammt grad im allerthörichtsten Lebensalter steht.“

„Lieber Herr Krautners“ – Julia hatte beide Hände erhoben – „wenn sie sich aber doch so lieben, so sehr lieben –“

„J – glauben die beiden ja selbst nicht,“ lachte er, „und der stirbt nicht dran, und die stirbt nicht dran, ich kenn’ sie besser. Und nun, Reschen, bitt’ ich mir aus, daß das Geflenn’ aufhört – hast’s verstanden!“

Das junge Mädchen hatte sich emporgerichtet. „Daß Du es nur weißt, Papa,“ rief sie mit zornigen Augen, „ich lasse nicht von ihm – nie, nie!“

„Nun, darüber reden wir schon noch,“ war die Erwiderung.

„Und wenn Du denkst, ich werd’ ihn mit der Zeit vergessen, so – –“

„Ja, das denk’ ich, Töchterchen!“

„So irrst Du Dich, und hier, in Gegenwart von Julia, sag’ ich’s Dir, hast Du nicht von heut’ ab in einem Jahre diese Verlobung zugegeben, so – –“

„Nehme ich einen andern!“ vollendete er.

„Wollen sehen,“ sagte sie.

„Ja, wollen sehen, hast recht. Und nun kannst Du Dir alles wünschen, was Dein Herz begehrt, bloß nicht zweierlei Tuch; ich spaße nicht, hab’s mal geschworen – warume? kann Dir gleich sein. Also, kein zweierlei Tuch im allgemeinen und dieses da im besonderen nicht! Nichts für ungut, kleines Fräuleinchen,“ wandte er sich an Julia, „aber sagen Sie selber – kommt mir da ein wildfremder Mensch hereingeschneit und will nicht mehr als alles, und das heißt viel, verstehen Sie? Es könnt’ manchem passen, o ja, aber wenn die da eine so Dumme ist, die sich in einer Viertelstund’ verblenden läßt – ich bin’s nicht. Klaren Kopf! heißt’s bei mir. Alois Krautner hat immer ’nen klaren Kopf, sonst hätt’ er’s nie soweit gebracht. Gehorsamster Diener!“

„Du hast eben nie geliebt,“ sagte sein Töchterlein mit verächtlich zuckender Lippe.

„Ich? Alle Wetter! Und ob! Aber mit Verstand, Du Naseweis! Und sauer hab’ ich mir’s werden lassen, ehe ich vor ihren Vater getreten bin und gesagt habe: „Gieb’ mir Deine Hanne und Deinen Segen, ich kann einen Hausstand gründen, ich kann ein Weib ernähren und noch mehr dazu.“ Da liegt der Hase im Pfeffer, merkst was? Und nun ist’s das letzte Wort gewesen, damit basta und nix für ungut!“

Er ging, machte die Thür zu, und von draußen herein erklang sein Pfeifen. Es war der Alte Dessauer, den er immer nur pfiff, wenn ihn etwas schwer erregte. Sogar als sein vergöttertes liebes Hannchen starb, war er mit herabrollenden dicken Thränen im Zimmer auf- und abgegangen und hatte sein: „So leben wir“ gepfiffen.

„Da siehst Du es, wie traurig mein Leben ist,“ sagte das hübsche Mädchen bitter und strich die wirren Blondhaare aus dem heißen Gesicht. „Verständniß, ein feineres Empfinden ist gar nicht vorhanden. Und weißt Du, Julia, als ich versuchte, ihn zu rühren, ihm erzählte, wir hätten uns unser künftiges Leben schon so schön ausgemalt, wir wollten uns in die Nähe versetzen lassen; seine herrliche Heimath, sein Rom, hätte er mir zeigen wollen auf der Hochzeitsreise, da lachte er, als hätt’ ich den köstlichsten Witz gemacht, und meinte, das sei für zwei Tage der Bekanntschaft alles mögliche! Und ob wir uns auch schon einen Bädeker gekauft hätten? Und er und Mama hätten vor Zeiten in einem Ding von Hotel gewohnt in Rom, wo sie sich äußerst wohl befunden haben würden, wenn sie einen Ofen und recht viel Insektenpulver gehabt hätten. O Gott, wie kann man das Heiligste so herabziehen! Aber Du, Julchen, Du mußt uns helfen!“ rief sie aufspringend. „Bleibt Vater so halsstarrig, dann laufen wir davon – ja bei Gott! Sag’s dem – dem Lieutenant Adami – ich –“ Sie stockte plötzlich, es kam ihr wohl etwas stark vor, dem Lieutenant den Vorschlag machen zu wollen. „Wenigstens,“ fuhr sie kleinlaut fort und zupfte an ihrem Taschentuch, „wenigstens mußt Du unsere Briefe vermitteln, uns helfen, daß wir uns sehen können, lieb Julchen!“

Julia antwortete nicht; sie sah starr vor sich hin, eine kleine düstere Falte zwischen den schön geschwungenen Brauen.

„Hörst Du?“ rief Therese ungeduldig, „Du sollst uns helfen! Heut’ abend noch will ich ihn sprechen! Du hast Dein Bodenstübchen, Dein Atelier, niemand wird uns dort suchen und Du mußt zu Deiner Tante sagen, es sei – –“

„Nein!“ kam es kurz und hart von Julias Lippen.

„Deinen eigenen Bruder willst Du nicht unterstützen? Mich nicht, Deine einzige Freundin?“ rief Therese, die sich vor dem Spiegel die Stirnhärchen ordnete und ein Tuch, in kaltes Wasser getaucht, gegen die Augen drückte.

„Nein, Therese, eben weil er mein Bruder ist. Ich will nicht dazu helfen, daß es aussieht, als wolle er Dich aus reinem Eigennutz, und – ich denke, Ihr helft Euch allein. Echte Liebe kommt schon zum Ziele.“

„Bist Du ein albernes Ding!“ fuhr das blonde Mädchen zornig heraus. „Wie soll ich mir allein helfen? Kennst Du meinen Vater noch nicht? Kein Brief kommt anders in das Haus als in verschlossener Postmappe, und bewachen wird er mich von Stunde an auf Schritt und Tritt, und –“

„Mit dem Heimlichthun und dem Schreiben hinter seinem Rücken werdet Ihr Euch allerdings nicht helfen. So meinte ich es nicht,“ antwortete Julia. „Zeig’s dem Vater, daß Deine Liebe stark und treu ist, er wird sich dann doch erweichen lassen; und am Ende, wenn Dich der Frieder gerade so stark und ehrlich liebt, wird er Dir zulieb auch etwas anderes werden als Offizier, er ist doch noch jung – wenn’s eben nur das ist, daß Dich Dein Vater keinem Offizier geben will. Darin würde ich meinem Bruder zureden.“

„Sehr gütig!“ klang es gereizt und enttäuscht zurück. „Aber ich meine, er ist just zum Offizier geschaffen, und meinetwegen soll er nicht umsatteln.“

„Auf den Stand kommt’s doch nicht an, wenn Ihr Euch so gern haben wollt!“ rief Julia entrüstet. „Liebst Du den Rock oder den Menschen?“

Therese antwortete nicht.

„Wenn er nun, zum Beispiel, Landwirth werden könnte?“ drängte Julia.

„Bitte,“ stieß Therese ärgerlich hervor, „spar’ Deine Rathschläge, die von sehr großem Mangel an Lebensklugheit zeugen. Geh’ lieber zu ihm und sage, daß ich ihn noch einmal sprechen will, das kann kein Mensch mir verwehren. Oder nein, laß es – Du machst ja ein Gesicht, als ob ich Dich zum Stehlen verführen wollte. Nicht einmal dazu bist Du zu gebrauchen! – – Gott im Himmel, ich verlange jetzt nur noch eins von Dir, bekümmere Dich nicht um die ganze Geschichte, gieb mir die Hand darauf, ich werde mir allein helfen – so. Sag’ dreimal ‚Wahrhaftig‘ darauf, daß Du keiner Seele gegenüber mich verrathen willst.“

Julia hatte die Hand gegeben, aber sie blieb stumm. Und Therese achtete nicht mehr auf das ernste Gesicht der Freundin. Sie saß am Tische und schrieb mit fliegender Eile ein paar Worte auf einen blaßlila Bogen mit goldenem Monogramm. „Leb’ wohl!“ murmelte Julia und ging betrübt durch den Garten zurück nach dem heimathlichen Grundstück.

Unter den Nußbäumen stand der Bruder; er sah noch blasser und nervöser aus als sonst. „Nun?“ fragte er ungeduldig, „Du bist eine Ewigkeit geblieben, wie auf der Folter ist mir’s vorgekommen. Was sagte sie?“

„Sie will Dir treu bleiben, Frieder – aber –“

„Aber?“

„Aber der Vater will’s nie zugeben.“

Er athmete auf. „Wenn sie nur will –“ sagte er leise.

Er dankte der Schwester nicht einmal; eilig schritt er nach seiner Stube hinauf und schrieb an Moses Aronsohn in Berlin, daß besagter Herr sich noch ein Weilchen gedulden möge; er habe eine reiche Partie so gut wie sicher, es sei nur noch der Widerstand des Vaters zu überwinden. Wenn aber Herr Aronsohn die Klage beim Regiment einreiche, so sei diese Heirath in Frage gestellt und er bekomme dann nichts, da seine Tante ihr Vermögen verloren habe. Ergebenst u. s. w. Er trug den Brief selbst zur Post und kehrte mit leichterem Herzen zurück, als er es seit Monaten gehabt. Und in der Nähe des Hauses ging langsam ein hübsches Dienstmädchen an ihm vorüber und schob ihm ein kleines blaßlila Couvert in die Hand. Seine Augen leuchteten auf, und kaum war er in seinem Zimmer angelangt, als er hastig den Umschlag erbrach. Therese bat ihn in das

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1892). Leipzig: Ernst Keil, 1892, Seite 684. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1892)_684.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2023)